"Swinging London"

Das Brit Girl als Model und Muse

Das britische Topmodel Twiggy
Ikone der Swinging Sixties: das britische Topmodel Twiggy © dpa / UPI
Von Jenni Zylka · 22.04.2016
"Birds" oder "Sex Kittens" – so hießen Frauen im Swinging London. Sie sollten vor allem eins: gut aussehen, als Musen und Models. Doch es gab etliche unabhängige Künstlerinnen wie die britische Pop-Art-Künstlerin Pauline Boty und Bridget Riley.
Chicks, Birds, Sex Kittens. Klingt nach Streichelzoo. Damit gemeint waren in den Swinging Sixties jedoch - Frauen. Die Hühnchen, Vögelchen und sexy Kätzchen sollten damals natürlich möglichst gut aussehen. Aber, wie formulierte es Michael Caine als Draufgänger "Alfie" 1966 in lupenreinstem Cockney:
"Any bird that knows it’s place in this world can be quite content."
Am besten sucht man sich also eine, die weiß, wo ihr Platz in der Welt ist. Und der war, zumindest damals auf der Insel, eher dekorativer als inhaltlicher Natur. So ein echtes Brit Girl durfte eben gern Model sein, Muse sein, singen, tanzen, wenn es hochkommt schauspielern - eine Macherin, eine Schöpferin war sie dagegen selten.
Zwei jener Ausnahmen: Die Op-Art-Künstlerin Bridget Riley, die bereits 1962 ihre erste Einzelausstellung in London hatte. Absolut abstrakt und psychedelisch bis zum Schwindel hingen ihre grandiosen Streifen und Wellen neben den Bildern der männlichen Künstler. Riley, geboren 1931, ist noch immer erfolgreich.

"Stellt euch vor, es gäbe eine schlaue Schauspielerin."

Die erste britische Pop-Art-Künstlerin Pauline Boty, sieben Jahre jünger und um einiges radikaler, starb dagegen bereits 1966 mit nur 28 Jahren an Krebs. Ihre erotisch aufgeladenen knalligen Bilder erschreckten die Zuschauer - und die Presse, die 1962 so fassungs- wie respektlos schrieb:
"Schauspielerinnen haben oft nicht viel im Kopf. Künstler haben oft lange Bärte. Stellt euch vor, es gäbe eine schlaue Schauspielerin, die malt und blonde Haare hat. Das ist Pauline Boty."
Dabei kündigte sich in den Swinging Sixties durchaus ein Wechsel an: Charaktergesichter wie Rita Tushingham in Richard Lesters Film "The Knack and how to get it" tauchten neben den üblich hübschen Damen auf. Selbstverständlich erst einmal in der Rolle von naiven Birds, die man vor allem flachlegen will. Jedenfalls - wenn sie dementsprechend angezogen sind.
"Hey there Georgy Girl look at all the boyfriends you don’t have just look at the clothes you wear"
In Georgy Girl, den Regisseur Silvio Narizzano 1966 inszenierte, gab Lynn Redgrave die leicht übergewichtige, burschikose und sich für damalige Verhältnisse äußerst unweiblich kleidende Titelheldin – während ihre schöne aber oberflächliche Mitbewohnerin, gespielt von Charlotte Rampling, am liebsten von Party zu Party hüpft.

Die Leere des schönen Scheins

Am Ende zieht Georgy Girl das ungewollte Kind ihrer Freundin auf – muss dafür allerdings einen viel zu alten Ehemann in Kauf nehmen. Das Besondere an diesem Klassiker des British-New-Wave-Cinemas: Er ist die Adaption des 1965 erschienenen Roman gleichen Namens, geschrieben - von einer Frau: Margaret Foster.
Trotzdem – vorbei war es mit der Frau als Dekoobjekt noch lange nicht. Obwohl sich David Hemmings als Fotograf in Antonionis Meisterwerk Blow Up 1966 immerhin schon mal über die Leere des schönen Scheins beschwert:
"But even with beautiful girls - you look at them and that’s that. And I’m stuck with them all day long."
Mit den Männern sei es doch dasselbe, antwortet ihm Vanessa Redgrave als geheimnisvolles Mädchen von nebenan, das es sogar mit den von Hemmings erwähnten Models aufnehmen kann. Die Ära der Supermodels fing nämlich auch in den 60ern an: Verushka, die in Blow Up ein ätherisches Kifferwesen spielt, Twiggy und Jean Shrimpton waren die ersten der hübschen Hungerhaken. Und setzten neue Maßstäbe, was weibliche Formen angeht: Männliche Modedesigner inszenierten den ungesund anorektisch anmutenden Frauenkörper als Gegenpol zu den voluminösen 50ern. Die Folgen sind bis heute spürbar.
Die wenigen erfolgreichen Designerinnen der Swinging Sixties versuchten mit Vielfalt in Design und Stil gegenzuhalten: Mary Quant mit Minirock und Vidal-Sassoon-Cut, Barbara Hulanicki, die Gründerin des legendären, in Kensington angesiedelten Biba Labels, mit opulenten Jugendstil-Schnitten. Modische Grenzen gab es für Frauen jedenfalls keine:
"I think today is fabulous. The way there are no rules for dressing for occasions. You can wear velvet in the summer, you can wear it in the daytime, you can wear it anytime – yeah, I think this is terrific. It’s a very exciting time for people, they can really use their imagination and their personalities. People becoming much more interesting. They’re not so grey as they were before."

Aber dass die Sixties in London so alliterarisch schwangen, lag natürlich am meisten an der Musik. Und hier findet man richtig viele Damen am Start, zwar – wie üblich – seltener als Songwriterinnen oder Instrumentalistinnen, singen durften sie jedoch. Ein Glück. Ohne Marianne Faithful, ohne Cilla Black, Sandy Shaw und Dusty Springfield, und ohne Julie Driscoll hätte es die "Season of the Witch" nicht gegeben.
Mehr zum Thema