Tattoo-Kunst in Japan

Die Dämonen des Horiyoshi San Daime

Der japanische Tattoo-Künstler Horiyoshi San Daime bei der Arbeit
Der japanische Tattoo-Künstler Horiyoshi San Daime bei der Arbeit © dpa / picture alliance / epa
Von Jürgen Hanefeld · 11.03.2015
Drachen und Samurai, abgeschlagene Köpfe und gepfählte Leichen: Horiyoshi San Daime ist Japans bekanntester Tattoo-Künstler - und seine Motive sind drastisch. Er fühlt sich einer Tradition verpflichtet, die im Land derzeit eine umstrittene Renaissance erlebt.
Der Meister stichelt im Verborgenen. Wer ihn besuchen will, verirrt sich leicht im Gewirr der Gassen. Sein Name findet sich an keinem der kleinen Holzhäuschen in diesem stillen Winkel von Yokohama. Nur das Geräusch, das auch aus einer Zahnarztpraxis stammen könnte, verrät ihn.
Im abgedunkelten Studio sieht man zunächst weder den Meister noch seinen Kunden. Es ist ein Kuriositätenkabinett, vollgestopft mit Bildern, Büchern, Magazinen, mit Tierköpfen und Straußeneiern, mit Kitsch und Bestien aus Plastik, mit Fabelwesen und Dämonen, mit Gruppenfotos tätowierter Männer und Frauen, mit Pin-up-Girls und Vampiren, mal pornographisch, mal okkult; mit Danksagungen der Hells Angels und den Gerätschaften, die der Meister für seine Arbeit braucht.
Pechschwarz gekleidet hockt Horiyoshi San Daime neben dem nackten Körper eines Mannes, der ausgestreckt am Boden liegt. Beine und Rücken sind bereits komplett mit Bildern überzogen, jetzt geht es um den Oberarm.
"Es ist sehr schmerzhaft, aber darum geht es ja"
"Es sticht und prickelt", beschreibt der schweißgebadete Kunde das Gefühl. "Es ist sehr schmerzhaft, aber darum geht es ja. Es auszuhalten. Das geht aber höchstens eine dreiviertel Stunde. Nicht länger."
"Die Leute empfinden das ganz unterschiedlich", sagt der Meister. "Es gibt welche, die gar nicht liegen bleiben können vor Schmerz. Das ist wie mit dem Essen. Was der eine scharf findet, ist für den anderen nüchtern."
Horiyoshi San Daime ist der Künstlername des 68-Jährigen, der eigentlich Yoshihito Nakano heißt, sich aber einer großen Tradition verpflichtet fühlt und deshalb den Namen berühmter Vorbilder angenommen hat. Horiyoshi San Daime heißt nichts anderes als Horiyoshi der Dritte. Seine Motive sind traditionell: Drachen und Dämonen, Samurai und Geishas, abgeschlagene Köpfe und gepfählte Leichen. Nicht jedermanns Geschmack, aber sehr japanisch. Sie stammen aus dem 18. Jahrhundert, als auch das Bauerntheater Kabuki und die farbigen Holzschnitte ihre Blüte erlebten - eine drastische, volksnahe Kunst in einer blutrünstigen Epoche.
"Es gibt zwar immer mehr Leute, die eine Tätowierung tragen. Aber gleichzeitig hat die Diskriminierung zugenommen. Einerseits ist es Kunst, andererseits verpönt - ein Symbol des Widerstands gegen die herrschende Klasse. In Japan darf ich meinen Körper nicht einmal am Strand zeigen, da muss ich mir immer etwas überziehen. Aber das gibt mir dann eben auch das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein."
Horiyoshi San Daime betreibt das einzige Museum für Tattoos in Japan
Auch das hält der Meister für typisch japanisch: Die Verhüllung der Schönheit sei Teil der Kultur. Wertvolles werde nicht gezeigt, sondern versteckt. Horiyoshi beschäftigt sich seit 40 Jahren mit der Kunst der Tätowierung. Bis vor fünf Jahren habe er die Motive noch per Hand gestochen, mit 45 Nadeln und in allen Farben. Damals sei er schneller gewesen als heute, wo er mit einer Maschine arbeitet, deren sieben Nadeln 0,1 bis 0,5 Millimeter unter die Haut gehen. Doch kann er genauso gut mit Bleistift oder Pinsel umgehen. Eigentlich ist alles dasselbe, sagt er:
"Ob ich auf der Haut male oder mit Bleistift auf einem Block oder mit dem Pinsel auf Seide oder Reispapier - es muss alles beim ersten Mal sitzen. Ein Strich ist ein Strich, ein Stich ist ein Stich - beides kann nicht korrigiert werden."
Horiyoshi ist Japans berühmtester Tattoo-Künstler. Und er betreibt das einzige Museum für Tattoos in Japan. Über mehrere Etagen sind in diesem Panoptikum Krimskrams und Dokumente zur Geschichte der Körperkunst ausgestellt. Tierzähne, Wildschweinborsten und Naturfarben, mit denen in traditionellen Gesellschaften in Afrika und der Südsee noch heute gearbeitet wird, bunt bemalte Menschenschädel, tätowierte Barbiepuppen und ein mannshohes Porträt des Meisters in Öl, das ihn als Ganzkörpertätowierten enthüllt.
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