"Tage von Gaddafi wirklich gezählt"

Günter Meyer im Gespräch mit Ute Welty · 22.02.2011
Der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz rechnet mit einem baldigen Ende der Herrschaft Gaddafis in Libyen. Der TV-Auftritt des Staatschefs sei "reine Propaganda".
Ute Welty: Es ist ein bizarrer Auftritt des libyschen Staatschef Gaddafi gewesen im Fernsehen: Mit einem Regenschirm in der Hand und in einem alten Auto sitzend trat Gaddafi den Gerüchten entgegen, er habe das Land verlassen. Die Gewalt wütet also weiter, auch wenn die Meldungslage in Einzelheiten unklar ist.

Professor Günter Meyer leitet das Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität in Mainz und beobachtet die Ereignisse wie wir alle mit Sorge, aber mit mehr Sachkenntnis. Guten Morgen, Herr Meyer!

Günter Meyer: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Was halten Sie von diesem jüngsten Auftritt Gaddafis, ist es vielleicht auch sein letzter gewesen?

Meyer: Das kann durchaus sein letzter gewesen sein, denn das Regime steht mit dem Rücken an der Wand und versucht nur noch durch brutalste Gewalt dem Aufruhr Einhalt zu gebieten. Nur das ist genau die falsche Strategie, denn wir haben gesehen: Je mehr Menschen gestorben sind, je mehr Menschen von den Anhängern Gaddafis getötet worden sind, desto mehr wuchs der Widerstand im gesamten Land. Insofern reiht sich das ein in eine, dieser Auftritt von Gaddafi, in eine Kette von Falschinformationen des Fernsehens. Dort wurde auch gerade gestern ein Tunesier vorgestellt, der angeblich von Tunesien aus dafür gesorgt haben soll, dass es zu Aufruhr und Unruhe gekommen ist. Also dieser Auftritt von Gaddafi ist reine Propaganda.

Welty: Auf wen oder was kann sich Gaddafi noch stützen? Oder andersrum gefragt: Wie viel Kraft kann die Opposition noch mobilisieren jetzt an dieser Stelle?

Meyer: Die wichtigste Macht im Staate sind natürlich die Streitkräfte. Aber diese Streitkräfte, auf die kann Gaddafi sich nicht mehr verlassen. Wir haben rund 76.000 Soldaten dort, aber diese Soldaten sind einfach unzuverlässig. Die wichtigsten Stämme des Landes wie etwa der Warfalla-Stamm mit einer Million Mitgliedern hat sich von Gaddafi losgesagt, die Berber haben sich losgesagt, die Tuareg haben sich losgesagt. Das heißt, Sie haben überall Brüche innerhalb des Militärs, Fraktionen. Etliche Offiziere haben schon dazu aufgerufen, sich dem Volk anzuschließen und Gaddafi zu stürzen. Das heißt, das Militär, darauf kann er sich nicht verlassen, sondern in erster Linie auf die Präsidentengarde plus Milizen, die von seinem Sohn Saif al-Islam befehligt werden. Deshalb verständlich, dass er Söldner im Ausland, in anderen afrikanischen Staaten anwirbt. Al Dschasira weist auf Anzeigen hin in Guinea und Nigeria, wo Söldner für 2000 Dollar pro Tag gesucht werden. Das heißt, er greift zurück auf die letzten Getreuen, die er noch hat, und auf Söldner, um sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten.

Welty: Für Deutschland ist Libyen ja der drittwichtigste Öllieferant. Muss man befürchten, dass Gaddafi noch mehr an diesem Hebel ansetzt, also praktisch sozusagen den außenpolitischen Hebel ansetzt?

Meyer: Es ist davon auszugehen, dass die Tage von Gaddafi wirklich gezählt sind. Er wird natürlich damit drohen, um Druck aus dem Ausland vorzubeugen, dass er das Erdöl abschalten wird, ebenso wie sein Sohn Saif al-Islam im Fernsehen erklärt hat, wird Libyen nicht mehr bereit sein, die Flüchtlinge aus dem südlichen westlichen Afrika davon abzuhalten in die Europäische Union zu kommen. Das sind alles Drohgebärden, aber es ist davon auszugehen, dass es wirklich die letzten Tage sind. Und wenn es zur Unterbrechung der Erdölproduktion kommt – und darauf deutet auch schon hin die Tatsache, dass etliche Erdölgesellschaften ihre ausländischen Mitarbeiter abgezogen haben, dass die Förderung gedrosselt wird –, das dürfte allerdings nur zu relativ kurzfristigen Einbrüchen führen.

Welty: Gaddafi ist vom Westen teils geduldet, teils hofiert worden. Jetzt wird der Ton doch erheblich rauer. Was ist davon zu halten, dass die europäischen Außenminister beispielsweise sich ja zum Teil sehr kritisch äußern? Holt man jetzt das nach, was man in den Fällen von Tunesien und Ägypten versäumt hat?

Meyer: Na ja es ist ein gewisser Lernprozess auf der einen Seite, der hier zum Tragen kommt. Dort hat man viel zu spät reagiert. Auf der anderen Seite ist die Brutalität, die von Gaddafi hier eingesetzt wird, indem er mit Kampfflugzeugen und Hubschraubern Demonstranten beschießen lässt, indem die von ihm eingesetzten Söldner in Autos durch die Straßen fahren und alles, was sich regt, dann niederschießen. Das ist eine Gewaltsituation. Die Zahl der Opfer ist so hoch, dass hier die Weltöffentlichkeit nicht mehr schweigen kann. Bemerkenswert, dass die US-Regierung sich mit ihren Aussagen noch sehr zurückgehalten hat. Das Einzige, dass Frau Clinton eben von "nicht akzeptablem Blutvergießen" gesprochen hat. Also hier muss sicherlich gerade auch von Obama noch deutlich nachgelegt werden.

Welty: Wie sähe denn eine europäische Haltung aus, die tatsächlich mehr Demokratie in der arabischen Welt etabliert? Oder ist das völlig romantisiertes, europäisches Wunschdenken?

Meyer: Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass man von außen eine Demokratie in den arabischen Ländern etablieren kann. Gegenwärtig ist es so, dass die Pro-Demokratie-Kräfte in allen arabischen Staaten Oberwasser bekommen. Und die Entwicklung vor Ort muss es dann zeigen, wo es positiv läuft. Tunesien ist sicherlich ein gutes Beispiel. In Ägypten sind auch die Weichen richtig gestellt. Und in anderen arabischen Staaten, da steht die Krise noch bevor. Im Jemen wird sich die Situation sicherlich deutlich verschärfen, Bahrain ist zurzeit eine leichte Abschwächung erkennbar. Also wir müssen abwarten, wie sich die Situation von Land zu Land weiter entwickelt.

Welty: Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt von der Universität in Mainz, ich danke für Ihre Einschätzung!

Meyer: Vielen Dank, Frau Welty!
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