Tango, Schwof und AC/DC

Von Wolf-Sören Treusch · 13.09.2013
Es ist eine der ältesten Institutionen des Berliner Nachtlebens: Clärchens Ballhaus. In der Kaiserzeit gegründet, überstand das Tanzlokal zwei Weltkriege und die Stasi-Kontrollen. Heute behauptet es sich gegen die Klub-Konkurrenz. Noch immer wird hier geschwoft wie vor hundert Jahren.
"Man findet keinen Taxifahrer in der Stadt, der nicht weiß, was Clärchens ist."

"Det gibt et nirgendwo anders. Es gibt et nich in München, nich in Düsseldorf und ooch nich in Hamburg, es gibt et nich."

"Leute, die eigentlich im Alltag relativ steif sind, fangen an, verrückt zu tanzen, singen mit. Würden sie sich sonst auch nirgends trauen, aber hier kann man es, hier darf man es."

""Gerade die Älteren sind sehr fit. Also die können tanzen, da kann man nur staunen. Ja, und wenn dann die Schuhe in die Ecke fliegen, dann weiß man, dass man gewonnen hat."

"Wenn man einmal die Woche nicht gehen kann, fehlt mir irgendwas. Also: Clärchen muss sein."

"Das ist das Ballhaus, das ist es halt."

"Clärchens Ballhaus, Klau, guten Abend. Was kann ich für Sie tun?"

Es ist früher Abend, die Ruhe vor dem Sturm. Das dunkle Parkett glänzt. Die braunen Holztische rund um die Tanzfläche sind ungedeckt, kleine Vasen mit Nelken warten auf ihren Einsatz. 250 Gäste finden im Ballsaal Platz. Hinter riesigen Säulen erstreckt sich die Bar. Wer nicht tanzt, kann sich auch hier vergnügen. Gleich neben dem Eingang befindet sich die Bühne, auf der später die Ballhaus-Band auftreten wird: ein Podest aus dunklem Holz. Die Steckdosen liegen über Putz. Unter der Decke hängt eine große Diskokugel, an den Wänden lange Streifen aus Lametta. Ihr Glitzern verleiht der angestaubten Patina des Saales etwas Schrilles. Wäre es nicht so, fühlte man sich vielleicht an ein muffiges Vereinsheim erinnert.

Klaus Schliebs: "Wir sind vollkommen ausgebucht, schon ungefähr ne Woche. Ich kann Sie bitten rumzukommen, wenn jemand nicht kommt. Mein Name ist Klaus, ich stehe an der Tür, irgendwie bin ich Ihnen dann schon behilflich."

Der Empfangschef schüttelt den Kopf.

"Juut, allet klar. Bis später. Tschau."

"Bis zu 99,9 Prozent ausgebucht"

Am Wochenende sei Clärchens Ballhaus zu 99,9 Prozent ausgebucht, schmunzelt Klaus Schliebs. Aber für die spontanen Gäste finde sich schon noch eine Lösung. Clärchens ist Kult. Und das, obwohl es so gar nicht reinzupassen scheint in die Luxus-sanierte Nachbarschaft von Berlin-Mitte. Oder vielleicht gerade deshalb?

Schliebs: "Zu Ostzeiten, da sind die Leute … oder haben sich angezogen und sind zu acht Uhr weggegangen. Heute? Die Leute sind unterwegs, gehen spazieren, und für die ist es normal, um 11 Uhr ins Ballhaus zu gehen. Das gab es damals nicht. Um elf sind früher zu Ostzeiten nur noch zwei, drei Besoffene gekommen, die man nicht mehr reingelassen hat. Aber heute kommt ein riesiger Schwung von jungen Leuten, die nett angezogen sind, die auch Geld haben, also sich ein Bier oder Wein holen können, und die kommen erst um die Zeit."

Von acht bis 88: Die Altersmischung der Besucher ist ein wesentlicher Teil des Erfolgsrezepts von Clärchens Ballhaus. Und seine altgedienten Angestellten.

Schliebs: "Ja, man muss denn schon immer auch durch den Saal gehen und gucken, ob alles in Ordnung ist, aber im Endeffekt … Ich werde im nächsten Jahr 70, ich bin ja nur noch die Dekoration. Wir haben ja Leute da, die ein bisschen kräftiger sind, und wenn Ärger ist, dann lösen die das schon. Da gehe ich nur kurz nach vorne, sage Bescheid: 'Komm mal mit und so', und dann geht das schon."

"So, wem gehört denn die rote Joppe?"

"Meine."

"Habe ich früher als FDJ-Häuptling gehabt."

Schmidtke: "Auch wenn ich gar nicht komme, kriege ich das bezahlt. Aber ich soll hier sein. Der Chef legt da großen Wert drauf. Warum, weiß ich auch nicht."

Günter Schmidtke wird nächstes Jahr 80. Sein Reich ist die Garderobe: 14 Quadratmeter, 220 Kleiderhaken. 'Den Anordnungen des Garderobenwärters ist unbedingt Folge zu leisten', steht schwarz auf weiß auf einer alten Emailletafel neben dem Tresen.

Schmidtke: "Musste dir mal Bilder ankieken, so 60er-, 70er-Jahre, wie ordentlich die Leute angezogen waren. Jetzt kaufen sie Designerhosen, da sind schon Löcher drin. Ein bisschen Anstand muss ein. Die tanzen hier, Dienstag ist hier Tanzschule, Tango und so, mit kurzen Hosen und ohne Strümpfe. So ne Beine, lange Haare dran. Sieht doch ekelhaft aus. Da kriegt doch ne Frau gar keine Gefühle, mit so einer Gurke. Verstehste das, was ich meine?"

Es wird geschwoft, was die Sohle hergibt

Mit seinem breiten Berliner Dialekt und dem geschwungenen Schnauzer wirkt Günter Schmidtke wie der letzte Preuße Berlins. Seit 1967 arbeitet er in Clärchens Ballhaus. Sein halbes Leben. Er hat Clara Habermann, die Chefin, nach der das Tanzlokal benannt wurde, sogar noch persönlich kennengelernt. Wenn sie nur alle so gewesen wären wie sie, schwärmt er.

"Ordentlich, eisern. Dat war ne richtige Eiserne Lady wie die Thatcher aus England. Die war juut."

Ein kurzer Streifzug durch die Geschichte von Clärchens Ballhaus:
Am 13. September 1913 eröffnet das Tanzlokal. Walzer, Polka, Tango - es wird geschwoft, was die Sohle hergibt. Oben im Festsaal, dem Spiegelsaal, die feinen Herrschaften, unten im Ballsaal die kleinen Leute. Der Erste Weltkrieg bereitet dem Vergnügen ein jähes Ende.

Wiedereröffnung gleich nach Kriegsende. Mit Kaffeekränzchen und Witwenbällen. Clärchen trifft den Nerv gerade der weiblichen Kundschaft. Charleston, Rumba, Swing: Auch das Tanzvergnügen kommt wieder in Schwung. Bis die Nazis die fremden Rhythmen verbieten. Die Kapelle spielt sie trotzdem. Wenn ein Nazi-Scherge im Ballsaal auftaucht, schwenkt sie mitten im Lied um und spielt einen Walzer oder Marschmusik. Das gefällt den Offizieren.

Der Zweite Weltkrieg bedeutet die nächste Zäsur. Doch schon am 14. Juli 1945, 67 Tage nach Kriegsende, mitten zwischen den Schuttbergen, macht Clärchen wieder auf.

Erneut schafft es Clärchen, in schwierigen Zeiten die Besucher anzulocken. Wie früher spielt eine Kapelle mit fest angestellten Musikern, neu im Programm sind warme Speisen. Lipsi, Cha Cha Cha, Rock 'n' Roll: Das Ballhaus brummt. Und erwirbt sich in Zeiten der sozialistischen Aufbaubewegung den Ruf, eine "Goldgrube für Kontaktsucher" zu sein. Der ideale Treffpunkt für kurze Liebesabenteuer.

Schmidtke: "Die ganzen Bauarbeiter, 30.000 hatten wir – 300 Kilometer von zuhause weg, die ganze Woche hier, na ja, dann juckte es denn mal, und dann haben sie hier … es sind ja genug Witwen und alles so … ja haben sich dann. Aber ordentlich allet."

In der DDR gilt die 60/40-Regelung. Sie besagt, dass 60 Prozent aller öffentlich gespielten Musiktitel aus sozialistischen Ländern stammen müssen. Bei Zuwiderhandlung werden 500 Mark Strafe fällig. Mehrmals muss Clärchens Kapellmeister zahlen.

Trotz Mauerbaus 1961 sind Westdeutsche und West-Berliner regelmäßige Gäste in Clärchens Ballhaus. Aber nicht nur sie. Auch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit haben das Tanzlokal im Visier. In einer Stasi-Notiz, von der eine Kopie heute im Eingangsbereich hängt, heißt es, Clärchens sei ein "bevorzugter Aufenthaltsort leichtlebiger Personen – beiderlei Geschlechts".

Kellner (1989): "Wir sind flexibel, beweglich. Also bei uns gibt’s keine Steifheit, wir sind …"

"Bei Ihnen ist der Kunde König."
"… frisch, fromm, frei. Der Kunde ist hier König, und das sehen Sie ja an der Masse hier. Die ersten stehen um 16 Uhr an, und um 19 Uhr machen wir auf."

Nach der Wende bleibt die alte Kundschaft weg

Schliebs: "Wir hatten denn hier so bis zwei Uhr auf zu Ostzeiten. Und dann hatte der West-Berliner also hier so ne Maiblume kennengelernt und hatte ihr dann ein Tütchen mitgebracht mit paar kleine Strümpfe drin und ein bisschen Seife und fürs Kind ein bisschen Schokolade. Na ja, kurz vor zwölf haben die Schwarz-Taxen hier vor der Tür gestanden, und denn ist sie mit ihrer Tüte mitgefahren zur Friedrichstraße und hat dann am Übergang auf ihn gewartet. Der kam ja dann gleich wieder zurück. Der musste ja noch mal neu Eintritt zahlen und wieder einreisen. Und dann war einfach die Geschichte so: Wenn sie noch nicht so lustig waren zum Trocadero-Teil, dann sind sie hier noch mal hergekommen und haben hier noch mal ein, zwei Stündchen getanzt. Oder sie sind dann von da aus mit der Taxe gleich nach Hause gefahren, und der hat ein spätes Abendbrot genommen und ein bisschen 'La Paloma Blanca' gehört oder irgendwas."

Am 9. November 1989 fällt die Mauer. Und mit ihr Clärchens Alleinstellungsmerkmal als Goldgrube für Kontaktsucher. Die alte Stammkundschaft aus Ost-Berlin und Umgebung bleibt weg, neugierige, junge Besucher aus dem Westen werden angelockt. Sehr zum Leidwesen der übrig gebliebenen Gäste aus dem Osten.

Zwei weibliche Gäste (1990): "Man kann ja auch den Ausweis zeigen vorne. Ich meine, man sieht doch, ob derjenige 20 oder ob er 40 ist. Das müsste man wirklich machen hier. Denn Sie sehen ja die Männer: Wenn hier so ein 20-jähriges Mädchen ankommt, die gucken doch zum 20-jährigen Mädchen und nicht zur 40-jährigen Frau. Ist doch logo."

Der Tanzbetrieb in Clärchens Ballhaus schleppt sich dahin. Die Zahl der Besucher schrumpft zügig, den verschiedenen Pächtern fehlen die finanziellen Mittel, vor allem aber die Ideen, wo und wie sie das Tanzlokal inmitten der neuen Gesamt-Berliner Klub- und Kneipenszene positionieren. Bis zum Jahr 2004.

Dann geschieht das, was Empfangschef Klaus Schliebs heute den "glücklichsten Zufall, der sein konnte" nennt. Clärchens Erbe verkauft das Haus, und der Käufer verpachtet es an zwei quirlige Nachwende-Kulturgestalter, an den Maler David Regehr und den Schauspieler Christian Schulz.

Schliebs: "Na ja, und der Christian, der hat sofort gesehen, draußen den Garten, ist doch wunderbar. Rollrasen hin, Blumen hin, der Laden ist voll. Oben, was wie eine Bruchbude aussah, wo kein Mensch hinkam, Fußboden reingelegt, Tisch und Stühle hingestellt für Feiern, wunderbar."

Schulz: "Na, wir haben es vor allen Dingen vorgefunden als verwahrlost. Das wurde nicht mehr mit Liebe behandelt. Dem wurde nicht mehr der Respekt entgegengebracht, den man einem Haus mit so einer langen Geschichte eigentlich zollen sollte."

Gleich um die Ecke hatten Christian Schulz und David Regehr mit großem Erfolg ein Open-Air-Theater und die erste Strandbar Berlins eröffnet. Nun also, im Jahr 2005, lassen sie viele Container Schutt aus Clärchens Ballhaus abtransportieren. Mit dem einzigen Ziel, auch tagsüber Leben in die Bude zu bekommen. Ein Biergarten muss her. Genau dorthin, wo die Alliierten am 3. Februar 1945 das Vorderhaus weggebombt haben. Ein Biergarten mit einem universal gültigen Speisenangebot.

Schulz: "Der Pizzaofen war eine der ... oder die Pizzeria an sich eine der Sachen, die wir schon vorher gemacht haben und die in Berlin sehr großen Anklang fanden. Und da es am Anfang schwierig war und es eine Riesenaufgabe war, das Ballhaus zu beleben, haben wir gedacht, wir nehmen eines unserer Erfolgspferde mit rein. Es ist nachvollziehbar, dass es der eine oder andere als ungewöhnlich bis fremd wahrnimmt. Ich finde es nicht, und ich kann Ihnen sagen, wir verkaufen viel Pizza."

Der Charme des Verfallen zieht an

Und das inzwischen fast rund um die Uhr. 60 Angestellte arbeiten für den Betrieb. Der Jahresumsatz, so liest man, beträgt drei Millionen Euro. Allein an einem Wochenende kommen um die 2.000 Gäste. Manch einer nur, um sich die bröckelnde Fassade des vierstöckigen Gebäudes anzuschauen. Ein echter Hingucker, sagt Christian Schulz, und das solle auch möglichst so bleiben.

"Weil wir eben der Meinung sind, dass dieses Haus am besten funktioniert, wenn die Spuren der Geschichte ganz deutlich sichtbar sind. Es ist eben ein Unterhaltungsort, ein Ort der Unterhaltung, und dann darf man schon ein bisschen was sehen. Schön sanieren kann man andere Häuser. Oder beziehungsweise anders herum gesagt: Die ganze Straße ist saniert, das ist das letzte Haus, was noch so ist, wie die Zeit es hergestellt hat, und das ist, glaube ich, eine der Attraktionen dieses Hauses."

Schmidtke: "Die Ruine findet so einen Anklang. Die stehen immer fassungslos davor, die Busse und die ganzen Touristen: Och, lass det bloß so. Jaah. Ick finde es auch so juut. Ick finde es schön so. Das ist Nostalgie."

Empfangschef: ""Kommen Sie mal bitte mit? Hinter dem Ofen, der zweite Tisch. Sind schon viele da."

Es ist Samstagabend, acht Uhr: Langsam füllt sich der Ballsaal. Der Empfangschef hat alle Hände voll zu tun. Marion Kiesow braucht er nicht mehr zu begleiten. Sie hat ihren Stammtisch. Seitdem Clärchens Ballhaus unter neuer Leitung steht, geht sie hier regelmäßig tanzen. Fast jeden Freitag oder Samstag. Sie mag den Trubel am Wochenende. Wie war das erste Mal?

"Hatte eine Freundin zur Verstärkung mit und, ja, bin in eine vollkommen neue Welt eingetaucht. Das hatte ich Jahre nicht, dass mich jemand unterhakte und zum Platz bracht. Ich wurde platziert, und der ganze Saal war in so einer Wartestimmung. Es war so 20 Uhr, der Tanz hatte noch nicht angefangen, und ich war sehr gespannt, wie es weitergeht. Dann fingen so einzelne Paare an zu tanzen, die konnten das auch alle sehr gut, und so langsam löste sich das auf, und es war interessant zu sehen, wie sich der Abend entwickelt hat."

Marion Kiesow ist nicht nur begeisterte Besucherin. Im Frühjahr hat sie im Nicolai-Verlag auch ein Buch über die Geschichte von Clärchens Ballhaus veröffentlicht. 418 Seiten stark, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen. Und dem ultimativen Hinweis: "Das Lesen dieses Buches ersetzt nicht den Besuch im Ballhaus!"

Eine "fast schon familiäre" Atmosphäre

Kiesow: "Jeder, der den Saal abends betritt, fühlt sich sofort erinnert an Säle, die man früher vielleicht schon als Kind ... also an so nen Saal auf dem Dorf. Es kommt einem sehr vertraut vor. Und das führt dazu, dass sich die Leute hier, es hört sich vielleicht komisch an, sicher und geborgen fühlen. Das ist ein gemütlicher, großer Saal, mit freundlichem Personal – wenn man hier länger hergeht: schon fast familiär. Und das ist was vollkommen anderes, als wenn ich jetzt in irgendeinen schön gestylten Klub gehe. Das ist immer was Neues, da muss ich mich auf was Neues einlassen, und hier bei Clärchen findet man einfach was Vertrautes, was Bekanntes."

Um zehn Uhr kommt der Ballsaal langsam in Schwung. Fast alle tanzen solo, für Paartanz fehlt am Wochenende der Platz. Die älteren Gäste, heute sind es Frauen um die 50, sitzen am Rand und warten ab, bis auch für sie etwas dabei ist. Die Musikmischung reicht von Andrea Berg bis AC/DC, von altgedienten Schlagern bis zu aktuellen Chart-Hits. Auch diese Nacht, so viel ist sicher, wird das Partyvolk viele kurze Momente des Glücks erleben.

Verantwortlich dafür ist DJane Clärchen, mit bürgerlichem Namen Heide Rabe. Seit 2005 legt sie hier auf. Andere DJs orientieren sich an ihrem Mix. Sie ist stolz darauf, dem Haus ihren Stempel aufgedrückt zu haben:

"Das zeigt auf jeden Fall, dass in diesen Mauern, warum auch immer, eine große Toleranz steckt. Die man so woanders in meinen Augen nicht findet. Sowohl zwischen alt und jung als auch zwischen irgendwelchen Hipstern oder Leuten, die eben nicht so viel Geld haben, die dann auch mal eine fiese 80er-Jahre-Klamotte tragen, einfach weil sie es nicht anders können, beziehungsweise irgendwelchen Superprominenten, die wir hier natürlich auch haben, und, ja, eben ganz normalen Leuten. Ja, und wenn dann die Schuhe in die Ecke fliegen, dann weeß man, dass man gewonnen hat."

Und dass der Laden seinen Spitznamen zu Recht trägt: Bärchens Knallhaus. Davon weiß auch Günter Schmidtkes Tochter Ilka zu berichten. Sie arbeitet seit 22 Jahren für Clärchens, unter anderem als Toilettenfrau.

"Da war ein älterer Herr, ich sage mal zwischen 75 und 80. Und der fragte mich, ob ich Kondome habe. Ja, hatte ich. Und natürlich, er hätte ja in dem Sinne mein Vati sein können. So, natürlich, gab ich ihm einen rüber. Sagt er: 'Nee Mädel', sagt er,'Jibb mir fünfe oder sechse, die Nacht ist lang. Ich habe hier ne Frau kennengelernt'. Ich bin bald gestorben. 'Was kriegen Sie denn dafür?' Ich sage: 'Nee, haben Sie mal nen schönen Abend.' Und dann bin ich hinten auf den Hof rauchen gegangen, weil ich einen knallroten Kopf hatte."

Der Spiegelsaal im ersten Stock ist das Prunkstück des Hauses. 60 Jahre lang hatte er als Rumpelkammer gedient, nun sind ein neuer Parkettboden verlegt und die Heizungsanlage modernisiert worden. Ansonsten sieht der Saal aus, wie er 1945 verlassen wurde: Die großen Spiegel an den Wänden haben Risse, der Stuck an der Decke ist unvollständig. Wenn man das Licht in dem Saal geschickt inszeniert, entwickeln die Wandreliefs und Ornamente von damals einen eigenen Zauber.

Inzwischen wird hier zwei bis drei Mal im Monat Tango getanzt. Wie vor hundert Jahren, als die feinen Herrschaften an dieser Stelle übers Parkett schoben. Nun tun es ihnen die Tanzpaare von heute nach, voll konzentriert und ganz bei sich. Und spüren dabei den besonderen Kick.

Tanzpaar: "Ja, das ist sicher verblichener Glanz, nicht? Aber das passt natürlich auch gut zum Tango. Ganz besonders gut zum Tango, finde ich zumindest, ne."

Der Spiegelsaal ist sozusagen das Premiumprodukt von Clärchens Ballhaus. Tom Cruise und Quentin Tarantino drehten hier Szenen für ihre Filme "Operation Walküre" und "Inglourious Basterds". Private Hochzeitsfeiern und Firmenevents finden ebenfalls hier statt. Kurzum: Mit dem Spiegelsaal verdienen die Betreiber richtig viel Geld.

Das ist nötig, findet Christian Schulz. Damit er bei künftigen Jubiläen ähnlich optimistisch in die Zukunft blicken kann wie die damalige Betreiberin Elfriede Wolff in einer Sendung des DDR-Rundfunks 1989.

"Im vorigen Jahr haben wir unser 75-Jähriges gefeiert, es ist also ein altes Haus, es hat sich auch noch nichts weiter verändert, und ich hoffe, dass wir noch 25 Jahre erhalten bleiben."

Moderator" "Es möchte für Berlin etwas mehr werden."

Schulz: ""Im Moment fühlt es sich an, als wenn da kein Ende in Sicht ist. Das ist so ein Juwel, das ist für jedermann erkennbar, wie original das ist, wie unangestrengt echt. Da muss schon viel Schlimmes passieren, dass das verschwindet, glaube ich."