Tag der Sehnsucht

Von Gerald Beyrodt · 01.04.2011
Der Schabbat ist der wichtigste jüdische Feiertag. Wie ein kleines Mädchen diesen Tag erlebt, hat die Autorin Nea Weissberg-Bob in dem Buch "Schabbat hamalka – Königin der Jontefftage" aufgeschrieben.
Es ist Freitagnachmittag. Nach der Schule besucht die sieben Jahre alte Deborah ihre Großmutter. Deborah hat mit ihrer Freundin Nelly zu lange getrödelt, deshalb hat sie es jetzt eilig. Sie klingelt dreimal (...) Der Türöffner summt, die verriegelte Eingangstür öffnet sich. Deborah hat einen kleinen Blumenstrauß mitgebracht. Sie lässt ihren Rucksack zu Boden fallen und drückt der Großmutter ihre Blumen in die Hand.

So beginnt Nea Weissberg-Bobs Erzählung "Schabbat ha-Malka. Königin der Jontefftage". Jonteff ist Jiddisch und bedeutet Feiertag. Die kleine Dvora erlebt den Schabbat bei ihren Großeltern. Der Schabbat eröffnet ihr eine Welt voller interessanter Gerüche, voller Rituale und Segenssprüche, voll von gutem Essen.

In die Mitte des Esstisches stellt Großmutter ein ovales Tablett mit Holzgriffen, darauf zwei silberne Kerzenleuchter. Sie erzählt, dass das Leuchterpaar der Beschützer des Schabbattisches ist, denn die beiden weißen Kerzen mit ihrem warmen, festlichen Licht bringen Frieden und Ruhe in die Wohnung.

Es ist die Welt des osteuropäischen Judentums, die die Großeltern der kleinen Enkeltochter vorleben. In Polen haben Großvater und Großmutter früher gelebt. Vage deutet die Erzählerin an, dass sie Überlebende des Holocaust sind.

Auch die Familie der Autorin Nea Weissberg-Bob stammt aus Polen. Auch ihre Eltern waren Überlebende des Holocaust. Nach dem Krieg lebte die Familie in Berlin. Große Mühe gaben sich die Eltern mit dem Schabbat.

"Zu Hause war Schabbat immer dadurch bestimmt, dass wir mit der gesamten Familie zusammen waren und immer Besucher hatten. Es ist eine Tradition in jüdischen Familien, dass auch ärmere Menschen eingeladen werden, Menschen, die etwas zu erzählen haben, fromme Menschen, die saßen bei uns am Tisch, es wurde immer sehr rege diskutiert, wir haben gesehen, wie unsere Mutter das Essen für den Schabbat vorbereitet hat, wie der Tisch gedeckt wurde. Wir waren dabei, wie sie die Lichter benschte, also die Lichter anzündete, die Schabbeslichter, und es gab aber immer in unserer Familie eine Wehmut dabei. Wir mussten um sie gruppiert sein, wenn sie die Lichter anzündete, und wir spürten bei ihr immer ein Seufzen. Und wir wussten damals als Kinder nicht, wo der Zusammenhang ist, das haben wir erst später erfahren. Das war die Erinnerung an die Shoa, an die, die sie verloren hatte. Und das umschattete die eigentlich sehr friedvolle Atmosphäre."

Großeltern wie in der Erzählung hatte Nea Weissberg-Bob nicht.

"Diese Wahl dieser beiden Protagonistinnen, also Dvorale und ihre Großmutter Manja, ist entstanden aus einer Sehnsucht, die besonders die Kinder von Holocaustüberlebenden haben, die nie Großeltern erfahren haben. Das heißt, dieses ist das Konstrukt einer Sehnsucht, so wie ich es mir gewünscht hätte in meiner Kindheit."

Die Autorin hat die Erzählung auch für ihre Tochter geschrieben, mit der sie lange keinen Schabbat feiern konnte. Die junge Frau in den Zwanzigern ist Autistin und hat zahlreiche Ängste.

"Bei ihr ist eine Hauptangst Angst vor Essen. Und sie konnte Jahrzehnte nicht am Tisch mit anderen Menschen sitzen und gemeinsam essen. Das heißt, ich wäre das Risiko eingegangen, dass sie den ganzen Tisch abräumt, und dann haben wir damit aufgehört. Essen ist im Judentum sehr wichtig. Erst mal gibt es ganz leckere Gerichte zu den Feiertagen und gerade auch an Schabbat. Man redet, man isst, man ist gesellig - und das war nicht möglich."

Mit ihrer Erzählung konnte Nea Weissberg-Bob ihrer Tochter den Schabbat schmackhaft machen.

"Ich habe ein Märchen geschrieben und es ihr mehrfach vorgelesen, sie hat dazu ein Aquarell gemalt, sie hat einen Engel gemalt, und sie genießt das. Sie hat von Anfang bis zur Produktion des Buches teilgenommen."

Dass "Schabbat ha-Malka" ein Sehnsuchtsbuch ist, hat nicht nur mit der Lebensgeschichte der Autorin zu tun. Während einer mühseligen Woche warten Juden sehnsüchtig auf den Tag ohne Arbeit. Der Schabbat gibt einen Vorgeschmack auf eine andere Welt. Juden tun einen Tag lang so, als herrschte Frieden, als wären sie im Paradies. In einer Welt voller Ungleichheit tun sie so, als wären alle Menschen gleich. Denn am Schabbat haben alle ohne Unterschied frei. Der Schabbat ist der Tag, der die Sehnsüchte auf den Punkt bringt.

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