Syrer in Griechenland

Ein mutiger Verkleidungskünstler

Schutz suchende Menschen auf einer Straße von Chios. Der Syrer Khalid konnte die griechische Insel inzwischen verlassen.
Schutz suchende Menschen auf einer Straße von Chios. Der Syrer Khalid konnte die griechische Insel inzwischen verlassen. © picture-alliance/ dpa / EPA/Orestis Panagiotou
Von Panajotis Gavrilis · 30.11.2016
Der Syrer Khalid ist einer von 60.000 Geflüchteten, die in Griechenland feststecken. Als Brite verkleidet, schaffte er es bis nach Athen. Auch als Italiener, Spanier oder Grieche gab er sich schon aus. Hinter Khalids witzig wirkenden Verkleidungsaktionen steckt bitterer Ernst.
"Nächste Station: Flughafen." Khalid kennt diese Ansage in- und auswendig. So oft fuhr er schon zu einem Flughafen, um Griechenland zu verlassen. Immer mit anderen Verkleidungen.
"Ich habe mein Aussehen sechsmal verändert. Ich bin zum Athener Flughafen gefahren, war in Thessaloniki am Flughafen, in Chania auf Kreta und einmal habe ich es über den Hafen versucht, um nach Italien zu kommen. Aber leider sind alle Versuche gescheitert.”
Khalid, 23 Jahre, aus Aleppo schlüpft in verschiedene Rollen.
(lacht) "Ich habe mir vorgestellt, wie Italiener oder Griechen aussehen könnten. Um mich dann in sie zu verwandeln. Ich habe ein paar Kostüme hier. Ich habe meine Haare gefärbt, meine Augenfarbe verändert, um na ja – irgendwie wie ein Grieche auszusehen.”
In Athen lebt Khalid seit zwei Monaten. Vorher war er monatelang auf der griechischen Insel Chios. Seit dem Inkrafttreten des "EU-Türkei-Deals" im März 2016 durfte er wie die meisten der über 4000 Menschen die Insel nicht verlassen.
Aber er wollte nicht noch länger warten, kaufte sich einen neuen Pullover, um als authentischer Fake-Brite die Fähre nach Athen zu nehmen.
"Ich hatte noch diese teure Uhr um und trug diese teure Sonnenbrille. Dann habe ich so getan, als wäre ich ein Brite."
Reporter: "Wie hast du das genau gemacht?"
"Ich weiß es nicht. Ich war mutig. Ich sagte mir: Das Schlimmste, was passieren kann: Sie schnappen mich und ich bleibe auf der Insel. Also habe ich mich schick angezogen, mit Hut. So wie es manchmal die Briten machen. Ich war am Hafen und dann habe ich mit britischem Akzent gesprochen."
Reporter: " Wie klingt der britische Akzent?"
"It’s like: Goood mooorning. He asked me: Where are you from, Sir? And I said: I am from Liverpoooool."

Stewardess erkannte die falsche Tarnung

Es funktionierte. Khalid lebt jetzt mit drei weiteren Syrern in Athen – in einer heruntergekommenen Wohnung im Stadt-Zentrum: Die Spüle ist vergammelt, Licht gibt es keines, aus dem Klo läuft Wasser aus. Sein "5-Sterne-Apartment" neben Junkies und Sex-Arbeiterinnen, sagt er selbstironisch, während er ein Jeans-Hemd rauskramt.
"Das hier hatte ich an, als ich versuchte, ein Italiener zu sein. Ich habe mir sogar italienische Werbung angeschaut, um Verhaltensweisen zu kopieren und habe sogar das passende Parfüm aufgetragen. Mit diesem Kostüm habe ich es tatsächlich bis ins Flugzeug geschafft. Leider war die Stewardess Italienerin. Sie fing an mit mir locker zu quatschen, aber dann merkte sie, dass ich gar kein Italiener bin, sondern ein Geflüchteter."
Ob als italienischer Macho, als versnobter Brite oder spanischer Hippie mit Plastik-Nasen-Piercing: Die unzähligen Versuche mit gefälschten Ausweisen und den entsprechenden Klischee-Looks blieben erfolglos.
"Beim letzten Mal fragte mich die Polizei: Wer bist du? Arbeitest du für einen Geheimdienst? Und ich sagte: Nein, ich will nur weg, um eine neue Zukunft, ein neues Leben zu finden."
Als alles noch in Ordnung war, vor dem Kriegsbeginn in Syrien 2011, studierte er "Internationales Recht" in Aleppo. Heute ist der Ostteil weitgehend zerstört. Oppositionelle kämpfen weiter gegen Assad und seine Verbündeten.
Vor sechs Jahren führte Khalid dort noch das Leben eines "ganz normalen Studenten”, sagt er. Bis die Bomben fielen.
"Ich habe den Tod gesehen, die Leichen, ich wurde verhaftet, ich habe den schlimmsten Albtraum der Menschheit gesehen: ISIS. Ich habe überlebt, aber viel Geld verloren, mein Haus und das wichtigste bis jetzt: meinen Vater. Ich habe dort mein altes Leben verloren und auch meine Zukunft."

"Ich vertraue den Schmugglern nicht"

Wenn Khalid über den Tod seines Vaters spricht, wirkt er betroffen, versucht es zu überspielen, sagt: Er will weiter machen, sein Studium beenden – vielleicht Anwalt werden. Was soll er also in Griechenland, fragt er? Die Griechen selbst würden doch ins Ausland fliehen, um Jobs zu finden. Nur hat er keinen EU-Pass und muss deshalb einen anderen Weg finden.
"Es ist etwas gefährlich. Mit einem LKW. In einem Container. Die Menschenhändler wollen 2500 Euro dafür haben. Die Reise kann 48 Stunden dauern. Und ja: Ich denke darüber nach. Ich weiß noch nicht.”
Er habe gerade mit einem Menschenhändler gesprochen, um mehr über die Route zu erfahren. Khalid wirkt nervös, zögert. Er weiß: Er kann dabei sterben.
"Ich vertraue den Schmugglern nicht. Es bleibt mir aber nur noch dieser eine Weg. Alles hat eben seinen Preis. Es ist vielmehr ein Spiel und es kommt darauf an, wie du mitspielst. Weißt du, wenn du wie ich einen Freund sterben siehst, nimmst du alles nur noch als Spiel wahr. Vielleicht überlebe ich. Vielleicht gewinne ich dieses Spiel. Angst habe ich keine. Nicht mehr.”
Dieses Mal müsste er sich aber nicht mehr verkleiden.
"This time there is no James Bond in the truck.”
Khalid versucht seine Anspannung zu überspielen mit zynischen Sprüchen. Er werde Selfies vom LKW schicken, sagt er.
"I will send some selfies from the truck. This could be funny!”
Khalid meldet sich kurze Zeit später per Whatsapp.
"Wir warten auf ein Auto, das uns zum Treffpunkt bringen soll. Wir fühlen uns nicht so sicher, versuchen uns gegenseitig zu beschützen. Dort steigen wir dann in den Truck. Mehr kann ich jetzt nicht sagen."
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