Tagelöhner in München

Trotz Einkommen obdachlos

Obdachlose haben sich in Berlin, Prenzlauer Berg, eine Schlafstatt eingerichtet.
Obdachlose haben sich eine Schlafstatt eingerichtet. © imago / Sabine Gudath
Von Tobias Krone · 13.01.2017
Unter Münchens mehr als 5000 Obdachlosen sind zahlreiche Tagelöhner. Viele von ihnen stammen aus Bulgarien und gehören dort der türkischen Minderheit an. Mit Jobs in Bayern unterstützen sie ihre Familien - für eine Wohnung bleibt da oft kein Geld.
Ein grauer Morgen im Münchner Winter. Der Asphalt der Fraunhoferstraße ist hart und kalt, aber für manche ist er nicht ganz erbarmungslos. Ismet, graue Mütze, rotblauer Skianorak aus den Achtzigern, schlechte Zähne, bückt sich – und freut sich über einen Fund.
"Die Zigarette ist schön, sie ist groß. Du hast ja gesehen, in meiner Dose die Zigaretten, die habe ich vom Boden aufgesammelt. Ich freue mich auf die Zigarette."
Immer wieder auf seinem morgendlichen Weg durch die Münchner Innenstadt bückt sich Ismet nach den Stummeln, die auf dem Gehweg liegen – und legt sie zu den anderen in seine Schatzkiste aus verziertem Blech. Die halbe Zigarette zündet sich der Ende Vierzigjährige sofort an. Sein Arbeiter-Frühstück.
Zusammen mit anderen Männern aus seiner bulgarischen Heimatstadt Pasardschik ist Ismet früh aufgebrochen, vom Nachtlager unter der Reichenbachbrücke. Das Ziel erläutert sein Kumpel Slavcik, flache Stirn, schwarze Jacke, sauber gekämmte Haare.
"Mission Bonifaz. Eine Wochen – zweimal duschen, zweimal duschen."
Zweimal in der Woche kommen sie in der Abtei St. Bonifaz nahe dem Hauptbahnhof vorbei. Hier können sie sich duschen. Jeder 20 Minuten. St. Bonifaz sorgt dafür, dass die Männer aus Pasardschik nicht verwahrlosen. Alle hier legen sie wert auf eine ordentliche Erscheinung. Sie ist wichtig, um Arbeit zu finden. Stunde um Stunde warten sie auf Jobs.
"Wenn man uns anruft, laufen wir alle zusammen hin und wollen arbeiten, egal was: Tragearbeiten, Bauarbeiten..."

Treffpunkt am sogenannten Arbeiterstrich im Bahnhofsviertel

Ismet, Slavcik und ihre zwei Freunde von der Reichenbachbrücke sind Tagelöhner. Seit Jahren arbeiten sie vor allem auf Münchens Baustellen. Aber wählerisch sind sie nicht. Slavcik, 47, hat vor kurzem einige Zeit bei Ikea in der Küche gearbeitet. Da war er beim Finanzamt angemeldet. Meistens aber arbeiten die Männer aus Pasardschik schwarz. Tageweise, stundenweise. Ein wichtiger Anlaufpunkt für sie ist der sogenannte Arbeiterstrich im Bahnhofsviertel, dort wo München für ein paar Straßen-Blöcke an Berlin Kreuzberg erinnert: mit seinen türkischen Gemüseläden, arabischen Bäckereien und Internetshops. Schnelle Arbeit gibt es an der Ecke Landwehrstraße/Goethestraße, bei der Filiale der türkischen Iş-Bank.
"Iş-Bank kommen Leute – Arbeit – warten. Arbeit gucken."
"Die Leute warten hier auf Arbeit. Es ist aber nicht so viel Arbeit da. Der Winter ist ja eingebrochen... Unsere Kumpels warten hier, für ein bisschen Brot. Hier sind Menschen, dort drüben sind Menschen, die auf Arbeit warten."
Einige junge Männer lehnen an der Hauswand der Bank, stehen an der Ampel und versuchen ihr Glück. Für den uneingeweihten Beobachter ist wenig zu erkennen. Die Männer warten darauf, dass ein Wagen anhält – und jemand sie mitnimmt, auf eine Baustelle, zu Maler- oder Reinigungsarbeiten. Oft werden die Jobs auch telefonisch angefragt. Man kennt sich ja oft seit Jahren.
Erfahrene Arbeiter wie Ismet und Slavcik erkennen schnell, dass es hier heute für sie nichts gibt. Früher wären sie auf der Straße oder in umliegenden Hauseingängen herumgehangen. Doch seit gut einem Jahr haben sie eine Anlaufstelle für ihre Wartezeit.
Zwei Blöcke weiter, in der Sonnenstraße führt eine Treppe hoch ins Beratungscafé der Arbeiterwohlfahrt. Hier herrscht ein Kommen und Gehen. Eine Gruppe junger Männer verlässt zügig den Raum. Sozialarbeiter Savas Tetik, Leiter des Beratungscafés.
"Die haben glaub ich per Telefon einen Auftrag bekommen. Irgendwo an der Ecke wartet ein Auftraggeber oder eine Auftraggeberin, da müssen sie so schnell wie möglich raus."
Eine helle Küche mit Kaffeekannen, Tische und Stühle, alles sauber hier. Auf einer Bank schläft ein Mann. Sozialarbeiter Savas Tetik, Hornbrille, schwarzes Sakko, grauer modischer Schal um den Hals geschlungen, ist der Mann, der die Sprache der meisten hier spricht. Seit Jahren hört er ihnen zu – mit Engelsgeduld. Kein anderer kennt so gut wie er die Situation der Tagelöhner, die hier ihren Zwischenstopp einlegen.
"Die können hier wenigstens mal die Toilette benutzen, was Warmes trinken und auch ihr eigenes Essen mal in Ruhe essen. Und das ist auch ein kleiner Beitrag, sag ich mal, ein bisschen menschengerechtes Leben oder Raum zu schaffen."

Verdienst in der Heimat Bulgarien reicht nicht aus

Die meisten Tagelöhner stammen aus Bulgarien, viele von ihnen wie Ismet und Slavcik kommen aus der Stadt Pasardschik, knapp 80.000 Einwohner, im Süden Bulgariens. Sie gehören der dortigen türkischen Minderheit an.
"Die erzählen uns immer wieder, dass sie wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeiten und auch anderem Aussehen bekommen sie keinen Job mehr. Wenn sie überhaupt was finden, ist das auch als Tagelöhner paar Tage oder paar Woche – Feldarbeit, Saisonarbeit. Und zur Zeit auch in Bulgarien – wenn man so einen richtigen Job hat, Vollzeit, dann bekommt man 200 bis 250 Euro im Monat. Das ist natürlich zu wenig für eine Familie, und die Preise in Bulgarien steigen auch stetig."
Im reichen München fallen Jobs für die diskriminierten Türken aus Bulgarien ab. Etwa 2000 Tagelöhner stammen allein aus Pasardschik, schätzt der Sozialarbeiter. Auch Metin Rufak Ahmed kommt aus Münchens heimlicher Partnerstadt. Der 56-Jährige mit dem müden Gesicht hat sich seinen schwarzen Schal modisch um den Hals geschlungen, so wie Sozialarbeiter Savas Tetik. Er arbeitet als Reinigungskraft. Auch er ist obdachlos, wenn er nicht arbeitet, sucht er Wärme in geschlossenen Räumen.
"Ich stehe in der Bahnhofshalle oder bei den U-Bahnen, ich verbringe die Zeit mit Hin- und Hergehen. Mal hier eine Stunde, mal da zwei Stunden. Aber irgendwann kommt die Polizei und vertreibt uns."
Es gäbe in München für Obdachlose eine Notunterkunft. Von November bis April. In der Bayernkaserne. Doch die liegt außerhalb des Innenstadtbereichs. Metin spart sich wie viele anderen hier das Nahverkehrsticket. Strafzettel für die U-Bahn habe er schon zu viele bekommen. So gut wie jeder hier in der Caférunde bei Savas hat mehrere Knöllchen in der Tasche. Doch die Winterunterkunft in der Bayernkaserne hat für die arbeitenden Obdachlosen noch einen weiteren entscheidenden Nachteil.
"Das ist auch manchmal Nachtarbeit. Die müssen ja, wenn es schneit, früher da sein. Das heißt für diejenigen, die in der Bayernkaserne schlafen: Wenn die Arbeit um 8 oder 9 Uhr fertig ist, dann dürfen sie nicht mehr in die Bayernkaserne, weil die ist ja nur von 17 bis 8 oder 9 Uhr auf."
Obdachlosen also, die in der Nacht Schnee räumen, bleibt dieser Tage oft nur das Beratungscafé, um sich ein paar Stunden in einer Ecke auszuruhen. Alkohol ist hier tabu, Betteln sowieso. Die Obdachlosigkeit ist für viele schlicht der einzige Weg, bei den Münchner Mietpreisen eine Familie in Bulgarien durchzubringen. Metin etwa verdient mit seinem Reinigungsjob 700 Euro netto, wie er sagt. Davon geht das meiste an seine fünf Kinder und fünf Enkel in Pasardschik.
"Ich habe in diesem Monat ungefähr 200 Euro für mich übrig. Ich rauche."

Arbeiter werden häufig um ihren Lohn geprellt

Mit dem geringen Lohn steht Metin vergleichsweise gut da. Immerhin ist er bei seiner Firma angemeldet. Die Männer vom Arbeiterstrich arbeiten oft schwarz. Und werden häufig um ihren Lohn geprellt. Slavcik erzählt von seinem letzten vergeblichen Job im Münchner Umland.
"Ich habe drei Monate bei einer Bäckerei am Brotofen gearbeitet und habe 730 Euro erhalten. Sie haben mir das Geld nicht gegeben und gesagt: Ich könne ja vor’s Arbeitsgericht gehen. Ein Freund von mir ist einmal vor Gericht gezogen und hat den Prozess verloren. Da habe ich Angst bekommen und drauf verzichtet."
Auch deshalb leben viele Tagelöhner unter der Brücke. Weil sie oft nicht wissen, ob sie ihren Lohn am Ende des Monats auch bekommen. Sozialarbeiter Savas Tetik schätzt, jeder von ihnen werde zwei bis dreimal im Jahr um seinen Lohn betrogen. Er kennt die Tricks der Arbeitgeber – und die Ohnmacht der Arbeiter.
"Die Firmen oder Auftraggeber, die melden sich nicht, ans Telefon gehen sie nicht. Auf der anderen Seite: Die Menschen, die ihren Ausständen, ihren Löhnen hinterher sind, die haben ja keine Kraft und Zeit mehr, die müssen ja arbeiten."
Es ist harte Arbeit, die sie tun, und oft auch harte Arbeit, danach den Lohn zu bekommen. Nur zehn Prozent gelingt es in strittigen Fällen, das Geld einzutreiben, schätzt Savas Tetik. Einem wie Metin sind die harten Jahre ins Gesicht geschrieben.
"Manchmal haben wir gearbeitet und ich konnte die Miete zu Hause zahlen. Und es war gut. Diese Jahre gab es auch. Dann war ich arbeitslos, konnte die Miete nicht zahlen und vor allem – die Fremde, unter der wir gelitten haben: Keine Papiere. Wir sind erschöpft."

CSU machte gegen Bulgaren und Rumänen mobil

Armutszuwanderung. Mit diesen Schlagworten machte die CSU 2014 gegen Bulgaren und Rumänen mobil, die seit damals frei in Deutschland arbeiten dürfen. Wer betrügt, der fliegt, so warnten die bayerischen Konservativen vor Missbrauch des deutschen Sozialsystems. Sozialarbeiter Savas Tetik kennt die Realität der osteuropäischen Tagelöhner. Sie ist eine andere.
"Es gibt natürlich die, die Sozialhilfe beziehen, das ist das Recht und das ist nicht illegal. Wenn man Anspruch hat – das prüfen ja die Jobcenter, das ist das Recht für alle. Aber – bei uns: Viele, die Anspruch haben, die verzichten. Das kann ich Ihnen gleich sagen. Die wollen gerne arbeiten. Weil den ganzen Papierkram, die Bürokratie können sie als Tagelöhner nicht leisten. Die wollen gerne arbeiten und spätestens Ende der Woche das Geld auf die Hand."
Unter bulgarischen Tagelöhnern ist es verpönt, Sozialhilfe zu empfangen. Offen Schwäche zu zeigen würde die Familie daheim massiv verunsichern. Ismet verschweigt den Seinen deshalb, wie schlecht es ihm wirklich geht. Der Mann im rot-blauen Skianorak, der seit 14 Jahren in München lebt, bezieht Arbeitslosengeld II, 400 Euro im Monat. Seit einer Operation kann er nur noch Reinigungsjobs machen.
"Ich kann nicht gut Luft holen. Das ist für mich ein Problem. Meinen Kindern sage ich aber nicht, dass ich keine Luft holen kann. Denn wenn sie das wüssten… Ich bin hier in Deutschland operiert worden. Sie wissen das nicht. Ich erzähle es weder meiner Frau, noch meinen Kindern, noch meinen Enkeln. Dann würden sie in eine Notsituation geraten, weil ich in Not bin, und das will ich vermeiden."
An diesem Tag geht Ismet mit seinen Kumpels Flaschensammeln am Hauptbahnhof. Ab und zu bückt er sich auch wegen eines Zigarettenstummels. Er hebt ihn vom Boden auf und verstaut ihn sorgsam in seiner kleinen Blechkiste.
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