Teer am Nord- und Ostseestrand

Die Jagd auf Ölsünder

Ein ölverschmierter toter Vogel liegt am Strand.
Schleichende Ölpest - die illegal abgeleiteten Ölreste werden zur tödlichen Gefahr für Meeresvögel. © imago/UPI Photo
Von Lutz Reidt · 11.07.2017
Noch immer verenden zahlreiche Seevögel durch Ölverschmutzung in der Deutschen Bucht. Das Öl stammt dabei gar nicht von havarierten Tankern, sondern von Schiffsbesatzungen, die ihre Tanks auf hoher See ausspülen – und die Reste ins Meer leiten.
Der letzte Gang einer ölverschmierten Dreizehenmöwe endet in einem schmucklosen Sektions-Container mit glänzendem Stahlblech an den Wänden. Der Biologe Nils Guse steht in Gummistiefeln und weißem Kittel am Sektionstisch, auf den jetzt der leblose Körper des Seevogels liegt, mit den markanten grauen Federn auf dem Rücken:
"Man erkennt jetzt einmal, dass es eine junge Möwe ist; daran, dass sie einen grauen Rücken hat und dass ein schwarzes Zick-Zack-Band über den Flügel läuft. Daran können wir jetzt erkennen, dass der Vogel - der wurde im März auf Pellworm gefunden - dass der eben aus dem Jahr davor stammt. Das heißt, er ist wahrscheinlich im Sommer davor geschlüpft und nach dem ersten Winter zu Tode gekommen. Und hier sehen wir gleich ganz deutlich, dass er seinen großen Ölfleck im Brust- und Bauchgefieder hat, also insgesamt ist etwa 30 Prozent der Dreizehenmöwe hier verölt."
Durchs kahle Fenster blickt Nils Guse kurz nach draußen, wo die Ausläufer eines Sommergewitters über die grasgrünen Deiche und Wiesen von Büsum fegen. Hier an der Westküste von Schleswig-Holstein betreibt die Universität Kiel das Forschungs- und Technologiezentrum. Für Nils Guse und seine Kollegin Sabine Müller gehört es zum Forscheralltag, die Todesursache von Seevögeln zu ermitteln. Die Finder - meist erfahrene Vogelkundler - senden sie routinemäßig nach Büsum. Bei der Dreizehenmöwe spricht bereits der Augenschein Bände. Markant vor allem: die Ölspuren an den Flügelkanten:
"Der Flügelbug von der Unterseite. Das passiert ganz häufig, wenn die Möwen auf dem Wasser landen, wo das Öl schwimmt, dass sich Brust- und Bauchbereich verölen und dann eben, wenn sie versuchen, das Öl wieder zu putzen und das wieder loszuwerden, dann auch am Hals sich verschmutzen, Öl aufnehmen dabei und dann eben durch diese Putzaktivitäten das noch weiter im Gefieder verbreiten."
Nils Guse und Sabine Müller werden den Vogel gleich sezieren, um den Zustand nach vorgegebenen wissenschaftlichen Standards genau zu erfassen.

Seevögel mit ölverklebtem Gefieder landen zwar nicht mehr so häufig wie früher auf dem Sektionstisch, dennoch besteht das Problem weiterhin. Und dies ist häufig Folge einer schleichenden Ölpest, die es nicht in die großen Nachrichtensendungen schafft und die schlicht den Schiffsalltag auf Hoher See widerspiegelt.

Tödlicher Ölschlamm

Dieser Alltag wird geprägt von Schiffsbesatzungen, die entweder fahrlässig oder sogar vorsätzlich handeln. Entweder spülen sie die Tanks ihrer Schiffe mitten auf dem Meer mit Seewasser aus. Oder sie leiten illegal zähflüssige Filterrückstände ihres Treibstoffes ins Meer. Dieser sogenannte "Sludge" ist vor allem auch an der hochsensiblen Wattenmeerküste gefürchtet.
Denn auch wenige 100 oder 1000 Liter Ölschlamm können schwere Schäden anrichten. Das zeigt das Beispiel der Dreizehenmöwe auf dem Sektionstisch in Büsum. Ein stilles Sterben als Folge einer chronischen Ölbelastung von Nord- und Ostsee. Dies ist wenig spektakulär - im Gegensatz zu den gravierende Ölkatastrophen an den Stränden nach großen Schiffshavarien - so wie zuletzt vor knapp 20 Jahren.
Das rostige Mahnmal der Nordsee wird gleich am Horizont auftauchen. André Blötz und seine Kollegen von der Küstenwache düsen mit einem Kontrollboot des Bundespolizeischiffes "BAD BRAMSTEDT" über die Wogen der Nordsee, wenige Seemeilen vor der Südspitze der Insel Amrum. Der Seegang ist moderat, die Wellen bieten nur wenig Widerstand, dennoch rüttelt uns das Auf und Ab des Schlauchbootes bei einer Geschwindigkeit von gut 20 Knoten gehörig durcheinander.
Das Ziel der halbstündigen Bootsfahrt taucht schemenhaft im Dunst vor uns auf. Rostiger Stahl - meterhoch ragt er aus der grauen Nordsee empor. Ein paar Seevögel fliegen auf. Charakteristische weiße Kotspuren auf dem rostroten Torso signalisieren, dass sie häufiger auf dem Wrack eines Schiffes hocken, das vor knapp 20 Jahren die Schlagzeilen bestimmte: Im Oktober 1998 strandete vor der nordfriesischen Küste der Holzfrachter Pallas und löste die größte Ölpest in der Geschichte des Wattenmeers aus. Viel vom Wrack ist heute nicht mehr übrig.

"Mahnmal der Nordsee"

"Von diesen 180 Meter sieht man jetzt vielleicht noch 20 Meter, die in der Mitte auseinander gebrochen sind, was von den Vögeln jetzt als Brutplatz genutzt wird. Und über die nächsten Jahre wird der Rest dann auch versanden bzw. verschwinden. Ein Kollege hat das mal bezeichnend dargestellt: Das ist das Mahnmal der Nordsee, und wenn man die Bilder so sieht, das trifft das ziemlich gut."

André Blötz zählt zur "Maritimen Ermittlungs- und Fahndungsgruppe bei der Bundespolizei-See". Sein Einsatzschiff, die "BAD BRAMSTEDT", wartet eine halbe Stunde entfernt auf uns, draußen auf der Nordsee vor Amrum. Aufgabe der Küstenwache ist es unter anderem, Umweltsünder aufzuspüren, die illegal Ölrückstände oder andere Umweltschadstoffe in Nord- und Ostsee einleiten, aber auch, Wagemutige davon abzuhalten, auf das Wrack der Pallas zu klettern. "Betreten Verboten" - die Botschaft ist klar.
Das Wrack der Pallas
Im Oktober 1998 strandete vor der nordfriesischen Küste der Holzfrachter Pallas und löste die größte Ölpest in der Geschichte des Wattenmeers aus. © Bundespolizei See
Respektvoll halten wir knapp 100 Meter Abstand, obwohl wir jetzt - bei Hochwasser - ganz nah ranfahren könnten. Doch André Blötz will kein Risiko eingehen, wir wissen ja nicht, wie es unter Wasser aussieht. Was wir jetzt von der Pallas noch sehen, sind die rostigen Reste der Aufbauten. Besonders markant der vordere Teil, der dominant aus dem Wasser ragt. In der Mitte eine Bruchstelle, und im hinteren Teil scheint ein überdimensionierter Nagel zu stecken:
"Und hinten sieht man noch einen Dalben - das wurde genutzt, um das Wrack zu fixieren, damit das in dieser Position vor Ort bleibt."
Seit fast 20 Jahren hält der Dalben das Wrack fest und hat dabei so manchem Orkan getrotzt. Bei guter Sicht ist das "Mahnmal der Nordsee" von der Hallig Hooge aus gut zu erkennen.
Der Bürgermeister auf Hooge hat sich an den Anblick inzwischen gewöhnt. Die Erinnerung an den ersten Sichtkontakt jedoch, damals im Oktober 1998, den wird Matthias Piepgras nie wieder vergessen:
"Ja, das war natürlich eine etwas beunruhigende Situation. Von Hallig Hooge aus konnte man das brennende Schiff sehen. Wenn man die Nachrichten hörte, dann war das auch ein bisschen desaströs: Wer schleppt dieses Schiff nun ab? Wer hat die Verantwortung? Das war uns insgesamt alles nicht sehr geheuerlich. Also natürlich kam hier Öl an, natürlich war die Belastung hoch, natürlich gab es verölte Vögel. Das war aber nach einer gewissen Zeit vorbei."

16.000 tote Seevögel

Rund 16.000 Seevögel sind damals krepiert, vor allem vor Amrum: Enten, Gänse, Möwen und viele andere Seevögel mehr. Allesamt starben sie qualvoll im zähen Treibstoffgemisch der Pallas. Das Schiff war kein großer Öltanker, sondern lediglich ein Holzfrachter, der vor Amrum zerbrach und rund 100 Tonnen seines Treibstoffs verlor. Gerade mal 100 Tonnen - vergleichbar wenig, dennoch genug, um die größte Ölkatastrophe im Wattenmeer auszulösen. Die Sorge, dass so etwas erneut geschieht, vielleicht noch in größerem Ausmaß, ist weit verbreitet in den Küstengemeinden.
Matthias Piepgras hofft, dass so etwas nie wieder passieren möge. Und ärgert sich zugleich über die schleichende Ölpest, die ihn und seine Mitbewohner auf der Hallig hin und wieder beschäftigt:
"Was wir ab und zu auch nach wie vor haben, sind auch weitere Belastungen, die jetzt auch noch kommen, wenn Schiffe ihre Tanks waschen. Auf Hooge ist das zum Glück: Wir liegen nicht ganz so in der Strömung, dass es uns als erstes erwischt, sondern das ist dann eher Amrum und Föhr. Aber wir bekommen auf Hooge auch ein bisschen was weg.
Für uns selber ist es aber natürlich eine belastende Situation. Es gibt überhaupt keine Kosten bei den Gemeinden, die da getragen werden. Wir können keine Rechnungen schicken, für die Arbeiten, die dort geschehen. Das ist einfach nachher kommunale Aufgabe. Strandreinigung ist nicht nur lästig, sondern auch eine sehr teure Angelegenheit."

Barfuß am Strand spazieren gehen, mit jedem Schritt zentimetertief im nassen Sand versinken, das auflaufende Wasser um die Füße spielen lassen - welch ein Wohltat. Und dann das: Etwas Klebriges bleibt an den Sohlen hängen! Pechschwarz und eklig. Eine dünne Schicht Altöl war unter dem Sand verborgen. Auch Hans-Ulrich Rösner kennt das Problem - von Kindesbeinen an:
Die Ostsee vor Travemünde. Am Horizont ist ein Frachtschiff zu sehen.
Trotz Kontrollen aus der Luft lassen machen Schiffe Altöl in der Ostsee ab.© AFP / Olivier Morin
"Bei mir geht es zurück bis zur Zeit, wo ich als Kind auf der Insel Wangerooge Urlaub gemacht habe - das war in den 60er- und Anfang der 70er-Jahre - wie damals in jeder Pension, in jeder Unterkunft am Eingang eine Terpentinflasche stand, mit einem alten, abgenutzten Lappen, wo praktisch jeder, der barfuß am Strand war und in die Ferienunterkunft kam, sich erstmal die Füße damit abgewaschen hat. Und was hat er sich da abgewaschen? Man hat sich Öl von den Füßen abgewaschen. Also, man hatte eigentlich immer Öl an den Füßen!"
Hans-Ulrich Rösner ist Biologe und arbeitet seit Jahrzehnten für die Naturschutzorganisation WWF in Husum an der Westküste von Schleswig-Holstein. Das unbestechliche Gedächtnis der Gezeiten spült auch hier immer wieder Öl an die Strände. Naturschützer schätzen, dass 30 Prozent aller tot aufgefundenen Seevögel in der Deutschen Bucht wegen solcher Ölsünden sterben müssen.
Wie viel es in absoluten Zahlen jedoch sind, viele tausend oder gar noch mehr, das weiß auch Hans-Ulrich Rösner nicht:
"Man kann diese Zahl ganz, ganz schwer ermitteln, weil ja keineswegs alle verölten Vögel überhaupt an Land anspülen, sondern viele gehen auf See schon irgendwie unter. Und von denen, die an Land anspülen, wird nur ein kleiner Teil gefunden. Man hat einige Probestrecken: Hier auch im Wattenmeer gibt es ja mehrere Monitoringstrecken, wo so etwas gezählt wird, aber von diesen wenigen Plätzen muss man auf die gesamte Nordsee hochrechnen ... präziser kann ich das nicht sagen."
Ölverschmierte Seevögel und Teerklumpen am Spülsaum der Strände - dieses Problem ist so alt wie die motorisierte Schifffahrt selbst. Frühzeitig ist versucht worden, durch eine Reihe von internationalen Abkommen die Meere besser zu schützen.
Das wichtigste davon hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO bereits 1973 verabschiedet und 1978 erweitert. Dieses Abkommen heißt MARPOL. Das Kürzel steht für Marine Pollution. Ziel ist es, die Wasser- und Luftverschmutzung durch Schiffe weltweit zu reduzieren - also auch in Nord- und Ostsee, die als Sondergebiete ausgewiesen sind. Hier dürfen überhaupt keine Ölrückstände ins Wasser gelangen.

Überwachung aus der Luft

Seit 2003 sind Schiffsführer verpflichtet, die zu entsorgende Menge an Ölresten und Müll an Bord anzumelden, bevor sie einen Hafen in der Europäischen Union anlaufen. Allein im Hamburger Hafen sind etliche Entsorgungsschiffe Tag und Nacht im Einsatz, um Ölreste aufzunehmen. Gestaffelt nach Schiffsgröße zahlt jeder Kapitän für die Entsorgung ein Pauschalentgelt - egal, ob er nun Ölrückstände und Müll abgibt oder nicht.
Außerdem muss er in einem "Öltagebuch" genau protokollieren, wann er wo welche Menge Öl aufgenommen und wieder abgegeben hat. Doch selbst mit einer Gratisentsorgung ließe sich nicht jedes schwarze Schaf bekehren, bedauert Stefan Lutter vom WWF:
"Kostenfrei alleine ist nicht der Punkt. Es muss schnell gehen, es muss gut angeboten werden, denn `Zeit ist Geld´ in diesem Schifffahrtsgeschäft. Und der Kapitän muss aber auch ein Buch führen: Wieviel Öl er aufgenommen hat, abgegeben hat usw. Und wenn da eine Lücke klafft, dann wird die Wasserschutzpolizei auch in den Häfen bei den Kontrollen stutzig."
Im Hamburger Hafen zum Beispiel kontrolliert die Wasserschutzpolizei solche Öltagebücher stichprobenhaft, mehrere hundert Mal im Jahr. Verglichen mit den mehr als 12.000 Schiffen, die jährlich im Hafen anlegen, ist das zwar nur ein Bruchteil. Doch werden die Hafenkontrollen flankiert durch intensive Überwachung vor den Küsten - vor allem auch aus der Luft.
Der Wettergott meint es heute gut mit Volker Kluge und seinen Kollegen von der "Maritimen Ermittlungs- und Fahndungsgruppe bei der Bundespolizei-See". Strahlender Sonnenschein begleitet die Beamten an Bord ihres Superpuma-Hubschraubers auf ihrem Kontrollflug über das Graublau der Ostsee. Noch trübt der Morgendunst die Sicht zwischen Fehmarn und der dänischen Insel Lolland. Doch Volker Kluge ist guter Dinge, dass sich das bald ändert.
Der Beamte blickt durchs Fenster und hält Ausschau nach Ölflecken auf der Ostsee:
"Wenn wir also ein Fahrzeug antreffen, das gerade eine Gewässerverunreinigung begeht, wird der Kapitän über das sogenannte UKW-Seefunkgerät angesprochen. Alle Schiffe stehen dort auf einem Kanal und dann wird auf einen Arbeitskanal geschaltet und dann wird das Schiff aufgefordert, sofort das Einleiten zu stoppen. Und es wird natürlich befragt: Wo kommt es her? Wo geht es hin? Welche Ladung hatte es zuletzt? Wo hat es diese gelöscht? etc."
Morgens um sieben ist der marineblaue Superpuma am Stützpunkt in Neustadt in Holstein gestartet. Gut eine Stunde wird der Flug entlang der deutschen Ostseeküste an Fehmarn vorbei nach Rügen dauern.
Sofern es das Flugwetter zulässt, schickt die Bundespolizei mindestens einen Hubschrauber täglich auf Patrouille. Zusätzlich fahnden zwei Dornier-228-Marineflieger des Havarie-Kommandos Cuxhaven nach Verschmutzungen auf Nord- und Ostsee. Die Propellermaschinen sind mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, denen auch bei typisch norddeutschem Schietwetter mit Nebel oder Nieselregen nichts entgeht, sagt Dirk Reichenbach:
"Sie können links und rechts vom Flugweg 40 Kilometer zu jeder Seite mit Radar abdecken. Damit bekommen Sie frühzeitig Informationen über Wellendämpfung. Öl dämpft das sogenannte Kapillarwellensystem. Das sind diese feinen, kräuseligen Wellen, die oben auf der eigentlichen Welle aufliegen und diese Dämpfung kann man dann im Vergleich auf diesen Radarbildern sehen."
Dirk Reichenbach betreut beim Havarie-Kommando in Cuxhaven die Luft- und Satellitenüberwachung über Nord- und Ostsee. Der Chemiker muss bei Auswertung der Bilder schnell entscheiden können: Was ist Ursache für die Wellendämpfung auf dem Meer? Ausgelaufenes Öl? Oder doch nur ein Algenteppich? Diese Unterscheidung wäre sogar bei stockfinsterer Nacht möglich - dank weiterer Sensoren an Bord der Do-228:
"Auch nachts werden Nahbereichssensoren eingesetzt. Das sind Infrarot-Sensoren zum Beispiel, oder auch Ultraviolett, wobei letzterer braucht noch eine gewisse Menge an Resttageslicht, und damit können wir dann klar differenzieren: Handelt es sich um Algen? Handelt es sich um Öl oder um andere Schadstoffe?"

Beobachtung aus dem All

Die Infrarot- und Ultraviolett-Scanner an Bord sind in der Lage, aus 300 Metern Höhe Ölflecken auf dem Wasser aufzuspüren, die gerade einmal dreieinhalb Meter klein sind. Auf der Suche danach überfliegen Turboprops mindestens einmal pro Tag Nord- und Ostsee. Ihr Flugplan: regelmäßig, aber unstet. Kein Außenstehender weiß vorher, wann und wo genau die Flugzeuge auftauchen. Flankiert wird diese Überwachung durch eine Beobachtung aus dem Weltall.
Die EMSA, die "Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs" übermittelt regelmäßig Satellitenaufnahmen von Nord- und Ostsee an das Havarie-Kommando. Die Satelliten können mit ihren Radarsensoren auch bei Nacht, Nebel und dichter Bewölkung Ölflecken auf dem Wasser aufspüren:
"Das sind alles Orbital-Satelliten, die auf Umlaufbahnen sind. Aber auch hier gibt es kein Schema, wann der Satellit kommt. Den Satellit benutzen wir auch eher als Trigger, weil er Bilder liefert mit 300 mal 300 Kilometer Größe. Das heißt, ich habe sehr schnell einen guten Überblick über den gesamten Bereich der deutschen AWZ im Bereich der Nordsee; also der Ausschließlichen Wirtschaftszone und kann dann - wenn dort etwas gesehen wird - gezielt meine Einsatzmittel einsetzen. Aber es ist kein Instrument, auf das wir uns jetzt ausschließlich verlassen."
Sobald diese "Augen aus dem Weltall" den Verdacht einer Gewässerverschmutzung nähren, wird die Kaskade der Kontroll- und Fahndungsorgane aktiviert. Die Schiffe der Küstenwache von Bundespolizei und Zoll zählen dazu, aber auch die Wasserschutzpolizei der Bundesländer, und letztlich auch die fliegenden Ölpatrouillen in ihren Superpuma-Hubschraubern.
Patrouille der Küstenwache
Patrouille der Küstenwache© Bundespolizei See
Zwei kleinere Frachtschiffe stehen jetzt im Fokus der Ölpatrouille. Der Hubschrauber nähert sich, hält aber seine Flughöhe. "Präsenz demonstrieren ohne zu provozieren" lautet die Devise.
Einen Ölsünder in flagranti zu ertappen, ist heute eher unwahrscheinlich. Bei strahlendem Sonnenschein und relativ guter Sicht ziehen Tanker und Containerschiffe ihre Bahnen auf der Ostsee. Die Riesenpötte zerteilen die See und lassen das Wasser zu beiden Seiten wegschäumen. Wie mit dem Lineal gezogen legt sich das Weißgrau ihres Kielwassers aufs Blau der Ostsee. An diesem Morgen will da unten keiner Öl loswerden, davon ist Volker Kluge überzeugt:
"Meistens passiert sowas natürlich bei Nacht oder bei schlechter Sicht, denn die Kapitäne wissen ja, dass wir täglich dort herumfliegen und unsere Schiffe dort herumfahren. Außerdem werden auch Satellitenüberwachungen geflogen und wir klären diese Verschmutzungen dann auf und ziehen entsprechende Proben."
An Bord des Hubschraubers haben die Bundespolizisten kleine, halbtransparente Plastikbehälter, kaum größer als Zahnputzbecher. Im Verdachtsfall lassen sie die aus luftiger Höhe an einer langen Leine zu Wasser. Die gezogenen Proben müssen später aussagekräftige Analyseergebnisse liefern, die bei einem möglichen Prozess dann auch den Richter überzeugen sollen. Die Beamten an Bord gehen daher sehr methodisch vor:
"Dann nehmen wir vom Hubschrauber aus eine Gewässerprobe. Es wird eine Vergleichsprobe, eine sogenannte Klarwasserprobe genommen, abgesetzt von der Verunreinigung. Und dann ein bis zwei Proben aus der Verunreinigung und machen entsprechend auch Fs dazu. Sollte der Verursacher dabei sein, wird auch ein Video gedreht mit der Ölspur, die direkt zum Schiff führt, da darf also keine Unterbrechung drin sein. Und dann werden auch Vergleichsproben auf dem Schiff genommen, sei es durch ein Schiff von uns, das in der Nähe ist, von der Bundespolizei oder von der Küstenwache direkt, oder eben in einem Hafen oder in der Schleuse in Brunsbüttel oder Kiel - da kann man auch die Schiffe betreten und Vergleichsproben nehmen."
An Bord eines ertappten Ölsünders zu gehen, das wäre dann Sache der Kollegen auf den Schiffen der Küstenwache. Volker Kluge und die Beamten an Bord des Super-Puma setzen derweil ihren Kontrollflug fort, weiter entlang der deutschen Ostseeküste, Richtung Rügen.
Die aus dem Wasser von Ost- und Nordsee genommenen Ölproben landen in Hamburg beim BSH, dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Dort kann die Umweltanalytikerin Uta Kraus herausfinden, woher das Öl genau stammt. Denn Erdöl ist nicht gleich Erdöl. Jede Probe enthält bestimmte Biomarker, die Hinweise geben auf die Quelle des Erdöls. Das ist vergleichbar mit den Fingerabdrücken eines Menschen:
"Erdöl ist entstanden ursprünglich aus Pflanzenmaterialien, diese Pflanzenmaterialien haben bestimmte Biomarker hinterlassen, die heute im Öl teilweise noch zu finden sind. Das ist einmal die Möglichkeit, über den Ursprung des Öls Aussagen über den Öltyp zu treffen und auch über das Öl speziell. Und gleichzeitig bei raffinierten Produkten hinterlässt die Raffinierung des Öls selbstverständlich auch noch Spuren, die auch wiederum in die Charakterisierung des bestimmten Öls einfließen können."

Recherche in der Öldatenbank

Bei der Analyse verdampfen einzelne Komponenten des Öls je nach Siedepunkt früher oder später. Das Ergebnis sind Messkurven – und die sind charakteristisch für eine bestimmtes Öl und seine Herkunft. Stimmen die Messprofile der Proben aus Tank und verschmutztem Wasser überein, ist Uta Kraus ein gutes Stück weiter.
Bei ihrer Fahndungsarbeit kann sich die Öl-Detektivin auf ein umfangreiches Archiv stützten. Ihr Vorgänger hat bereits vor 40 Jahren eine Öl-Datenbank aufgebaut - weltweit einzigartig und mittlerweile auch global vernetzt:
"Das heißt, wir verfügen über mehrere tausend Proben. Wir verfügen über mehrere hundert Rohöle. Wir können aber heute nicht nur auf den Stamm von den Proben zurückgreifen, die wir hier haben, sondern anhand einer Datenbank, die heute online-basiert zur Verfügung steht und auch diesen Fingerprint-Abgleich ermöglicht, arbeiten wir mit 20 Laboren heute weltweit zusammen, die alle ihre Daten in diese Datenbank eintragen. Das heißt, weltweit kommen neue Erkenntnisse dazu, es werden neue Rohöle eingespeist und diese Daten stehen dann der gesamten Ölforensik zur Verfügung."
Mit Hilfe dieser Datensätze können die Ermittlungsbehörden mit der Rasterfahndung beginnen. Wenn bekannt ist, aus welchem Ölfeld die Probe stammt, wird ermittelt, welcher Tanker eben dieses spezielle Öl über See transportiert und seine Tanks ausgespült haben könnte. Die Fahnder nutzen dabei auch Kenntnisse über den Verlauf von Schiffsrouten und Meeresströmungen, sagt Stephan Lutter vom WWF:
"Man kann natürlich mit Hilfe von Kombinationsdaten über Satelliten-Überwachung über den Fahrweg von Schiffen - die ja alle ein Satelliten-Signal abgeben müssen - rekonstruieren, wo ein Ölfleck herkam. Oder eben auch durch Ausbreitungsmodelle von Ölteppichen an der Meeresoberfläche aufgrund von Wind und Strömungen. Dafür gibt es gerade hier in Deutschland am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie präzise Modelle, auch so kann man verfolgen, wo ein solches Öl hergekommen sein muss."
Für die Kapitäne von Öltankern ist es schwieriger geworden, ungestraft auf Nord- und Ostsee die Tanks mit Seewasser zu reinigen. Um Ölsünder zu fassen, wäre aber die grenzüberschreitende Strafverfolgung zu verbessern, sagt Stephan Lutter vom WWF:
"Das ist nicht selbstverständlich, dass eine Ölverschmutzung in deutschen Gewässern, in der deutschen 200-Seemeilen-Zone automatisch zu einer Verfolgung führt, wenn dieses Schiff in britische oder in niederländische Gewässer fährt. Und da müssen auch rechtliche Weichen gestellt werden. Es muss zum Beispiel auch in anderen Staaten als Straftat angesehen werden, wenn ein Schiff in Deutschland die Gewässer verschmutzt hat und umgekehrt. Das ist bisher nicht so."
Die grenzübergreifende Strafverfolgung kann also noch nicht mit der Qualität der Überwachung mithalten. Dennoch scheint das Prinzip Abschreckung zu wirken. Uta Kraus sieht das vor allem auch am Rückgang der Proben in ihrem Labor im Vergleich zu den 1980er- und 90er-Jahren:
"Früher waren es hunderte von Fällen, die pro Jahr aufgetaucht sind; heute sind es deutlich weniger. Das sehen wir auch im Labor. In den letzten Jahren haben wir im Labor auf einem erfreulichgleichbleibendem, relativ niedrigen Niveau zwischen 20 und 30 Proben im Jahr gehabt."
Diesen Trend können auch die Vogelkundler bestätigen - zum Beispiel bei der Trottellumme, den Charaktervogel von Helgoland. Dort ging die sogenannte "Verölungsrate" bei den Strandfunden seit Mitte der 1980er-Jahre deutlich zurück - von 80 auf unter 30 Prozent. Ein schöner Erfolg, sagen die einen. Fast 30 Prozent ölverschmierte Trottellumen seien aber immer noch zu viel, sagen die anderen.
Im Sektions-Container von Büsum hat Nils Guse inzwischen mit einem Skalpell die Dreizehenmöwe im Bauchbereich geöffnet. Sofort fällt ihm auf, dass die Unterhaut überhaupt kein Fett enthält und auch der Brustmuskel im Grunde nicht vorhanden ist:
"Und was man auch sehr gut sieht, ist halt, wie stark jetzt das Brustbein hier oben heraustritt. Das heißt, der Vogel ist höchstwahrscheinlich auch verhungert."
Statt Futter nehmen sie jedoch beim Putzen des Gefieders Ölrückstände auf. Das schädigt die inneren Organe, führt zu Blutungen und Entzündungen im Magen-Darmtrakt und auch die Nieren werden nachhaltig geschädigt.
"Und da kommen sie ganz schnell eben in kritische Bereiche, in Defizite, und dann passiert genau das, was wir jetzt hier sehen können. Sie verbrennen dann erst das Fettgewebe, was sie noch haben, dann verbrennen sie die Muskeln und das ist eine Spirale, aus der sie nicht mehr rauskommen und letztendlich sterben sie dann innerhalb von kurzer Zeit. Also das dauert nur zwei, drei Tage, wenn dann ungünstige Bedingungen sind, geht das dann auch noch schneller. Wenn es kalt oder stürmisch ist."

Schädigungen, die lange nachwirken

Nicht jeder Vogel kommt um beim Kontakt mit Öl im Seewasser. Nils Guses Kollegin Sabine Müller kennt Befunde von Seevögeln, die bei vergleichsweise flüchtigem Kontakt mit sehr wenig Öl zwar weiterleben und sich sogar fortpflanzen - doch es bleiben Schäden, die lange nachwirken:
"Es werden zum Beispiel die Eierstöcke geschädigt bei den Weibchen, die Eischalen-Qualität nimmt ab, also innere Schädigungen, die dafür sorgen, dass der Reproduktionserfolg nach unten geht. Und was es aber auch gibt ist, dass die Verschmutzung von außen, also Tiere, die das überlebt haben mit der Verölung, die dann auch brüten, können über das Öl im Gefieder quasi ihre Eier kontaminieren und das führt dann teilweise zu Embryonalschädigungen oder zu einer geringeren Schlupfrate und höherer Sterblichkeit."
Der Kampf auch gegen relativ kleine Flecken auf dem Wasser von Nord- und Ostsee ist also weiterhin erforderlich - und dabei darf auch nicht nachlassen, fordern Sabine Müller und Nils Guse.
Der Hubschrauberder Bundespolizei mit Volker Kluge an Bord hat eine Stelle über der Ostsee erreicht, die für große Container- und Tankschiffe besonders kritisch ist. Wenn es mal richtig krachen wird, dann höchstwahrscheinlich hier - in der Kadetrinne zwischen Dänemark und Deutschland:
"Ja, diese Kadetrinne ist zwischen Gedser und Darßer Ort. Da verengt sich das Fahrwasser und es ist eine Kursänderung von knapp 90 Grad notwendig. Und es fahren hier auch größere Schiffe und Tanker durch, die bis zu 300 Meter lang sind - da ist das schon ein Problem. Und direkt auf dänischer Seite hier haben wir eine Untiefe, da geht der Meeresboden bis auf 14 Meter hoch, also Wassertiefe nur 14 Meter und die großen Schiffe haben schon 12 bis 13 Meter Tiefgang - da wird es schon eng, teilweise."
Alljährlich zwängen sich hier viele tausend Tank- und Containerschiffe durch dieses gefährliche Nadelöhr und ständig werden es mehr.
Der Superpuma nähert sich seinem Etappenziel: dem Flugplatz Güttin auf Rügen. Keine besonderen Vorkommnisse heute. Der Pilot fliegt eine weite Rechtskurve. Im Westen sind nun die berühmten Kreidefelsen an der Nordostspitze der Insel zu erkennen. Die schäumende Brandung am Fuß der bizarren Felstürme ist so weiß wie die Kreide selbst - keine Ölflecken, keine Teerklumpen. Und dass dies so bleiben möge, ist der Wunsch aller an Bord des Hubschraubers der Bundespolizei-See.
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