Syrien-Einsatz der Bundeswehr

"Eiltempo schadet dem Ansehen des Parlaments"

Der Blick auf das gut besetzte Plenum des Bundestages, am Rednerpult Kanzlerin Angela Merkel.
Der Bundestag debattiert heute noch einmal über den Syrien-Einsatz der Bundeswehr und stimmt danach ab. © dpa / Michael Kappeler
Kai Arzheimer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 04.12.2015
Die Regierung drückt bei der Entscheidung zum Bundeswehr-Einsatz in Syrien aufs Tempo. Das schade dem Ansehen des Parlaments, sagt der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer: So entstehe der Eindruck, dass die Sache eigentlich schon beschlossen sei.
Der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer hat die Schnelligkeit des Entscheidungsprozesses zur deutschen Beteiligung im Syrien-Krieg kritisiert. Dieses Eiltempo schade dem Ansehen des Parlaments, sagte er im Deutschlandradio Kultur:
"Denn der Sinn des Parlamentes besteht ja darin, dass man sich eine Meinung bildet, dass man diskutiert, dass alle Argumente auf den Tisch gelegt werden. Bei dem jetzigen Verfahren entsteht natürlich in der Bevölkerung der Eindruck, dass die Sache eigentlich schon beschlossen ist und der Bundestag das nur noch abnicken soll. "
Nach einer neuen Umfrage des ARD-DeutschlandsTrends sind 58 Prozent der Bundesbürger für ein militärisches Vorgehen gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat", 37 Prozent sind dagegen. So repräsentiere der Bundestag zwar offenbar die große Mehrheit der Deutschen. Doch das sei eigentlich gar nicht der wichtige Punkt, stellte Arzheimer heraus:

"Denn bei der repräsentativen Demokratie nimmt sich ja das Parlament die Freiheit, gelegentlich auch vom Bevölkerungswillen abzuweichen, wenn es dafür gute Gründe gibt. Und dazu muss natürlich Zeit vorhanden sein, um so etwas auch durchdiskutieren zu können."
Führt die Schnelligkeit zur Politikverdrossenheit?
In diesem Fall sei der Zeitplan "sehr eng gestrickt", weil die Bundesregierung unter einem gewissen Entscheidungsdruck stehe:

"Denn die Welt und die Alliierten und die Terroristen warten ja nicht auf Deutschland. Dass muss man ja auch sehen."
Das Eiltempo bei diesem Entscheidungsprozess könne möglicherweise aber auch zu einer gewissen Politikverdrossenheit führen, meinte Arzheimer. Man dürfe das allerdings nicht überdramatisieren:

"Nur in diesem Fall, wo es um Krieg und Frieden geht, wo es um Menschenleben geht, wo es um sehr viele Soldatinnen und Soldaten geht, die jetzt in den Nahen Osten geschickt werden, ist der Eindruck natürlich sehr unglücklich."


Das Interview im Wortlaut:
O-Ton Thomas Oppermann: Ich denke, wenn die Dinge klar sind, dann kann auch entschieden werden. Die Entscheidung wird ja nicht besser, wenn wir sie erst in 14 Tagen treffen.
Liane von Billerbeck: Thomas Oppermann sagte das, der SPD-Fraktionschef im Bundestag. Und zwar über den Entscheidungsprozess die deutsche Beteiligung am Syrien-Krieg betreffend. Und der ging schnell, sehr schnell, und heute wird – die Regierungskoalition hat ja bekanntlich im Bundestag eine üppige Mehrheit – die Entscheidung den Bundestag passieren. Und schon das Wort passieren klingt ja irgendwie nach durchwinken. Wir nehmen die heutige Abstimmung im Bundestag zum Syrien-Einsatz um Anlass, um über die Folgen dieser Politik im Eiltempo zu sprechen, und zwar die Folgen für das Vertrauen in Parlament und Politik. Und wir fragen Professor Kai Arzheimer, er ist Politikwissenschaftler an der Universität Mainz, schönen guten Morgen!
Kai Arzheimer: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Selbst der Chef des Bundeswehrverbandes hat ja diese Entscheidung oder, sagen wir, die Schnelligkeit dieser Entscheidung als übereilt kritisiert. Schadet es der Demokratie, wenn so wichtige Fragen so schnell behandelt und beschlossen werden?
Argumente müssen auf den Tisch kommen
Arzheimer: Es schadet auf jeden Fall dem Ansehen des Parlamentes. Denn der Sinn des Parlamentes besteht ja darin, dass man sich eine Meinung bildet, dass man diskutiert, dass alle Argumente auf den Tisch gelegt werden und dann wohlüberlegt entschieden wird.
Und bei dem jetzigen Verfahren entsteht natürlich in der Bevölkerung der Eindruck, dass die Sache eigentlich schon beschlossen ist, und der Bundestag das nur noch abnicken soll. Und dann fragt man sich als Bürger natürlich schon, wozu man dann ein so großes und so teures Gremium braucht, wenn die wichtigen Entscheidungen eigentlich anderswo schon getroffen sind.
von Billerbeck: Nun könnte man ja sagen, wenn man die Umfragen hört – wir haben es heute ja bei uns auch in den Nachrichten gehabt –, dass 58 Prozent der Bundesbürger für diesen Einsatz sind ...
Arzheimer: Ja.
von Billerbeck: Da muss man doch sagen, der Bundestag macht alles richtig und repräsentiert ja damit dann die große Mehrheit für den Militäreinsatz?
Arzheimer: Ja, er repräsentiert in diesem Fall tatsächlich die große Mehrheit. Aber das ist eigentlich gar nicht der Punkt. Denn bei der repräsentativen Demokratie nimmt sich ja das Parlament die Freiheit, gelegentlich auch vom Bevölkerungswillen abzuweichen, wenn es dafür gute Gründe gibt. Und dazu muss natürlich Zeit vorhanden sein, um so etwas auch durchdiskutieren zu können.
Zeitplan ist" sehr eng gestrickt"
von Billerbeck: Das heißt, hier ist es weniger wichtig, ob man die Stimmung aufnimmt, sondern dass man bei so grundlegenden Fragen eben auch gründlich und umfassend diskutiert?
Arzheimer: Ja, oder zumindest alle Argumente auf den Tisch legt für die Öffentlichkeit, für die Medien, die das ja auch beobachten. Und dafür ist der Zeitplan sehr eng gestrickt. Wobei man auch sagen muss, dass in diesem speziellen Fall, wo es um den Syrien-Einsatz geht, die Argumente ja weitgehend bekannt sind, die Situation auch nicht ganz neu ist und natürlich auch ein gewisser Entscheidungsdruck besteht. Denn die Welt und die Alliierten und die Terroristen warten ja nicht auf Deutschland, das muss man ja auch sehen.
von Billerbeck: Welche Folgen hätte es denn nun oder hat es, wenn da eine Kluft entsteht zwischen so einer schnellen Entscheidung im Bundestag? Ist die auch Nahrung für Politik- und Parteiverdrossenheit oder Politikerverdrossenheit?
Arzheimer: In einem gewissen Umfang mit Sicherheit, wobei man sehen muss, dass der Bundestag ja sehr viele Entscheidungen trifft. Manche in Übereinstimmung mit dem was die Bevölkerung möchte, andere entgegen den Wünschen der Bevölkerung, und in ganz vielen Fällen werden da auch Dinge entschieden, die wir überhaupt nicht wahrnehmen. Denn das Parlament entlastet uns als Bürger natürlich auch, indem es sich mit vielen, vielen Hundert Gesetzesentwürfen pro Legislaturperiode befasst. Von daher würde ich das auch nicht überdramatisieren.
Nur in diesem speziellen Fall, wo es um Krieg und Frieden geht, wo es um Menschenleben geht, wo es um sehr viele Soldatinnen und Soldaten geht, die jetzt in den Nahen Osten geschickt werden, ist der Eindruck natürlich sehr unglücklich.
Folgen für Pegida oder die AfD?
von Billerbeck: Wäre das auch Wasser auf die Mühlen der Vereinfacher, die wir ja in diesen Tagen immer wieder hören, also Pegida oder AfD?
Arzheimer: Ich glaube, um Pegida braucht man sich in diesem Zusammenhang keine Gedanken machen. Denn egal, was in Berlin entschieden wird, das wird immer Wasser auf deren Mühlen sein. Die AfD, glaube ich nicht wirklich, dass sie jetzt davon so stark profitieren kann. Denn wie gesagt, der Rückhalt in der Bevölkerung ist momentan zumindest relativ groß, es gibt auch in den Regierungsfraktionen eine breite Mehrheit, die das möchte.
Selbst bei den Grünen und bei der Linkspartei gibt es ja Stimmen, die nicht grundsätzlich dagegen sind. Von daher glaube ich jetzt nicht, dass das der große Hebel ist, an dem die AfD ansetzen kann.
von Billerbeck: Trotzdem könnte es ja sein, dass bestimmte Parlamentarier sich genötigt sehen, aus Staatsraison oder aus Solidarität mit Frankreich Entscheidungen zu treffen, die sie ansonsten vielleicht doch nicht für richtig halten?
Arzheimer: Ja, aber auch das ist in gewisser Weise normal, denn in der Politik geht es letzten Endes immer um Kompromisse. Es geht darum, dass man Dinge akzeptieren muss, mit denen man vielleicht nur zu 70 oder 80 Prozent einverstanden ist, um eine gewisse Berechenbarkeit des Regierungshandelns auch sicherzustellen. Das geht natürlich nur, wenn Fraktionen normalerweise geschlossen oder relativ geschlossen zumindest abstimmen.
von Billerbeck: Wenn Sie das einschätzen, diese Debatte jetzt zum Syrien-Einsatz, die ja fast nicht stattgefunden hat, eigentlich fast nur in den Medien, wenn man es genau nimmt, ...
Arzheimer: Ja.
Gesellschaftliche Debatten im Bundestag
von Billerbeck: ... ist der Bundestag da nach wie vor der zentrale Ort für wichtige gesellschaftliche Debatten oder sind die längst draußen vor der Tür?
Arzheimer: Nein, die sind nicht draußen vor der Tür. Es gibt ganz viele gesellschaftliche Debatten, die im Bundestag eigentlich intensiver geführt werden als in der Bevölkerung und auch im größten Teil der Medien.
Wenn wir jetzt zum Beispiel an die Regelungen denken zur sogenannten gewerbsmäßigen Sterbehilfe oder wenn wir an andere Entscheidungen mit ethischen Implikationen denken, die im Bundestag getroffen werden. Dann wird dort sehr intensiv und teilweise auch wirklich sehr lange, über große Zeiträume diskutiert.
von Billerbeck: Warum dann aber nicht bei so einer Frage über Krieg und Frieden, Entschuldigung?
Arzheimer: Weil hier, glaube ich, einfach der Handlungsdruck zu groß ist und auch die Verpflichtungen oder die wahrgenommenen Verpflichtungen der Bundesrepublik zu groß sind, als dass man sagen würde: Wir nehmen uns jetzt zwei, drei, vier Monate Zeit, um das wirklich zu Ende zu diskutieren.
von Billerbeck: Der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer von der Uni Mainz, ich danke Ihnen!
Arzheimer: Sehr gerne, tschüs!
von Billerbeck: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema