Tag der Pressefreiheit

Pegidas Angriffe auf die Presse

"Lügen-Medien!" steht in Grafitti auf einer Wand vor einer Wohnanlage in Berlin im Bezirk Tiergarten.
Graffito an einer Wand: Die Pressefreiheit wird immer häufiger auch von unten angegriffen © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Thilo Schmidt · 03.05.2017
Bei Demonstrationen der rechtspopulistischen Organisation Pegida kommt es immer wieder zu tätlichen Übergriffen. Unser Reporter Thilo Schmidt hat dies in Dresden am eigenen Leib zu spüren bekommen.
"Schnapp dein Mikro und verschwinde! Verpiss dich, man! Scheiß Lügenmedien! Du provozierst! Pack dein Zeug und verschwinde! Scheiße, wie du dein Geld verdienen musst, wa? Mit deinen Lügen, man! // Damit verdienst du Kohle, schäm dich, du Penner!"
Solche Sätze kriegt Arndt Ginzel immer wieder zu hören, sagt er. "Neben der verbalen Gewalt und der Bedrohung muss man dann halt immer noch die Befürchtung haben, dass man eventuell körperliche Beeinträchtigungen – dass man verletzt wird, schlicht und ergreifend."
Der Journalist, Jahrgang 1972, betreibt mit zwei Kollegen ein Journalistenbüro in Leipzig und berichtet regelmäßig für das MDR-Fernsehen und andere Programme von Pegida- und AfD-Veranstaltungen. Und regelmäßig stellt er dabei fest: Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland in Gefahr. Sie wird von unten bedroht.

Tätliche Gewalt gegen Journalisten

"Durch Steine, durch Schläge, durch was auch immer. Oder dass die Kamera einfach runtergeschlagen wird. Ich hab Fotografen erlebt, deren Kamera zu Bruch ging – dass man über so was überhaupt nachdenken muss, dass ich mich jetzt irgendwie körperlich schützen muss vor Gewalt."
Mehrere tausend Pegida-Anhänger demonstrieren auf dem Theaterplatz in Dresden anlässlich des zweijährigen Bestehens der Bewegung
Pegida in Dresden - immer wieder kommt es von Aktivisten auf Angriffe gegen kritische Journalisten© picture alliance / dpa / Oliver Killig
Arndt Ginzel weiß um das hohe Gut der Pressefreiheit. Er wurde anlässlich von Recherchen sowohl in der Türkei als auch in der Ostukraine inhaftiert – und beide Male nur durch Glück und findige Kontaktpersonen nach kurzer Zeit freigelassen. Und er machte weiter. Ginzel ist Journalist aus Leidenschaft und Berufung.
"Da war immer so ein bisschen das Interesse da an Gesellschaft, wie sich Gesellschaft verändert, und was da passiert. Ich hab viel Radio gehört, als Kind, und als Jugendlicher, vor allen Dingen Informationsangebote. Und was mich immer begeistert hat ist, wenn Reporter unmittelbar Zeitzeugen sind, an Ereignissen teilgenommen haben, vor Ort waren und Teil dieser Geschichte wurden. Ohne direkt involviert zu sein. Ich hab mir immer, so naiv wie ich war, als Kind und Jugendlicher, vorgestellt, dass das ein ziemlich bewegendes Leben sein könnte. Und ein sehr erfüllendes Leben sein könnte als Journalist."

Mit dem Strafrecht gegen missliebige Berichterstattung

2007 und 2008 berichtete Arndt Ginzel zusammen mit einem Kollegen nach jahrelangen Recherchen über die als "Sachsensumpf" bekannt gewordene Affäre. Es ging um Verbindungen hochrangiger sächsischer Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Justiz zur Organisierten Kriminalität. Unter anderem fanden sie heraus, dass hochrangige Justizbeamte bei minderjährigen Zwangsprostituierten ein und aus gingen. Und sie stießen auf ein Geflecht aus Menschenhandel, Immobiliengeschäften, Zwangsprostitution und einem versuchten Mord. Doch während Ermittlungen gegen mögliche Täter eingestellt wurden, müssen sich nun Arndt Ginzel und sein Kollege vor Gericht verantworten – wegen Verleumdung und übler Nachrede.
"Und da ging's natürlich aus unserer Sicht um eine Gesichtswahrung der Staatsanwaltschaft, an der Stelle. Für uns war das natürlich absolut unvorstellbar, dass wir mal eines Tages für Berichterstattung ein Strafrechtsverfahren an die Backe kriegen. Ja? Also das war für mich ein Thema, was irgendwo in irgendwelchen Ländern stattfindet, die autoritäre Regime haben, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland möglich ist. Es war natürlich erst mal ne Behinderung für viele, viele Jahre. Die wir dann in Kauf nehmen mussten.
Wir haben uns ja auch selber aus dem Rennen genommen. Wir haben ja gesagt: Mit der Einleitung der Verfahren sind wir befangen, wir können auch nicht mehr drüber berichten. Letztlich war das wahrscheinlich auch ein Fehler. Weil man der Staatsanwaltschaft damit signalisiert hat: Ja, das ist ein gutes Instrument, um Journalisten mundtot zu machen. Mit Strafrecht."

Bedrohung von unten

Die beiden Journalisten werden 2010 vom Amtsgericht Dresden zu je 2.500 Euro Strafe verurteilt. Sie legen Revision ein - und werden erst zwei Jahre später vom Landgericht Dresden freigesprochen. Was Ginzel heute erlebt, ist die Bedrohung der Pressefreiheit von unten, vom Volk.
"Das fand – oder das finde ich, das ist ja bis heute, das Problem, bedrohlicher. Während man sich ja gegen alles andere wunderbar wehren kann, ist eine Ablehnung der Medien als ein Teil auch unserer offenen Gesellschaft dann auch schon substantiell und bedrohlich. Weil man ja das Gefühl hat, für die Leute berichtet man ja auch. Das sind ja auch deine Zuschauer, deine Leser, deine Hörer. Die dir plötzlich unterstellen, dass du lügst. Das sind nicht alles Nazis, die dort rumlaufen. Sondern das sind optisch betrachtet Durchschnittsbürger. Die dann alle zusammen Lügenpresse in deine Kamera brüllen."

Pegida drückt Deutschland nach unten

Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die "Reporter ohne Grenzen" jedes Jahr veröffentlicht (hier die Liste von 2017), ist Deutschland im letzten Jahr um vier Plätze abgerutscht – auf Platz 16. Und zwar ausdrücklich aufgrund gewalttätiger Übergriffe auf Medienvertreter bei Kundgebungen von Pegida und seinen regionalen Ablegern.
"Blöd und hart ist es dann noch, wenn noch Steine fliegen, oder Flaschen, wo man sich dann noch Schutz suchen muss hinter irgendwelchen Gebäuden oder Mauern, oder so. Also ich habe es erlebt, dass in Heidenau gezielt mit Flaschen Richtung Journalisten geworfen wurde. Es gibt auch Fotografen, die mittlerweile mit nem Helm durch die Gegend ziehen. Also das ist alles Irrsinn. Und es macht den Beruf weiß Gott nicht einfacher."

Keine Berührungsängste vor Neonazis mehr

Dresden, Ende Februar. Der Wiener Platz vor dem Hauptbahnhof füllt sich nach und nach. Pegida hat zu Kundgebung und "Abendspaziergang" aufgerufen. Es kommen zweitausend. Ganz normale Biedermänner. Die Pegida hat längst jegliche Berührungsängste mit Neonazis verloren – auf der Bühne spricht ein Vertreter der rechtsextremen "Identitären Bewegung", die mit Guerilla-artigen Aktionsformen Jugendliche anspricht. Die Übergänge der Identitären Bewegung ins Neonazi-Milieu sind fließend.
Kollegen, die regelmäßig von Pegida-Demonstrationen berichten, vermeiden es mittlerweile, in die Menge hinein zu gehen, sondern halten sichere Distanz und bleiben in kleineren Gruppen zusammen. Kamerateams werden von Sicherheitsdiensten bewacht. Auch Marc hält mittlerweile sichere Distanz zur Demonstration. Er ist Pressefotograf und beobachtet die Pegida-Aufmärsche in Dresden von Beginn an.
"Ich hab früher auch schon andere, prinzipiell erst mal risikobehaftetere Demonstrationen begleitet, sei es 1. Mai in Hamburg, irgendwelche Nazi-Aufmärsche, aber das bin ich so nicht gewohnt. Ja, ich kenne das, dass man einen Helm dabei hat, wenn es etwas härter zugeht, dass da mal Steine fliegen, mal Flaschen fliegen, und dass man als Presse mal zwischen die Fronten gerät. Aber dass man gezielt angegangen wird, das hab ich eigentlich außerhalb dieser Demonstrationen noch nicht erlebt."

Gezielte Angriffe auf Journalisten

Für Journalisten werden Angriffe und Anfeindungen immer mehr zur Belastung. Jeder dritte Journalist wird wegen seiner Arbeit angegriffen – von Angesicht zu Angesicht. Das zeigt eine Studie Bielefelder Konfliktforscher. Die Studie zeigt auch, dass Journalisten zunehmend überlegen, ob sie es unterlassen, zu bestimmten Themen zu berichten – um weiteren Angriffen aus dem Weg zu gehen.
In Dresden ist die Kundgebung beendet, Pegida beginnt seinen "Abendspaziergang". "Entschuldigung, darf ich mal fragen, warum sie da oben Lügenpresse stehen haben", frage ich einen Demonstranten. "Das kann man ja lesen, warum das da steht", lautet die Antwort. Und dann auf weitere Nachfrage: "Was sag' ich Ihnen – ganz einfach. Ich habe mehrere Interviews gegeben, und nicht ein einziges ist so wiedergegeben, wie ich es gesagt habe, sondern so, wie die Reporter sich eingebildet haben, mit meinem Namen hausieren zu gehen."
Es kommt zu einem Wortgefecht. Der Auslöser war eine Frage, mehr nicht. Die Frage, warum dieser Herr, dem Anschein nach gutbürgerlich, ein Pappschild mit der Aufschrift "Lügenpresse" vor sich her trägt.
"Schämen Sie sich! Gleichgeschaltete Presse. Gleichgeschaltet! Schämt ihr Euch nicht? Ihr seid doch keine Journalisten! Keen Hintern und keen Rückgrat, nichts habt ihr! Ihr seid Bezahlschreiber! Lügenpresse, Lückenpresse, Systempresse, alles stimmt. Mit wenigen Worten ist ausgedrückt, was Sache ist. Und sie sind der Handlanger! Schämen Sie sich!"
Ein Argument bekomme ich nicht zu hören. Nur: "Je mehr Sie lügen, umso besser werden Sie bezahlt! Und je größer die Lüge, umso eher wird sie geglaubt."

"Lügenpresse" und "Meinungsfaschisten"

Der Demonstrationszug hat den Wiener Platz in Richtung Sankt Petersburger Straße verlassen. Es regnet, es ist dunkel. "Von was für ner Scheißpresse bist du", werde ich gefragt. "Warum Scheißpresse", frage ich zurück. "Hab ich gesagt, dass du mich aufnehmen darfst", schallt es mir entgegen. "Sie haben mich gefragt! Was ist jetzt das Problem?" Die Antwort darauf: "Ich will gar nicht mit Ihnen reden! Sie haben keine Erlaubnis mit den Leuten zu reden!"

Im Anschluss an seine Reportage äußerte sich Reporter Thilo Schmidt im Deutschlandfunk Kultur über seine Erfahrungen im Dresden. Ein Ausschnitt: "Bei den Demos echter Neonazis läuft die Polizei in der Regel Spalier. Auch bei linken Demonstrationen kommt oft auf einen Demonstranten ein Polizist. In Dresden werden wöchentlich Demonstrationen durchgeführt, aus denen heraus es regelmäßig zu Angriffen auf Journalisten kommt. Hier ist der Staat gefragt, wie er damit umgehen will." Hören Sie hier das ganze Gespräch:

Ich begleite die Demonstration an deren Rand. Die Polizei ist außer Sichtweite. Von der Demonstration abgesehen ist die Straße menschenleer. "Ich wollte doch einfach nur ne Antwort haben. Von welcher Lügenpresse kommen Sie denn", werde ich gefragt. Die Antwort auf meine Frage, warum mein Gegenüber das Wort "Lügenpresse" wählt: "Weil ihr Meinungsfaschisten seid!"
Dann durchfährt mich ein Schlag. Ein Pegida-Teilnehmer rammt mir seinen Ellenbogen mit Wucht in die Rippen. Ein anderer Demonstrant will mir das Mikrofon wegnehmen. Ich fordere ihn auf, das zu unterlassen. "Pack dein Zeug und verschwinde! Damit verdienst du Kohle, schäm dich, du Penner", kriege ich zu hören.

Extreme Filterblasen bedrohen den gesellschaftlichen Diskurs

Montag für Montag genehmigen die Behörden eine Demonstration von Menschen, die die Gebote der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen. Und Montag für Montag kommt es bei diesen Demonstrationen zu Angriffen auf Journalisten. "Ich finde Gewalt zwar bedrohlich", sagt der Journalist Arndt Ginzel.
"… aber was mich weitaus mehr entsetzt ist die gesellschaftlich weit verbreitete Ablehnung von Presse. Weil das geht tiefer rein und ist zerstörerischer. Weil es in das Bewusstsein der Leute geht. Weil es dazu führt, dass kein gesamtgesellschaftlicher Diskurs mehr geführt wird. Dass Leute abwandern. Quasi immer nur noch in einer publizistischen Blase leben, in sozialen Netzwerken, wo sie sich permanent gegenseitig bestätigen, auch nicht mehr erreichbar sind für andere Argumente. Also bedrohlich ist für uns die Abkehr von Menschen, die sagen: Medien lügen. Dass es ihr Hauptzweck ist, zu lügen."
"Journalisten müssen sich auf den Staat verlassen können", sagte Justizminister Heiko Maas anlässlich der permanenten Angriffe auf Journalisten. Aber das können sie – jedenfalls montags in Dresden – in diesen Tagen nicht.

(thg / huc)
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