Tagung zum Redenschreiben

Die Macht des Wortes in postfaktischen Zeiten

Jacqueline Schäfer
Jacueline Schäfer, Redenschreiberin und Präsidentin des Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache © Deutschlandradio / Manuel Czauderna
Jacqueline Schäfer im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.04.2017
Den Zuhörer packen, Emotionen erzeugen - darin liegt die Kraft einer guten Rede. In postfaktischen Zeiten müsse man bei Ansprachen zudem eine klare Haltung zeigen, sagt die Redenschreiberin Jacqueline Schäfer. So könnten auch Politiker verlorenes Vertrauen zurück gewinnen.
Dieter Kassel: Pointierte und möglichst trotzdem inhaltlich sinnvolle Anmerkungen in maximal 140 Zeichen. Das müssen Wirtschaftsvertreter und Politiker heute auch beherrschen, sonst gehen sie ja im Internet unter. Aber die ausführlichen Reden, also wirklich Reden von einer Länge von, sagen wir mal, 30, 60, im Extremfall vielleicht sogar mal 90 Minuten, das ist noch nicht vorbei, das wird von Frauen und Männern in gewissen Positionen auch noch immer erwartet.
Und deshalb gibt es natürlich auch noch immer Profis, die solche Reden schreiben. Profis wie Jaqueline Schäfer. Sie ist, wie gesagt, selbst Redenschreiberin, und sie ist die Präsidentin des Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache. Und sie ist jetzt bei mir im Studio. Schönen guten Morgen!
Jacqueline Schäfer: Schönen guten Morgen!
Kassel: Auf der Tagung, die in Berlin heute stattfindet, geht es um verschiedene Aspekte des Redenhaltens und -schreibens. Es gibt aber auch, gleich heute Vormittag, glaube ich, einen Vortrag zum Thema "Redenschreiben in postfaktischen Zeiten". Da frage ich mich, geht es denn bei einer guten Rede überhaupt in erster Linie um Fakten?
Schäfer: Es soll natürlich auch um Fakten gehen. Es hängt immer davon ab, welche Rede halte ich. Wenn ich eine Hochzeitsrede halten würde beispielsweise für die Tochter oder den Sohn, dann sind Fakten vielleicht weniger wichtig. Wenn ich aber im Bundestag rede, wenn ich politische Reden halte, dann sollte es natürlich nicht fern von Fakten sein.
Und im Moment kommt es vor allem auch darauf an, dass Rednerinnen und Redner Vertrauen zurückgewinnen in diesen postfaktischen Zeiten. Das heißt, sie sollten sich in ihren Reden so verhalten, dass es nachvollziehbar ist, dass es leicht verständlich ist, dass nicht noch den Verschwörungstheoretikern, die hinter verschwurbelter Sprache natürlich erst recht irgendwelche Verschwörungen und Vertuschungstaktiken vermuten, noch rechtgegeben wird oder dem Vorschub geleistet wird.

Referate statt Reden im Bundestag

Kassel: Das heißt aber ja umgekehrt auch, Sie sagen schon, ein Teil der Schuld daran, dass eben dieses Vertrauen nicht mehr so richtig da ist, nicht nur bei den Verschwörungstheoretikern, liegt schon auch in den Reden, dass es vielleicht in der Vergangenheit Reden gegeben hat, die einfach doch ihre Adressaten nicht erreicht haben.
Schäfer: Auf jeden Fall. Natürlich ist so was nie monokausal, so eine Entwicklung. Aber wenn ich das vom Standpunkt des professionellen Redenschreibers betrachte, gibt es sicherlich oder gab es vor allem eine Tendenz, wo wir statt Reden im Bundestag halt eher Referate hatten. Da haben Fachleute zu Fachleuten gesprochen.
Das ist so eine Tendenz, die wir Deutschen hin und wieder immer noch haben, dass wir auch von unserer Sprache als Ingenieursnation quasi eher weniger emotional reden möchten. Wir wollen klar sein, sind es aber oft gar nicht. Und wir lieben, aus welchen Gründen auch immer, manchmal diese Sprache, die wunderbar zwischen Aktendeckel passt, aber nicht zwischen zwei Ohren.

Klarheit und Haltung in einer Rede sind wichtig

Kassel: Ich kenne auch viele Reden, wo ich immer so das Gefühl habe, ja, da ist der eine mögliche Standpunkt, dann kommt der zweite mögliche Standpunkt, so einer da ist, kommt der dritte mögliche Standpunkt, und dann kommt die Feststellung, hat ja alles was für sich. Da sage ich dann auch, na gut, so weit komme ich auch, ohne denen 45 Minuten zuzuhören. Braucht man nicht auch eine gewisse Klarheit, auch eine gewisse Haltung?
Schäfer: Unbedingt. Ich denke, das ist doch etwas, was viele Leute vermissen und weshalb viele die Reden auch gar nicht mehr bis zum Ende anhören. Man kann durchaus mal mit einer steilen These einsteigen in eine Rede, und dann nach hinten auflösen, was sich dahinter verbirgt. Es spricht auch überhaupt nichts dagegen, zu zeigen, dass man selbstverständlich versteht, dass es eine andere Meinung gibt, dass man akzeptiert, dass viele Wege nach Rom führen.
Aber man muss dann ganz klar machen, welchen Weg man selbst beschreiten möchte. Nur dann kann ich, aus der Sicht des Politikers, dem Wähler auch die Möglichkeit geben, zu entscheiden, ob er auf meinem Weg folgt oder ob er einen anderen einschlägt.

Der Redenschreiber liefert nur die Vorlage

Kassel: Wobei das mit der Haltung, jetzt bin ich mal ehrlich, fast eine kleine Fangfrage war, weil es uns natürlich auf die klassische, grundsätzliche Kritik am Redenschreiben und -vortragen, also an dieser Arbeitsaufteilung führt.
Denn ich frage mich natürlich, wenn Sie eine Rede schreiben für Herrn oder Frau Schmidt – ich frage Sie jetzt gar nicht, wer es ist, aber nehmen wir mal an, das wäre eine Ministerin. Dann frage ich mich natürlich, das wissend und jetzt sogar Sie persönlich kennend, höre ich da eigentlich Frau Schäfer, oder höre ich die Ministerin, wenn sie redet?
Schäfer: Sie sollten immer die Ministerin oder den Minister hören. Der Redner präsentiert die Rede, er muss sie sich zu eigen machen. Ein Redenschreiber kann eine bestmögliche Vorlage bieten. Ich wäre auch höchst irritiert, wenn jemand eins zu eins eine Rede vortrüge, also im professionellen Bereich, nicht auf einer privaten Feier. Denn jeder Redner hat seine eigenen Empfindungen, die er auch während der Rede entwickelt.
Denn eine Rede ist ein Dialog, das verstehen manche nicht. Er ist insofern ein Dialog, weil ich reagiere in meiner Rede schon auf etwas, was ich gehört habe, was in der Vergangenheit stattgefunden hat. Ich rede zu jemandem, und derjenige reagiert oder diejenigen reagieren manchmal lautstark, manchmal halt auch einfach nur, indem Stirnen gerunzelt werden – vor mir hat vielleicht schon jemand geredet im Plenum, und darauf muss ich eingehen.
Es ist nichts furchtbarer, als wenn der einen seinen Striemen runterspricht, dann kommt der nächste, und ich als Zuhörer sitze da und sage, die reden doch nur aneinander vorbei, oder, das hat der doch eben auch schon gesagt, und der Redner geht nicht drauf ein. Und deshalb ist es auch immer wichtig, ein Manuskript zu haben. Aber die freie Rede ist dann natürlich gerade in der Demokratie die richtige und die schärfere Waffe.

Wie der Redner Emotionen erzeugen kann

Kassel: Schreiben Sie eigentlich manchmal Regieanweisungen dazu, also steht da dann, das mit sehr viel Vehemenz, das mit einem gewissen Schmunzeln?
Schäfer: In geringem Maße. Ich frage meine Kunden immer: Möchten Sie Sachen gefettet haben, möchten Sie ein paar Hinweise haben? Ich habe auch tatsächlich schon Reden auf Band gesprochen und den Link geschickt quasi, um zu sagen, hier könnte man – so kann es übrigens klingen. Denn das ist ein großes Problem.
Manche Leute sind wirklich intelligent, verstehen den Text, beherrschen den Inhalt, aber sie beherrschen das Instrument der eigenen Stimme oder der eigenen Sprache nicht wirklich. Das heißt, sie reden in einem Duktus, in einer Tonlage, in einer Sprechgeschwindigkeit, und vergessen die Macht von Pausen, und wie man durch Lauterwerden, Leiserwerden, Schnellerwerden, Langsamerwerden eigentlich auch Emotionen erzeugen kann und Menschen dran lässt an der Rede.

Der richtige, kurze O-Ton für die schnelllebige Medienwelt

Kassel: Nun ist uns natürlich und Ihnen bewusst, das war vorher schon so, ist aber durch die Entwicklung der Medien ja viel schlimmer noch geworden, dass Sie oft eine sagen wir mal 30-minütige Rede haben, von der zweimal 30 Sekunden um die Welt gehen werden oder, bleiben wir mal in Deutschland, wenigstens von Flensburg bis München gehen werden. Weil das sind die sogenannten O-Töne, die beiden Ausschnitte, die dann hundertmal gesendet werden. Bedenken Sie so was? Schreiben Sie es darauf hin?
Schäfer: Ja, ich denke natürlich schon daran. Man muss auch vielleicht das von meiner Herkunft her sehen. Ich bin aus dem Journalismus heraus abgeworben worden damals als Redenschreiberin und dachte erst, was ist das denn jetzt? Soll ich das machen? Aber ich fand es dann ganz lustig. Und auch ganz sinnig, denn ich habe immer, ich habe Hunderte, Tausende von Reden gehört und musste den zentralen O-Ton extrahieren für meine Beiträge, und habe oftmals gelitten.
Und das Wissen darum, dass man eben nur vielleicht zwölf Sekunden, 15 Sekunden hat, hat es mir klar gemacht, es muss immer die zentrale Botschaft wirklich quasi in eine Überschrift reinpassen oder auch wirklich in 15 bis 20 Sekunden. Das versuche ich immer zu machen. Man kann danach wieder aufblättern, wie es klingen kann und klingen soll oder wie es verstanden werden soll. Aber quasi der Bäng, der muss kommen, und der muss wirklich tauglich sein.
Kassel: Das war der Schluss-Bäng jetzt für uns beide. Jacqueline Schäfer war das, sie ist die Präsidentin des Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache und wird heute Abend auch eine Rede halten – müssen Sie ja manchmal auch machen. Sie lassen nicht immer nur die anderen sprechen. Heute Abend bei dem Kongress oder heute Nachmittag sind Sie dran.
Schäfer: Heute Abend haben wir ein Salongespräch nach der Tagung Redenschreiben. Da rede ich aber nur kurz, und dann kommt ein großer Gastredner, und das ist Oswald Metzger, den ich schon als Journalist bewundert habe, wenn er im Bundestag geredet hat.
Kassel: Dann wünsche ich heute Abend viel Spaß und danke Ihnen für den Besuch im Studio!
Schäfer: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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