Tagebuch einer Revolution

28.12.2009
Als im Frankreich des 18. Jahrhunderts die Revolution tobte, war der Pariser Bürger Célestin Guittard mit dabei. Sechs Jahre lang führte er ein detailliertes Tagebuch, das fast zwei Jahrhunderte unentdeckt im Familienarchiv lag. Nun wurde es mühsam entziffert.
Im Allgemeinen wird die Französische Revolution auf den 14. Juli 1789 datiert, den Tag, an dem aufgebrachte Pariser Bürger die Bastille stürmten, das festungsgleiche Gefängnis, Symbol der absolutistischen Monarchie, in dem gerade noch sieben Gefangene festgehalten wurden. Revolutionen dauern aber bekanntlich sehr viel länger als einen Tag. Den symbolischen, oft gewalttätigen Handlungen gehen lange Prozesse voraus, und es folgen ihnen meist schwerwiegende Umwälzungen, die sich über Jahre hinziehen. Sechs dieser Jahre lang hat der ansonsten gänzlich unbekannte Célestin Guittard ein detailliertes Tagebuch geführt, das unvermittelt am Mittwoch, dem 26. Januar 1791, beginnt und am Pfingstsonntag 1796 abbricht, vermutlich mit dem Tod des Verfassers, über den wir nur wissen, was er selbst preisgibt.

Nicolas Célestin Guittard kam 1724 in einem Dorf rund 100 Kilometer westlich von Reims zur Welt. Offensichtlich wohlhabend genug, um komfortabel leben zu können, übersiedelte er 45-jährig nach Paris, wo er sich am linken Seineufer niederließ und aller Unruhen zum Trotz die Angebote der Familie, in die ruhige Provinz zurückzukehren, ablehnte, schon um sich nicht von seinen geliebten Büchern trennen zu müssen.

Dennoch zeichnet sein Tagebuch ihn nicht als Intellektuellen aus, vielmehr als aufmerksamen, unvoreingenommenen Beobachter der radikalen Veränderungen, die er miterlebt, als solche erkennt, genau notiert, aber in der Regel nicht kommentiert. Gerade diese Unvoreingenommenheit und die mangelnde Distanz desjenigen, der mitten in den Ereignissen steckt, machen den besonderen Reiz dieses Dokuments aus, in dem Guittard uns die Details der rasanten Entwicklung jener Jahre miterleben lässt.

Als er Anfang 1791 seine Aufzeichnungen beginnt, war wenige Wochen zuvor ein Dekret erlassen worden, dass alle Priester Zwang, einen Eid auf die Verfassung abzulegen, was die Gemüter heftig erregt. Ludwig XVI. regiert noch als konstitutioneller Monarch, im Juni scheitert dann die Flucht der königlichen Familie, im September 1792 wird die Republik ausgerufen. 1793 folgen die Hinrichtung des Königs und Marie-Antoinettes, später die "terreur" unter Robespierre und dessen Ende unter der Guillotine sowie der militärische Aufstieg des jungen Korsen Bonaparte.

Fast zwei Jahrhunderte währte der Dornröschenschlaf des Manuskripts, bevor es im Familienarchiv entdeckt und mühsam entziffert wurde. Ein Dokument, das wertvoll und spannend genug ist, um jetzt in blau-weiß-rot gestreiftem Leinen gebunden als 300. Band der Anderen Bibliothek zu erscheinen. Den besonderen Reiz dieses keineswegs literarischen Werkes macht seine kuriose Mischung aus direktem Zeitzeugnis, aufgeklärtem Empirismus – jeder Eintrag beginnt mit einem Wetterbericht, der genaue Temperaturmessungen mit subjektiver Einschätzung verbindet – und ganz privaten Sorgen, seien sie finanzieller oder gesundheitlicher Natur. So erfahren wir, wie ein alternder Privatier sich durch diese Zeiten hindurch bewegte, die viel bewegter waren, als es die herkömmliche Geschichtsschreibung vermittelt.

Besprochen von Carolin Fischer

Wolfgang Müller (Hrsg.): In Pantoffeln durch den Terror. Das Revolutionstagebuch des Pariser Bürgers Célestin Guittard
Aus dem Französischen von Claudia Preuschoft
Eichborn Verlag, Frankfurt 2009
424 Seiten, 32 Euro