Tag der Arbeit

"Digitalisierung im Selbstlauf ist nicht die Antwort"

Mitarbeiter der Deutschen Bank arbeiten in der Filiale "Quartier Zukunft" in Berlin im Kundenbereich. In dieser Filiale sollen neue Entwicklungen für den Privat- und Geschäftskundenmarkt entwickelt werden.
Mitarbeiter der Deutschen Bank arbeiten in der Filiale "Quartier Zukunft" in Berlin im Kundenbereich. © Foto: Sebastian Gollnow
Hans-Jürgen Urban im Gespräch mit Moritz Behrendt · 30.04.2017
Der schnelle Strukturwandel in der Arbeitswelt müsse gestaltet werden, fordert Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall. Auch wenn die steigende Produktivität manchen Arbeitsplatz wegrationalisiert – der Soziologe ist gegen eine "Roboterprämie" oder das bedingungslose Grundeinkommen.
Moritz Behrendt: "Wir sind viele, wir sind eins" – unter diesem Motto demonstrieren morgen Gewerkschafter am Tag der Arbeit. Doch wie viele Arbeitnehmer werden noch gebraucht, wenn Maschinen zunehmend auch anspruchsvolle Aufgaben übernehmen können? Über Arbeit in Zeiten der Industrie 4.0 möchte ich jetzt sprechen mit Hans-Jürgen Urban, er ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall.
Wenn wir darüber sprechen, wie Roboter und Digitalisierung die Arbeitswelt verändern, da liegt für viele die ganz persönliche Frage nahe, ist mein Arbeitsplatz noch sicher? Rechnen Sie mit einem deutlichen Rückgang der Beschäftigung?
Hans-Jürgen Urban: So ganz genau können wir das nicht sagen, aber natürlich müssen wir aufmerksam sein. Es gibt eine Reihe von Studien, die insbesondere in den USA erstellt worden sind, die dann sehr schematisch auf die deutschen Verhältnisse übertragen wurden. Da wird dann das Szenario eines Arbeitsplatzverlustes von 30 bis zu 50 Prozent an die Wand gemalt. Ich glaub' das nicht. Ich glaube, dass die Studien realistischer sind, wie sie zum Beispiel vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vorgelegt worden sind. Die sagen, es muss im Saldo nicht zu einem Abbau von Beschäftigung kommen, aber der Strukturwandel wird sich beschleunigen. Wichtig ist vor allen Dingen: Wir müssen Einfluss nehmen, Digitalisierung im Selbstlauf, das kann nicht die Antwort sein.

Verdichtung, Entgrenzung, Arbeitsplatzverlust

Moritz Behrendt: Sie haben es schon angedeutet – es gibt kein ganz eindeutiges Bild. Aber lässt sich sagen, dass bestimmte Arbeitsplätze gefährdeter sind als andere? Welche Branchen müssen sich auf ihrer Sicht auf den größten Umbruch einstellen? Oder ist es vor allem eine Frage der Qualifikation?
Hans-Jürgen Urban: Auch da tappen wir noch ein bisschen im Dunkeln. Was wir wissen, ist, dass die Produktivität in der industriellen Produktion wahrscheinlich große Sprünge machen wird und dass die produktionsorientierten Dienstleistungen an Bedeutung zunehmen werden. Das bedeutet natürlich auch, dass die entsprechenden individuellen Qualifikationen der Menschen zunehmen werden: Der Umgang mit IT insgesamt, der Umgang mit komplexen Arbeitsaufgaben, soziale Kompetenzen, das werden Schlüsselqualifikationen der digitalen Arbeitswelt sein. Aber als Gewerkschaften müssen wir eine Doppelstrategie fahren.
Ich glaube, wir müssen auf der einen Seite die potentiellen Risiken erkennen und die Menschen davor schützen: Risiken wie Arbeitsverdichtung, Risiken wie Entgrenzung von Arbeitszeit oder Beschäftigungsverlust. Aber zweitens müssen wir natürlich auch sehen, dass wir die Menschen dabei fördern, sich die Qualifikationen der Zukunft anzueignen, von denen ich gerade gesprochen habe: das heißt Recht auf gute Ausbildung, Recht auf Weiterbildung, Recht auf Vereinbarkeit dieser neuen Arbeitswelt und ihrer Anforderungen mit dem Privatleben. Das werden Zukunftsaufgaben einer gewerkschaftlichen Digitalisierungspolitik sein.

Gegenmittel Robotersteuer?

Moritz Behrendt: Bleiben wir noch mal auf der gesellschaftlichen Ebene. Die Veränderung der Arbeitswelt bringt Verunsicherung mit sich. "Ich fürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Rechtspopulisten mit den Ängsten vor den Folgen der Digitalisierung spielen werden" – das hat gestern der Sozialphilosoph Oskar Negt in einem Zeitungsinterview gesagt. Als eine Gegenmaßnahme empfiehlt Negt die Einführung einer Robotersteuer. Herr Urban, ist das aus Ihrer Sicht ein sinnvolles Instrument?
Hans-Jürgen Urban: Diese Verunsicherung gibt es. Um so wichtiger ist es zu verdeutlichen, dass wir nicht ohnmächtig sind, sondern dass auch dieser Technologieschub, vor dem wir stehen, politisch beeinflussbar, gestaltbar ist. Das ist ganz wichtig. Die Robotersteuer – na ja, das ist so ein Klassiker, der immer wieder kommt, wenn ein neuer Technologieschub bevorsteht. Ich bin da skeptisch, ich will es Ihnen das kurz begründen. Die Vorstellung ist ja die, dass die Technik die Menschen aus der Arbeitswelt gänzlich verdrängt und damit die lohnbasierten Sozialsysteme nicht mehr finanzierbar sind. Das muss nicht so kommen, sondern wir können auch bei gestiegener Produktivität das Arbeitsvolumen solidarisch auf die Arbeitskräfte verteilen. Es muss da nicht zu Entlassungen kommen. Und zweitens, das ökonomisch Entscheidende bei der Produktivität ist ja die höhere Wertschöpfung. Und die, das wäre unser Weg, kann man über zwei geeignete Wege abschöpfen und kann sie dann doch der Sozialversicherung, den öffentlichen Haushalten zukommen lassen: durch höhere Löhne, also den fairen Anteil der Beschäftigten an dieser Produktivität, womit dann auch die Beiträge für die Sozialkassen steigen, und eine entsprechende Steuer. Das heißt, Verteilungsgerechtigkeit ist eine Schlüsselkategorie bei der Gestaltung der Digitalisierung.

Das Grundeinkommen als "Schweigeprämie"?

Moritz Behrendt: Sie sprechen von höheren Löhnen. Ein anderes Instrument ist, Arbeit ganz anders zu entlohnen. Eine Möglichkeit wäre das bedingungslose Grundeinkommen, eine andere eine finanzielle Aufwertung gemeinnütziger Arbeit. Wäre das sinnvoll?
Hans-Jürgen Urban: Eine Aufwertung gemeinnütziger Arbeit wäre auf jeden Fall sinnvoll, das voraussetzungslose Grundeinkommen meiner Auffassung nach nicht. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass die Debatte gegenwärtig vor allen Dingen von den Arbeitgebern losgetreten worden ist. Mal etwas polemisch, aber zugespitzt gesagt: Die könnten sich das gut vorstellen, damit den Mindestlohn zu unterlaufen, weil die Menschen ja ein Einkommen mitbringen und das von den Arbeitgebern nicht mehr gezahlt werden muss. Und wenn dann die Entlassungen ohne größere Proteste abgehen, weil die Menschen ja durch das Grundeinkommen angeblich gesichert sind, dann gefällt denen das auch. Das gefällt mir aber überhaupt nicht. Ich will auch sagen, es gibt auch emanzipatorische Vorstellungen von Grundeinkommen, aber auch da bin ich skeptisch, und auch da will ich in gebotener Kürze sagen, warum.
Die Gesellschaften, in denen wir leben, werden Arbeitsgesellschaften bleiben. Und ich bin, wir sind der Auffassung, dass die Integration in gute Arbeit der bessere Weg ist – weil das kann gewollt oder ungewollt auch sehr schnell, wie das André Gorz, ein Sozialphilosoph, mal gesagt hat, zur "Schweigeprämie der Ausgegrenzten aus der Gesellschaft" werden, dieses Grundeinkommen. Und ich glaube, das wäre nicht gut. Das würde eher eine neue Spaltung in die Gesellschaft hineintragen zwischen denen, die für die ökonomische Wertschöpfung verantwortlich sind, aus der das Grundeinkommen finanziert wird, und denen, die es in Anspruch nehmen. Ich glaube, das wäre nicht der richtige Weg.
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