Sympathische Vision

28.09.2011
Internet-Kommunikation und erneuerbare Energien werden miteinander verschmelzen und eine dritte Industrielle Revolution auslösen, so der amerikanische Gesellschaftskritiker Jeremy Rifkin.
Eine Revolution, die nötig ist, angesichts steigender Rohstoffpreise und drohendem Klimawandel. Das alte hierarchisch-zentralistische Modell der Wirtschaft, die Befehlsketten von oben nach unten haben ausgedient; basierten sie doch darauf, dass fossile Brennstoffe nur an wenigen Orten zu finden sind und mit Hilfe von Investitionen aufwendig und kompliziert gefördert, verteilt und verarbeitet werden müssen. Dazu bedarf es eines finanzstarken, zentral gesteuerten Apparats.

Dagegen lassen sich, so Rifkin, die erneuerbaren Energien einfacher und preiswerter allerorten gewinnen und installieren. Schon bald kann sich jeder selbst seine Energie herstellen. Gebäude werden sich in kleine Mikrokraftwerke verwandeln: Strom vom Dach, Wärme aus dem Boden, Energie aus Abfall. Überschüssige Energie wird in Wasserstoff verwandelt, der sich speichern lässt und dann bei Bedarf wieder in Strom verwandelt wird. Über ein intelligentes Internetgesteuertes Stromnetz wird die Energie dann verteilt. Davon profitiert auch ein Transportwesen, das sich zukünftig auf E-Mobile und Brennstoffzellenautos stützen wird.

Für Jeremy Rifkin spielt Europa eine Vorreiterrolle für die ganze Welt, während die USA abgeschlagen hinterherhinken. Irritierend ist, wie der Autor seine Vordenkerrolle immer wieder herausstreicht, sich seiner Beraterrolle für europäische Staatsmänner und Chefs großer Unternehmen rühmt. Rifkins großes Talent besteht vor allem in der Umsetzung dieser Ideen in griffige Formulierungen. Er versteht es wie kaum ein anderer, eine Vision zu entwerfen.

Die gesamte Menschheitsgeschichte dient ihm als Beleg für eine evolutionäre Entwicklung von Geist, Wissenschaft und Technik, die jetzt in ein Biosphärenbewusstsein mündet. Für die junge Generation, die über Youtube und Twitter weltweit miteinander verbunden ist, zähle heute schon nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nation. Sie fühle sich als Weltbürger und sei sich ihrer Abhängigkeit von anderen und der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen bewusst.

Soziale Netzwerke bringen ein völlig neues Arbeiten mit sich, so Rifkin, statt Konkurrenz gebe es immer mehr freiwillige Kooperation – so wie heute schon bei der Internetplattform Wikipedia. Nicht mehr der einzelne Unternehmer profitiert vom Ergebnis, sondern die Allgemeinheit. Das Internet erlaube heute schon direkte Kontakte zwischen Produzenten und Verbrauchern. Multinationale Unternehmen mit komplizierten Fertigungs- und Verteilstrukturen werden obsolet.

Anders als die liberale Wirtschaftstheorie behauptet, ist der Mensch nach Rifkin kein raffgieriger, egoistischer Einzelkämpfer, sondern ein mitfühlendes Wesen. Seine Vision ist sympathisch und sein Optimismus ansteckend. Die Realität hinkt leider noch hinterher.

Besprochen von Johannes Kaiser

Jeremy Rifkin: Die dritte Industrielle Revolution - Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter
Aus dem Amerikanischen Bernhard Schmid
Campus Verlag, Frankfurt 2011
303 Seiten, 24,99 Euro


Interview mit Jeremy-Rifkin: "Eine dritte industrielle Revolution in Gang bringen"
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