Syrien im Abgrund - Politik am Ende

Von Peter Lange · 31.08.2013
Wenn sich Washington, London, Paris und Moskau nicht einigen, wird die Zerstörung Syriens weitergehen. Eine militärische Strafaktion mit vagen Zielen und unzureichender Legitimation wird daran nichts ändern, kommentiert DKultur-Chefredakteur Peter Lange.
Stellen wir uns Folgendes vor: Nachdem zweifelsfrei erwiesen war, dass die syrische Regierung ihre eigene Bevölkerung vergast hatte, bildeten die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats eine Militärallianz, besetzten gemeinsam Syrien und entwaffneten sowohl die Regierungstruppen als auch die Milizen. Die Verantwortlichen in Regierung und Armee wurden an den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag überstellt. – Ein utopischer Gedanke, fürwahr. Es scheinen Lichtjahre zu sein, die uns von einer politischen, geschweige denn militärischen Zusammenarbeit der fünf Veto-Mächte und von einer Befriedung Syriens trennen.

Der zweifelsfreie Beweis, dass es Assads Truppen waren, die das Giftgas eingesetzt haben, ist bis jetzt noch nicht erbracht. Es spricht viel dafür, dass dieses Verbrechen auf das Konto der Armee geht. Es ist aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass diese Wahnsinnstat von den Rebellen verübt wurde, um ein Eingreifen der USA zu erzwingen.

Aber gesetzt den Fall, es lässt sich beweisen, dass das Assad-Regime zu den Giftgasgranaten gegriffen hat: Dann sind Bomben und Raketen auf Syrien – wenn überhaupt - nur zu rechtfertigen, wenn damit eine halbwegs plausible Perspektive verbunden ist, das Leiden der syrischen Zivilbevölkerung zu beenden. Gibt es eine solche Perspektive? Die Optimisten meinen, eine Schwächung des Regimes werde zu einem militärischen Patt und damit beide Seiten zu der Einsicht führen, dass ein politischer Kompromiss ausgehandelt werden muss. Aber kann ein Regime, das derartige Verbrechen verübt und vor Gericht gehört, noch ein Verhandlungspartner sein?

Assad und seine Schergen müssen geächtet werden
Es ist eine Option, die einen hohen Preis an ganz anderer Stelle kostet. Denn sie konterkariert jene menschenrechtlichen Ansätze, die es als internationale Verpflichtung sehen, Völker vor ihren eigenen verbrecherischen Machthabern zu schützen. Assad und seine Schergen müssen geächtet werden. Den Machthaber mit einer Militäraktion zu bestrafen, ohne ihn als Person zu meinen und hinterher mit ihm verhandeln zu wollen – Wie soll das gehen? Wer Assad jetzt noch immer für satisfaktionsfähig erklärt, bewegt sich in dem alten Denken von Machtverhältnissen und nationalen Interessen. Und er läuft Gefahr, sich von mühsam erreichten internationalen Standards in Sachen von Humanität, Völkerrecht und Menschenrechten zu lösen.

Das Beispiel Syrien zeigt, wie dieses alte Denken ins Elend führt, das auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch wirksam ist. Allerdings gab es seit der Installation eines Roten Telefons in Moskau und Washington wenigstens ein rudimentäres Verständnis von gemeinsamer Verantwortung für die internationale Sicherheit. Das hat bei allen schlimmen regionalen Konflikten und Stellvertreterkriegen die völkermörderische Dimension mit ABC-Waffen verhindert. Wobei die Ausnahmen nicht vergessen sind: Saddam Hussein, als er noch ein Schweinehund des Westens war, konnte ungestraft Giftgas gegen das eigene Volk einsetzen, desgleichen Assad Senior, der zu den Vasallen der Sowjetunion gehörte.

Schwere Versäumnisse der Russen
In Syrien zeigt sich nun, dass nicht einmal mehr die schwachen Sicherungen aus der Zeit der Entspannungspolitik greifen. Die russische Regierung hätte es im Verein mit den USA in der Hand gehabt, den syrischen Konflikt im Frühstadium durch wirksame Sanktionen zu entschärfen. Dass sie das nicht getan hat, ist ein schweres Versäumnis und macht all ihre Warnungen vor einer Verschlimmerung der Lage und den Ruf nach Verhandlungen unglaubwürdig. Moskau hätte seinen Verbündeten schon vor zwei Jahren politisch an den Haken nehmen müssen, als nach der ersten friedlichen Demonstration 100 Tote auf den Straßen von Damaskus liegen blieben.

Es hat den Anschein, als ob sich die Akteure in Washington, London, Paris und Moskau jetzt besinnen und – fünf nach zwölf – die allerletzte strohhalmdünne Chance ergreifen, den Bürgerkrieg gemeinsam einzudämmen. Wenn sie sich nicht einigen können, wird die Zerstörung des Landes weitergehen. Eine militärische Strafaktion mit vagen Zielen und unzureichender Legitimation wird daran nichts ändern. Im Moment ist eher wahrscheinlich, dass der Bürgerkrieg in Syrien dadurch in ein militärisches Patt mündet und noch lange weitergehen wird, bis sich beide Seiten in den Kämpfen aufgerieben und erschöpft haben. Die Syrer zahlen dann den Preis dafür, dass in der internationalen Politik das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges immer noch nicht überwunden ist.

Chronologie: Bürgerkrieg in Syrien - Eckpunkte des Aufstands
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