Syrien und das Versagen des Westens

"Wir sollten hoffen, dass Assad im Amt bleibt"

Angriff auf die syrische Stadt Duma - Rauchsäulen stehen über der Stadt
Ein Diktator, der sein Volk bombardiert wie Assad, ist schlimm - aber was danach kommen könnte, wird schlimmer, meint Jakob Augstein. © dpa / Ammar Safarjalani
Jakob Augstein im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 10.04.2018
Dass der Westen im Fall Syriens außen vor ist, zeigt für Jakob Augstein: "Der Westen bestimmt nicht mehr, wie es auf der Welt läuft." Dass die SPD ausgerechnet jetzt die Tradition der Entspannungspolitik gegenüber Russland über Bord zu werfen scheint, findet er falsch.
Nachdem Dutzende Menschen in Syrien offenbar durch einen Giftgasangriff starben, kündigt US-Präsident Donald Trump Vergeltung an. Der Journalist und Verleger Jakob Augstein rechnet allerdings nicht damit, dass dabei mehr als ein symbolisches Bombardement wie schon im Frühjahr 2017 herauskommen werde.
"Man muss am Ende des Tages einfach sehen, dass wir – und damit meine ich jetzt den gesamten Westen – da im Prinzip hilflose Zuschauer sind und nichts machen können", sagte Augstein im Deutschlandfunk Kultur. Zumal niemand einen Plan hat, wie eine positive Zukunft nach einer Militärintervention in Syrien aussehen könnte. Wie der Westen bisher in der Region interveniert habe, funktioniere einfach nicht, sondern es sei nachher immer schlimmer gewesen als vorher. "Also, man muss ganz klar sagen: Gaddafi war besser als der IS, Hussein war besser als der IS."

Lieber ein Kriegsverbrecher wie Assad als ein "islamistisches Horrorregime"

Auch Assad werde besser sein als "irgendein islamistisches Horrorregime", meint der Verleger und Chefredakteur des "Freitag". "Ich bin inzwischen eher der Auffassung, wir sollten hoffen, dass Assad im Amt bleibt – und ich weiß, was für ein perverser Satz das ist. Denn er ist der Fassbombenmörder, er hat Männer, Frauen, Kinder vergast dort, er ist ein Kriegsverbrecher, ohne Zweifel."
Jakob Augstein, Verleger und Chefredakteur
Jakob Augstein© imago stock&people
Dass im Fall einer Lösung des Syrien-Konflikts der Westen außen vor steht und andere Staaten wie Russland die Initiative ergriffen haben, ist für Augstein auch Ausdruck eines veränderten globalen Kräfteverhältnisses. "Der Westen bestimmt nicht mehr, wie es auf der Welt läuft", betont er. In den letzten zehn Jahren habe man gelernt, dass das amerikanische Empire am Ende ist. "Obama war der letzte Präsident des Westens, Trump ist es schon nicht mehr, Trump ist nur noch amerikanischer Präsident und betreibt auch entsprechende Politik. Daran werden wir uns alle gewöhnen müssen."
Umso bedauerlicher findet Augstein, dass sich unter dem neuen Außenminister Heiko Maas (SPD) ein deutlich russlandkritischerer Kurs der Bundesregierung abzeichnet - und ein Bruch mit der sozialdemokratischen Tradition der Entspannungspolitik. "Da findet offenbar ein Generationswechsel bei der SPD statt. Also, wenn das die SPD-Erneuerung ist – da hätte ich lieber ein paar von den Alten noch dabei."

Deutschland gegenüber Russland in der Pflicht

Wegen seiner geografischen Lage und seiner historischen Schuld sieht Augstein Deutschland in der Pflicht, gegenüber Russland eine Mittlerrolle einzunehmen. "Und in dem Maße, wie wir uns auf die Amerikaner nicht mehr verlassen – und das können wir ehrlich gesagt nicht – ist es umso wichtiger. Und insofern würde ich mir wünschen, dass da ein bisschen von dem alten Entspannungsgeist der SPD am Leben bliebe", betont er. "Aber diese, ich glaube, das ist jetzt dann die Urenkelgeneration sozusagen von Brandt und Bahr, die da am Ruder ist – die scheint das Erbe der Ostpolitik nicht besonders zu schätzen."
(uko)

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