Tagaus, tagein ...

Von Rolf-Bernhard Essig · 24.10.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Tagaus, tagein, Das ist nur ein Klacks mit der Wichsbürste, Der blinde Passagier, Darauf kannst du Gift nehmen, Dem schlechten Geld kein gutes hinterherwerfen u.a.
Tagaus, tagein

Ob mit oder ohne Komma geschrieben, es bedeutet soviel wie "Tag für Tag" oder "jeden Tag", "die ganze Zeit". Die Redewendung kommt von der Vorstellung, man gehe aus dem einen Tag heraus und in den anderen hinein, wobei implizit die ewige Wiederholung mitgedacht wird.

Das ist nur ein Klacks mit der Wichsbürste / einen Hau / Schlag mit der Wichsbürste haben, mit der Wichsbürste geschlagen sein

Erst einmal sollte man das Instrument kurz beschreiben, das so oft nicht mehr verwendet wird, denn wer fettet seine Schuhe noch anständig ein. Die Wichsbürste dient einerseits dazu, Stiefel oder Schuhe mit Fett zu versehen, andererseits kann man auch an die unter die Füße zu schnallenden Bürsten zum Wachsen und Polieren der Dielenböden denken. Damit ist man auch schon nah am Ursprungswort. Das heute so unanständig klingende "wichsen" hatte im Althochdeutschen noch den Vokal "a" und beschrieb das Auftragen von Wachs, um etwas wasserabweisend und glänzend zu machen. Die bei diesem Vorgang nötigen Hinundherbewegungen erinnerten den Volksmund dann an die vergleichbaren Bewegungen der Hand bei der Selbstbefriedigung.

Die Wichsbürste wurde früher stets griffbereit aufbewahrt, da man sie häufig verwendete. Schuhwerk war schließlich teuer und sollte lange halten. So lag es nahe, damit jemandem, oft Kindern, einen strafenden Klaps zu geben. Der "Hau" oder "Schlag mit der Wichsbürste" ist in vielen Gegenden sprichwörtlich geworden, ebenso die Redensart "wie mit der Wichsbürste geschlagen". Dieser Schlag konnte – je nach Gelegenheit und Ton – ein schwerer oder ein leichter sein und bezeichnete dementsprechend eine milde Überraschung oder eine plötzliche schwere Empörung. Natürlich handelt es sich auch um eine Variante der vielen Redenwendungen, die mit dem Schlaganfall zu haben, wie "vom Schlag getroffen sein".

In einer weiteren Variante ist der Schlag oder Klaps mit der Wichsbürste zum Klacks geworden. So wurde der kleine Schlag zur Kleinigkeit, die man nicht weiter ernstnehmen muss. Der Klacks gehört zu den lautmalerischen Wörtern und versucht, das Auftreffen einer kleinen Menge einer dickflüssigen Masse auf dem Boden wiederzugeben. Im Lauf der Zeit verengte sich die Bedeutung zu "eine Kleinigkeit" oder "leicht zu erledigen, weil unbedeutend".

Alles zusammengenommen kann man also den Ausdruck "das ist nur ein Klacks mit der Wichsbürste" so erklären, dass es lediglich einer kleinen Menge Fett oder Schuhcreme und eines kleinen Aufwands mit der Wichsbürste bedarf, um etwas zu tun.

Der blinde Passagier

Der versteckte Mann im Frachtraum gehört zum Repertoire vieler Abenteuergeschichten. Aber warum sieht er nichts?
Nun, "blind" heißt nicht nur "nicht sehen", sondern es kann auch Sachen kennzeichnen, die man nicht sieht oder die nur vorgeblendet sind. Da gibt es zum Beispiel Blinde Türen oder Blinde Fenster, die nirgendwohin führen oder hinter denen nichts ist als Mauerwerk, aber auch Blinden Sand, das sind verborgene Untiefen aus Sand, die man nicht sieht.
So hält es auch der Blinde Passagier, der nicht gesehen wird oder zumindest nicht gesehen werden will. Diese Mitreisenden gab es früher auch. Selbst im 18. Jahrhundert sprach man schon von dem Blinden Passagier, der sich beispielsweise in oder auf einer Kutsche verbarg. Ein schönes Beispiel für die Vorzüge der Großschreibung feststehender Begriffe ist er übrigens auch, weil damit sehr einfach unterschieden werden kann zwischen dem versteckten und dem augenlichtlosen Passagier.

Darauf kannst du Gift nehmen

Alt ist die Redensart – verglichen mit denen aus der Antike oder dem Mittelalter – noch nicht. Erst im vorletzten Jahrhundert verbreitete sie sich. Die Vorstellungen hinter dem Ausdruck können durchaus älter sein. Man dachte beispielsweise an Gegengifte, die so gut waren, dass man nach ihrer Einnahme Gift ohne Schaden trinken könne. Die Wendung äußert man ja in der Regel, um eine Aussage zu bekräftigen. Sie könnte nach dieser Lesart also so lauter und reine Wahrheit sein, das sie wie ein Gegengift gegen jede Unwahrheit wäre.
Einfacher scheint mir die Erklärung zu sein, dass man Aussagen mit dem Wort "Tod" verstärken konnte, indem man sagte: "Das ist todsicher!" Da Gift ebenso todsicher, könnte sich die Redewendung auf die Verlässlichkeit der Information wie des Giftes beziehen.

Dem schlechten Geld kein gutes hinterherwerfen

Die hochaktuelle Redensart bezieht sich einerseits auf den Unterschied zwischen Geld mit niedrigem und hohem Edelmetallanteil, andererseits auf die Kaufmannspsychologie, die das immergrüne Phänomen kennt, dass man einen Verlust durch verstärkte Investition auszugleichen versucht, statt ihn einfach zu realisieren. An Roulettetischen oder Börsen findet dieses Verdoppeln der Einsätze nach Verlusten sehr häufig statt. Dabei muss man nur berechnen, dass man bei einem Verlust von 50% eine Verdoppelung des Aktienwertes erwarten müsste, wollte man auch nur wieder bei dem ursprünglichen Stand ankommen.
Der Rat besteht also darin, den Verlust – also das schlechte Geld – lieber anzunehmen, ihm lieber nicht weiteres – gutes – Geld hinterherzuwerfen. Dass hier das Wegwerfen mitschwingt, versteht sich von selbst.

Die Fassung verlieren, "etwas ist unfassbar", "nicht zu fassen

Der Mensch ist ein Sinneswesen, weshalb er auch die an sich abstrakten Tätigkeiten des Denkens gern mit sinnlichen, fassbaren, begreifbaren Ausdrücken – wie eben gerade jetzt – beschreibt. Statt etwas zu verstehen, begreift man etwas, als wären die Gedanken Hände. Tatsächlich kann man durch Anfassen ja manches besser verstehen. Beim Fassen und der Fassung ist es ähnlich. Der ideale Geisteszustand besteht darin, sich selbst, also seine Sinne und Gedanken, im Griff zu haben, sie gleichsam in der Hand zu haben, zu fassen. Deshalb konnte sich der Begriff "Fassung" herausbilden für eine selbstsichere oder widerstandsstarke Psyche. Jemand kann also bei einer schlechten Nachricht die Fassung verlieren oder behalten.

Mit der Fassung eines Edelsteins an einem Ring kann man das gut vergleichen. Wie der Geist durch die Selbstbeherrschung gefasst wird, so der Diamant durch die kleinen Metallspangen.
Das Unverständliche kann ebenso als Unfassbares bezeichnet werden; natürlich auch das, was man nicht glauben will, das einen die Fassung verlieren lässt, weshalb "unfassbar" auch "schrecklich" bedeuten kann.

Bei jemandem in der Kreide stehen

Kreide, was eigentlich "gesiebte Erde" ("terra creta") heißt, wurde Jahrhunderte lang – und zum Glück oft noch heute – als Schreibkreide verwendet. Die Ausdrücke "jemandem etwas ankreiden" oder "in der Kreide stehen" kommen nun daher, dass Wirte oder Krämer mit Kreide auf Schiefertafeln schrieben, was jemand anschreiben ließ, wenn er nicht gleich bezahlen konnte.

Der Fisch stinkt vom Kopf aus / Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken

Das Sprichwort kommt in verschiedenen Weltgegenden vor und bedeutet, dass man bei einer lästigen Sache nicht dem ersten Eindruck folgen sollte, sondern der Ursache auf den Grund gehen, die nicht selten auf höherer Ebene zu finden ist. Der Kopf wird ja oft mit Herrschaft, Spitze eines Gremiums, einer Gruppe, einer Institution verbunden. Man könnte das Sprichwort insofern direkt verknüpfen mit "Wie der Herr, so das Gscherr." Ob faulige Fische tatsächlich vom Kopf aus zu faulen und damit zu stinken zu beginnen, weiß ich allerdings nicht.

Man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen

Aus dem Straßenbild der Flecken, Dörfer, Städtchen und Städte waren sie noch vor hundert Jahren nicht wegzudenken, die Pferde. Deshalb wusste man allgemein viel über das schätzbare Tier, beispielsweise auch, dass es, selbst wenn es ihm schlecht geht, sich – rein physiologisch – nicht übergeben kann. So bezeichnet die Wendung vom kotzenden Pferd etwas Unmögliches. Und zuerst hieß die Formel, mit der man etwas ganz unerwartet Geschehendes beschrieb, auch nur "man hat schon Pferde kotzen sehen". Die Unmöglichkeit wurde nun noch gesteigert, indem das unmögliche Ereignis am bestmöglichen Ort geschah, da, wo das Pferd sich ein Mittel gegen die Übelkeit besorgen könnte. Die scherzhafte Absicht ist klar, die weitere Ausbaumöglichkeit auch. Bei uns in der Familie hieß es zum Beispiel: "Man hat schon grüne Pferde vor der Apotheke kotzen sehen." Die Farbe bezog sich gleichzeitig auf die Verfärbung bei Übelkeit und die Unmöglichkeit eines grünen Pferdes.

Daumen drücken / Daumen halten

Der Daumen gilt wohl schon immer als höchst besonderer Finger. So schrieb man ihm seit dem Altertum fluchabwendende, aber auch segensreiche Macht zu. In der Antike findet sich der Ausdruck "den Daumen halten" oder "den Daumen einschlagen", womit man Gnade für jemanden erbat, jemandem gewährte oder ihm Gutes wünschte.
Im germanischen Kulturkreis gab es dagegen die Vorstellung, Finger seien so etwas wie Dämonen oder besäßen zumindest dämonische Macht, besonders der Daumen. Um jemanden vor dessen negativen Energien zu schützen, drückte man ihn. Man hielt sozusagen den Dämon fest. Weil man damit zeigte, dass man jemandem gewogen war, konnte aus der Fluchverhinderungsgeste eine werden, die Gutes wünschte.