Szenarien des Weltuntergangs

08.10.2008
Bilder von endzeitlichen Szenarien sind allgegenwärtig in Film und Literatur - Bilder von Aids bis Weltkrieg. Einen wisssenschaftlichen Blick unterschiedlicher Disziplinen auf das Phänomen der Apokalyptik bietet der Sammelband "Apokalypse" und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.
"Und der erste Engel posaunte: und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde; und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte."

So wird im achten Kapitel der Offenbarung des Johannes aus dem Neuen Testament der Untergang einer alten Weltordnung prophezeit. Das erste Wort dieses Textes ist "apokalypsis", zu Deutsch "Enthüllung". Nach ihm wird das Buch gemeinhin auch die "Apokalypse des Johannes" genannt.

"Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herab fahren, bereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann."

Am Ende der Apokalypse steht ein Heilsversprechen - in diesem Fall die Einsetzung eines neuen Reiches göttlicher Ordnung. Religionswissenschaftler und Theologen verstanden und verstehen bis heute die Offenbarung des Johannes meist als Trostbotschaft, gerichtet an die im römischen Reich verfolgten christlichen Gemeinden.

In dem beim Campus Verlag erschienenen Buch "Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik" will der Mitherausgeber und Bibelwissenschaftler Bernd U. Schipper diese Annahme widerlegen. Neue historische Erkenntnisse lassen ihn zu einem anderen Ergebnis kommen.

Ihm zufolge hat die Christenverfolgung im Jahr 95 n.Chr. nicht wie bisher angenommen stattgefunden. Die Offenbarung des Johannes spiele vielmehr auf die Divinifizierung, sprich Vergöttlichung, des römischen Kaisers an, der sich dadurch uneingeschränkte Anerkennung verschaffen wollte.

"Dies bedeutete, dass im Hintergrund der Johannes-Offenbarung keine explizite Christenverfolgung steht, sondern eine historisch-politische Situation, bei der die christlichen Gemeinden sich einer Entscheidungssituation ausgesetzt sahen. Sie konnten entweder als Gemeinde organisiert bleiben, was eine Ausgrenzung bedeutet, oder sich dem römischen Kaiserkult unterordnen."

Die Christen sollten also vielmehr ermahnt als getröstet werden. Apokalyptische Texte haben nicht nur eine religiöse, sondern fast immer auch eine politische Dimension. Das ist eine zentrale Erkenntnis der jetzt vorgelegten Textsammlung. In Zeiten sich abzeichnender sozialer Umbrüche tauchen Apokalypsen häufig als konservierende Maßnahmen einer an den Rand gedrängten Elite auf.

"Der notwendige Fundus an religiöser und kultureller Tradition, aus der heraus die Sinndeutung der Zeichen der Bedrohung der Gemeinschaft als Apokalypse entnommen werden kann, ist durch eine lange jüdische und christliche Tradition apokalyptischer Prophetie gegeben. Sie ist elementarer Teil der Alltagskultur auch derer, die ihren religiösen Hintergrund kaum noch oder gar nicht mehr kennen."

Und so finden die Autoren des Buches apokalyptisch gefärbte Sprache häufig dort, wo der Leser sie am wenigsten vermutet hätte.

"Die Diktatur des Proletariats wird kommen, aber sie ist nur ein Durchgangsstadium in ein ewiges goldenes Zeitalter der Menschheit."

Dies ist nur e i n e apokalyptische Formulierung des dezidiert religionskritischen Karl Marx. Selbst die Grünen haben sich immer wieder apokalyptische Argumentationsmuster zunutze gemacht. In einem Interview mit dem Spiegel prophezeite Petra Kelly:

"Die Menschheit ist verloren. Nur wenn Grüne gewählt werden, wird sie errettet."

Weitere Aufsätze beleuchten unter anderem die Beziehung der Zeugen Jehovas zu ihren vielen, allerdings nie konkret eingetretenen Prophezeiungen des Weltendes. Und der Beitrag des Juniorprofessor für Zeitgeschichte Thomas Etzemüller trägt den provokanten Titel

"Dreißig Jahre nach Zwölf? Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert".

Etzemüller skizziert hier, wie, beginnend mit Robert Thomas Malthus, seit über 200 Jahren immer wieder der Bevölkerungskollaps vorausgesagt wird - dessen Eintreten aber weiter auf sich warten lässt, wie das himmlische Jerusalem. Auch Etzemüller weist auf die politische und soziale Dimension dieser speziellen Apokalypse hin:

"Die demographische Apokalypse dient als Instrument zur Ordnung der Gegenwart."

Viele Apokalypsen neueren Datums sind Prophezeiungen, die vor allem auf ihre Abwendung zu zielen scheinen. Das Buch zeigt, dass apokalyptisches Denken scheinbar zum Menschen gehört wie Atmung oder Fortbewegung. Gleichzeitig desmystifiziert es dieses oft in eine bildreiche Sprache gekleidete Denken, indem es die pragmatischen Kräfte dahinter aufzeigt.

"Denn speziell die apokalyptischen Deutungsmuster scheinen von jeher ein probates Mittel der Weltdeutung gewesen zu sein, das einerseits identitätsstiftend ist und zugleich ein Ordnungsinstrument darstellt. Dabei scheint der Reiz in dem Dualismus zu liegen, der apokalyptischem Denken innewohnt und der in der Beschreibung klarer Gegensatzpaare zwangsläufig einen totalitären Zug hat."

"Sein oder Nichtsein - das ist hier die Frage."

Die Apokalypse, so die Herausgeber, ist danach nicht nur ein Deutungsmuster, sondern auch eine Diskursmacht. Das Buch versteht sich als Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion der Apokalypse. Und so nimmt es wenig wunder, dass man ständig auf Worte wie "soteriologisch", "melioristisch" oder "Proskynese" trifft. Hat man erst einmal die Scheu vor diesen wissenschaftlichen Begrifflichkeiten abgelegt, ist das Buch aber auch für den Laien eine absolut empfehlenswerte Lektüre.
Rezensiert von Ralf Bei der Kellen

Alexander K. Nagel / Bernd U. Schipper / Ansgar Weymann (Hg.): Apokalypse. Zur Soziologie und Geschichte religiöser Krisenrhetorik
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008,
312 Seiten, 24,90 Euro