Tag der Arbeiterträume

Von Monika Köpcke · 01.05.2005
Freizeit, Picknick, Biergarten - wer denkt nicht auch an diese Dinge, wenn das Stichwort "erster Mai" fällt. Den Initiatoren des "Tags der Arbeit" schwebte vor 115 Jahren etwas anderes vor: Der erste Mai sollte der Tag im Jahr sein, an dem die Arbeiter geschlossen und vor einer breiten Öffentlichkeit ihre Ziele vertreten konnten. 1890 wurde der "Tag der Arbeit" weltweit zum ersten Mal begangen.
"In den Fabriken wird von früh sechs bis abends sechs Uhr gearbeitet. Die Arbeit ist schwer und äußerst einförmig ist. Sie zwingt den Körper in eine bestimmte, andauernde Haltung, die mit der Zeit durch immerwährende Wiederholung gesundheitsschädlich wirkt."

Diese Zustände moniert ein Arzt im Jahre 1886. Lärm, Lichtmangel, schlechte Luft, niedrige Löhne, permanente Existenzangst wegen unsicherer Arbeitsverträge - all das macht den Alltag eines Industrie- oder Bergarbeiters aus. Am ersten Mai 1890 sollen die Menschen nun erstmals weltweit ihre Stimme erheben und auf ein Ende dieser Missstände drängen.

"Es ist für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Manifestation zu organisieren, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des Internationalen Kongresses zur Ausführung zu bringen."

Ein Tag im Jahr reserviert für die Anliegen der Arbeiter, und das weltweit.
Am 14. Juli 1889, genau 100 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, beschließt dies der in Paris tagende Internationale Arbeiterkongress. Premiere soll am ersten Mai des folgenden Jahres sein.

Der erste Mai ist in den USA der staatlich festgelegte "moving day". An diesem Tag schließen die Unternehmer neue Lieferverträge ab und handeln mit den Arbeitern ihre Arbeitsbedingungen aus. Für den 1. Mai 1886 fordern die amerikanischen Gewerkschaften die Einführung des Achtstunden-Tages. Acht Stunden für die Arbeit, acht Stunden zur Zerstreuung, acht Stunden zum schlafen.

Die Demonstrationen verlaufen größtenteils friedlich. Nur in Chicago kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zahlreiche Arbeiterführer werden verhaftet und zum Tode verurteilt. Sie werden zu Märtyrern der Arbeiterbewegung. Ihnen zum Angedenken, so beschließt es der Internationale Arbeiterkongress in Paris, soll ab 1890 der erste Mai der internationale ‚Kampftag der Arbeit’ werden:

"Der Zufall wollte es, dass sie den Sozialistenmarsch zu spielen begangen, als wir an der Glasfabrik vorübermarschierten. Ich hatte das Lied so oft gehört, ohne dass mir sein tiefer Sinn klargeworden wäre. Nun aber, angesichts der rußgeschwärzten Fabrik, an deren Mauern unser Gesang widerhallte, da wurde mir mit einem mal klar, was ich schon seit Monaten nur dumpf gefühlt hatte: Die Welt, das Leben haben sicherlich viel mehr zu bieten, als ich und meine Schicksalsgenossen auch nur zu träumen wagen."

So wie diesem Wiener Arbeiter geht es vielen Teilnehmern der Mai-Umzüge. Die Vorstellung, dass an diesem Tag in allen Ländern Millionen Menschen gemeinsam für eine Sache auf die Straße gehen, beflügelt. In einigen Ländern wird der erste Mai zum Startschuss für Massenstreiks, in anderen bleibt es bei selbstbewussten Märschen durch die Innenstädte. In Deutschland ist man vorsichtiger: Es herrscht striktes Demonstrationsverbot und die Zeit der Sozialistengesetze steckt vielen noch in den Knochen. Also veranstaltet man so genannte Massenspaziergänge ins Grüne, bei denen einzelne Gruppen ganz zufällig zusammentreffen, und der Zug von "Spaziergängern" sich mehr und mehr vergrößert.

"Arbeiter, welche aus Anlass sozialdemokratischer Agitation am 1. Mai von der Arbeit fernbleiben, werden als kontraktbrüchig entlassen und vor dem 11. Mai nicht wieder eingestellt."

Aussperrung - so lautet die Antwort der Unternehmer auf die Mai-Demonstrationen. Doch es wird schnell klar, dass sich die Arbeiter davon nicht abschrecken lassen. Und seit der Jahrhundertwende gilt in den meisten Ländern am ersten Mai die Arbeitsruhe. Die Nationalsozialisten deuten den ersten Mai zum "Tag der nationalen Arbeit" um und machen ihn zum gesetzlichen Feiertag. Das ist er bis heute geblieben, wenn er auch in der Bundesrepublik in wirtschaftlich stabilen Zeiten mehr und mehr zu einem reinen Ausflugs- und Familientag wird.

Heute, in wirtschaftlichen Krisenzeiten, ist der erste Mai wieder politisch aufgeladen. Wenn auch eher als "Tag der Arbeitslosigkeit" denn als "Tag der Arbeit".