Syrien-Reisender Abdul

Zu Unrecht als Terrorist verdächtigt?

Ein Polizeischild vor einem Himmel mit dunklen Wolken.
Ein Polizeischild vor einem Himmel mit dunklen Wolken. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Sabine Adler · 19.11.2015
Auch aus Deutschland gibt es Kämpfer im syrischen Bürgerkrieg. Auf die Rückkehrer haben die Sicherheitsbehörden ein besonders wachsames Auge. Der Bürgerkriegsflüchtling Abdul lebt seit 20 Jahren in Deutschland und war mehrfach in Syrien, gekämpft habe er nicht. Er kritisiert, dass er nun im Visier der Polizei ist.
"Wie ich aussehe? Ein 35 Jahre, bald 36 Jahre alter Mann."
"So klingen Sie gar nicht." (Babygejuchze im Hintergrund) "Wen hören wir denn da im Hintergrund?"
"Das ist meine Tochter."
"Ist das Ihr einziges Kind?"
"Ja. Meine Lebensgefährtin hat noch zwei Töchter."
Abdul heißt nicht Abdul. Ich kann ihn nicht sehen. Wir reden per skype, seine Stimme wurde verfremdet. Seit über 20 Jahren lebt Abdul in Deutschland. Die Eltern schickten ihn als Kind aus dem Bürgerkriegsland ins Ruhrgebiet, sie selbst kamen später nach. Der Familie wurde Asyl gewährt. Abdul ging zur Hauptschule, hatte Sprachschwierigkeiten, machte später auf der Abendschule seinen Real-Abschluss. Jahrelang führte er deutsche Touristen als TUI-Reiseleiter durch Spanien und Griechenland. Er liebte dieses Leben, die Musik damals.
Doch irgendwann wollte er sesshaft werden, eine Familie gründen. Er begann als Übersetzer aus dem Arabischen ins Deutsche. Viel Arbeit, aber kein Geld. Die Auftraggeber prellten ihn um seinen Lohn.
"Dann gab es Mietschulden. Ich konnte die große Hochzeit nicht finanzieren. Es ging wirklich um materielle Sachen. Und es kam zur Scheidung. Ich hatte Schulden und eine Hochzeit von 10.000 Euro konnte ich mir nicht leisten, wo sollte ich das Geld herholen?"
Die Frau, die er bislang nur standesamtlich geheiratet hatte, trennte sich von ihm. Danach schien, was er anpackte, schief zu gehen.
"Ich habe mich beworben, Jobs, alles hat nicht wirklich so ganz geklappt. Und ich wollte wirklich abschalten, wollte was tun, wo ich mich ein bisschen ablenken kann."
Abdul sah die Bilder aus Syrien, die Verletzten.
"Dann habe ich mir gesagt: Komm, flieg in die Türkei, schau mal nach, was man da machen kann."
"Hassprediger gegen den IS"
Er kämpfte nicht in Syrien, beteuert er, sondern half, Verletzte aus Homs und Hamah in Krankenhäuser entlang der türkischen-syrischen Grenze zu bringen. Später stellte er Bilder aus Aleppo und anderen umkämpften Städten mit deutschen Kommentaren ins Netz.
"Ich habe unten nicht gekämpft. Wenn man die Arbeit in der Hilfsorganisation oder im medialen Bereich als Kampf sieht, dann habe ich gekämpft. Aber ich habe am aktiven Kampf nicht teilgenommen und hätte auch nicht teilgenommen. Das ist schon keine einfache Sache, einem Menschen gegenüberzustehen und ihm eine Ohrfeige zugeben. Wie ist das dann erst, ihm das Leben zu nehmen?"
Es war bei diesem ersten Syrienaufenthalt, als Abdul erstmals Bekanntschaft mit der Terrororganisation Islamischer Staat machte. Sie hätte Lebensmittel, Medikament beschlagnahmt. In dem Dorf, in dem Abdul war, wurde eine ganze Familie getötet, weil der Vater eine Konservendose mit einem amerikanischen Etikett geöffnet hatte. Seitdem warnt Abdul vor dem IS, der von dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad nicht wirklich als Gegner gesehen werde.
"Die sind da vom syrischen Regime und vom Iran. Die wurden nicht von denen bekämpft, sondern die sind an denen vorbeigefahren mit Konvois, um andere Rebellen anzugreifen. Das wurde sogar koordiniert. Es gab Desserteure von der syrischen Regierung und die haben das berichtet. Auch jetzt, Russland erzählt, dass es gegen den IS kämpft. 99 Prozent der Bomben, die auf Syrien fallen, sind gegen das Volk."
Er, der gewarnt hat vor dem IS, erlebte, dass er im türkisch-syrischen Grenzgebiet als Ausländer selbst für einen IS-Kämpfer gehalten wurde. Man forderte ihn auf zu verschwinden.
"Die haben mir Geld gegeben und meinten: Fahr weg."
Wieder in Deutschland wollte er weiter aufklären. Er bezeichnet sich als "Hassprediger gegen den IS". Der drohte ihn zu ermorden, sagt Abdul.
"Ich war schon damals ein Anstifter gegen IS und ein Hassprediger gegen IS und den ganzen Extremismus. Weil ich miterlebt habe, was passiert ist."
Abdul versteht die Welt nicht mehr
2014 hat er sich noch einmal auf den Weg gemacht. Wieder nicht zum Kämpfen, wie er sagt, sondern um Freunde zu besuchen. Dieses Mal blieb er drei Monate, 2012 waren es fünf. Seit seiner Rückkehr interessiert sich die deutsche Polizei für ihn.
"Die haben mir meinen Ausweis weggenommen danach. Und dann ging mein Leben wieder zugrunde. Das war vor über einem Jahr. Und dann wurde da schön reingekritzelt. Und dann haben sie ihn mir wieder zurückgegeben, Einträge reingeschrieben und dann ging es wieder los: Egal, wo ich mich vorgestellt habe, für die Arbeit auf dem Amt, hat man auf der ersten Seiten einen schönen großen Text gesehen."
Abdul versteht die Welt nicht mehr. Paris zeige, wozu der IS fähig sei und er, der gegen die Terrororganisation auftrete, werde bestraft.
"Ist jetzt schon jeder, der einmal in Syrien war, ein Dschihadist? Ich werde behandelt wie ein Schwerverbrecher. Ich kann das verstehen, wegen Paris. Man könnte es mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen, wo die Juden markiert worden sind."
Warum geht jemand, der aus einem Bürgerkriegsland geflohen ist, freiwillig wieder in ein Konfliktgebiet?
"Ich bin multikulturell aufgewachsen. Ich fühle mich hier zu Hause. Grenzen spielen für mich keine Rolle."
An den Krieg in seiner Heimat habe er keine Erinnerung, er sei zu jung gewesen.
Mehr zum Thema