Tabubruch in einer weitgehend gleichgeschalteten Medienlandschaft

Von Michael Meyer · 01.11.2011
Ein arabischer Sender, der die Regierungen der Region offen kritisiert: Das Programm von Al Dschasira bricht seit 15 Jahren Tabus. Im Westen allerdings galt Al Dschasira lange als Haussender Osama bin Ladens - oder in jüngster Zeit als Sympathisant von Hamas und Hisbollah.
Al Dschasira wurde vor 15 Jahren vom Emir von Katar gegründet. Anfangs bestand das Team des Senders aus nicht mehr als 17 Redakteuren, die zuvor beim arabischen Dienst der BBC gearbeitet hatten. Als Al Dschasira begann, die arabische Welt mit Informationen zu versorgen, schlug das neue Programm ein wie eine Bombe in einer weitgehend gleichgeschalteten Medienlandschaft.

Ein Sender, der die Regierungen der Region offen kritisierte und der kontroverse Talkshows ausstrahlte – das gab es bislang nicht in der arabischen Welt, und es kam einem Tabubruch gleich. Dazu kam noch, dass Al Dschasira als erster arabischer Sender auch Vertreter der israelischen Seite interviewte. Gespräche auf Augenhöhe mit dem Erzfeind – auch das gab es bis dahin nicht in der arabischen Fernsehwelt. Zu zweifelhafter Berühmtheit brachte es der Sender, als er im Oktober 2001 die erste Videobotschaft von Osama bin Laden ausstrahlte:

"Ich danke Gott, diejenigen, die Gott leitet, werden niemals verlieren. Und ich glaube an den einen Gott und Mohammed ist sein Prophet. Gott hat Amerika diese Attacken gesandt, Gott hat Amerikas größte Gebäude getroffen, und das hat sie vom Norden bis zum Süden, vom Osten bis zum Westen erzittern lassen."

Weitere Botschaften bin Ladens folgten. Weil Al Dschasira die Videos stets als Erste hatte, war der Sender im Westen bald als "Bin Ladens Haussender" verschrien. Ein zynischer Vorwurf, finden die Al Dschasira- Macher, denn immerhin hätten westliche Sender wie CNN oder BBC die Videos auch ausgestrahlt. Schwerer wiegt da schon der Vorwurf, Al Dschasira habe gewisse Sympathien auch für andere Terrorgruppen wie die Hisbollah oder Hamas. Der Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik meint, das sei nicht erstaunlich:

"Bis heute findet man da einige, denen man durchaus zurecht Sympathien für die Hamas unterstellen kann, man muss da immer darauf verweisen, das gilt auch für einen Großteil der arabischen Bevölkerung insgesamt, insofern ist es kaum zu beanstanden, dass ein überregionaler Satellitensender diese Haltung widerspiegelt. Ich persönlich habe mich da oft an Positionen gestört, beispielsweise der Position des Hausmuftis von Al Dschasira, Khar Dawoui, der wichtigste Religionsgelehrte in der arabischen Welt überhaupt, der gleichzeitig Selbstmordattentate in Israel auch gegen Zivilisten rechtfertigt. Das ist schwer zu ertragen, und allerdings gleichzeitig ein Teil des Erfolgs von Al Dschasira."

Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen dem seit 2006 existierenden englischen und dem arabischen Programm – im englischen Programm laufen all diese Dinge nicht – dieses ist eher mit CNN oder BBC zu vergleichen. Und dennoch – so meinen Experten – Al Dschasira sei nicht immer so unabhängig, wie man glauben mag, etwa wenn es um die Berichterstattung über Katar und befreundete Staaten geht. Kritische Berichte über Saudi-Arabien und Bahrein wird man bei Al Dschasira nur selten finden – nicht zuletzt deswegen wird der Sender auch schon mal als "eines der wirkungsvollsten Instrumente" der Außenpolitik von Katar bezeichnet, wie unlängst die Süddeutsche Zeitung schrieb.

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