Suzanna Jansen: "Das Paradies der Armen"

In der Bettlerkolonie

Die niederländische Journalistin Suzanna Jansen vor dem Porträt ihres Urgroßvaters im Innenhof der Besserungsanstalt Veenhuizen, die heute ein Museum ist.
Die niederländische Journalistin Suzanna Jansen vor dem Porträt ihres Urgroßvaters im Innenhof der Besserungsanstalt Veenhuizen, die heute ein Museum ist. © Foto: Katharina Borchardt
Von Katharina Borchardt · 29.07.2016
Die Amsterdamer Journalistin Suzanna Jansen hat erforscht, wie ihre Vorfahren in der Besserungsanstalt von Veenhuizen gelebt haben. Ihr Buch "Das Paradies der Armen" erzählt ein interessantes Kapitel holländischer Mentalitätsgeschichte.
Wie ist das wohl, wenn man plötzlich herausfindet, dass die eigenen Vorfahren in einer Besserungsanstalt gelebt haben? Der Amsterdamer Journalistin Suzanna Jansen ist es so ergangen. Als ihr beim Aufräumen des elterlichen Dachbodens das Totenbildchen ihrer Urgroßmutter in die Hände fällt, sagt ihr der Geburtsort der Vorfahrin nichts. Aus Neugier besucht sie das kleine Nest in der Nähe von Groningen und stößt dort auf die Besserungsanstalt Veenhuizen, eine so genannte "Bettlerkolonie".
Jansen fängt an, zu recherchieren und findet heraus, dass ganze drei Generationen ihrer Vorfahren einen Großteil ihres Lebens in der Anstalt verbrachten, in der Arbeit und eine strenge Tagesstruktur zu Besserung führen sollten. Aus Scham wurde den Nachkommen nichts davon erzählt.
Suzanna Jansen hat ein Buch über ihre Recherche geschrieben. Es heißt "Das Paradies der Armen". Die Autorin selbst klassifiziert es als "Familiengeschichte", doch es erzählt auch ein hochinteressantes Kapitel holländischer Mentalitätsgeschichte, schließlich gehen hier Aufklärung, ein strenger Protestantismus und Landgewinnung Hand in Hand: Die Bedürftigen mussten die Moorböden der Umgebung urbar machen und großflächig Kanäle anlegen. Außerdem beschreibt das Buch den Beginn der industriellen Revolution, stand in Veenhuizen doch eine der ersten Fabriken, die mit Dampfmaschinen arbeitete. All dies bettet Suzanna Jansen in die Geschichte ihrer Vorfahren und in ihre persönliche Recherche ein, die passagenweise den lebendigen Klang einer Reportage hat.

Wie es mit der Familie bergab ging

Sie findet heraus, dass ihr Urururgroßvater Tobias 1828 der erste Angehörige war, der in die damals noch junge Besserungsanstalt kam. Er kam allerdings als kleiner Aufseher, nicht als Bettler nach Veenhuizen. Weil seine Tochter einen Insassen heiratete, ging es mit der Familie sozial bergab. Erst Jansens Urgroßmutter Helena schaffte es schließlich mit Mühe und Not, der Anstalt zu entkommen und sich in Amsterdam anzusiedeln. Doch ihr alkoholkranker Mann Harmen trieb sich durchs Land und wurde als Landstreicher erneut in Veenhuizen eingewiesen.
Suzanna Jansen schildert das Elend, in dem ihre Familie über Generationen lebte, in sachlichem, aber mitfühlendem Ton. Viel Persönliches konnte sie über ihre Vorfahren in diversen Archiven nicht herausfinden, denn meist sind nur Geburt, Hochzeit, Umzüge, Schulden und Tod aktenkundig geworden. Trotzdem hat sie nichts hinzufingiert, sich aber in manche Lebenssituationen vorsichtig eingefühlt – etwa wie es ist, ein Kind zu verlieren oder die Miete nicht mehr zahlen zu können.

Musical im Innenhof der ehemaligen Anstalt

Aus dem Buch ist auch ein sehr emotionales Musical entstanden, das unter dem Titel "Het Pauperparadijs" (dt. Das Armenparadies) augenblicklich Abend für Abend eintausend Besucher in den Innenhof der Anstalt zieht, die heute ein Gefängnismuseum ist.
Jansens Buch aber ist stiller und historisch breiter angelegt. Es erzählt nicht nur die Geschichte einer Armenfamilie im 19. und 20. Jahrhundert, sondern wirft auch die Frage auf, wie Armut überhaupt überwunden werden kann.

Suzanna Jansen: Das Paradies der Armen. Eine Familiengeschichte
Aus dem Niederländischen von Andrea Prins
Theiss Verlag, Stuttgart 2016
262 Seiten, 24,95 Euro

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