Süssmuth: Köhler hat gängige Art der Politikkritik nicht mehr ertragen

Rita Süssmuth im Gespräch mit Gabi Wuttke · 02.06.2010
Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) spricht sich nach dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler dafür aus, den Kommunikationsstil im Politikbetrieb auf den Prüfstand zu stellen. "Wir sind ganz schnell im Urteil, wir sprechen alle von 'Fahnenflucht'. Mir wäre aber wichtig zu wissen, was wir denn zu dieser Fahnenflucht beigetragen haben."
Gabi Wuttke: Angela Merkel und die Männer. Erst lief Roland Koch davon, dann Horst Köhler, beide innerhalb nur einer Woche und beide wohl aus Enttäuschung über die Regierungschefin. – Am Telefon ist jetzt Rita Süssmuth, Christdemokratin und langjährige Bundestagspräsidentin. Guten Morgen, Frau Süssmuth.

Rita Süssmuth: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Hätte Angela Merkel Horst Köhler bei Zeiten mehr unterstützen müssen, um ihn zu halten?

Süssmuth: Ich finde, diese Frage ist dahingehend zu beantworten: Sie hat ihn lange unterstützt. Und ob es an mangelnder Unterstützung liegt, weiß kein Mensch von uns. Was wir aber wissen ist, dass er diese Art der Politikkritik für sich nicht mehr ertragen konnte. Mir geht es aber heute Morgen nicht mehr darum, weitere Sündenböcke und Schuldige zu suchen, sondern zwei Dinge dazu zu sagen. Wir sind ganz schnell im Urteil. Es sprechen alle von Fahnenflucht und mir wäre wichtig, dass wir auch noch mal fragen, was wir denn zu der Fahnenflucht beigetragen haben.

Wuttke: Wen meinen Sie mit "wir"?

Süssmuth: Mit "Wir", die wir in der Politik stehen und wie wir Politik ausüben. Es wird jetzt jemand gesucht, der härter gesotten ist als er. Ich hoffe, dass nach den Entscheidungen über den Nachfolgekandidaten, oder die -kandidatin, wir auch noch mal in der Lage sind, darüber zu sprechen, wie wir bei politischen Konflikten miteinander umgehen, wie viel wir direkt miteinander sprechen, denn schockierend war auch zu hören, zwei Stunden vor dem Rücktritt ist Angela Merkel informiert worden. Mir geht es darum, dass wir nicht schon urteilen, bevor wir genau wissen. Ich wünschte mir, dass mit einigem Abstand der Bundespräsident über diese Motive seines Rücktritts noch mal zu uns, dem Volk sprechen könnte, denn es bleibt die Frage: War es denn Fahnenflucht, oder war es eine tiefe, tiefe Verletztheit, aus der heraus er nicht mehr handeln konnte.

Wuttke: Frau Süssmuth, Sie haben gesagt, Sie gehen davon aus, dass Angela Merkel Horst Köhler genügend unterstützt hätte. Was macht Sie da so sicher und ist das nicht ein ganz klares Zeichen dafür, dass er sich nicht genügend unterstützt fühlte, dass er Angela Merkel erst zwei Stunden vor seiner Rücktrittserklärung darüber informiert hat?

Süssmuth: Das ist eine Vermutung von uns. Die kann auch zutreffen. Es kann eben auch zutreffen, was in diesen Tagen gesagt worden ist, er fühlte sich nach der Kritik allein gelassen. Aber das war ja nicht nur die Kritik des Wochenendes. Dem sind ja schon heftige Kritiken vorher vorausgegangen, sodass er möglicherweise sich nicht mehr mit Rückhalt versehen hat. Ich würde sagen, ja, sprecht mehr miteinander, denn das hat sicherlich gefehlt, dass vorher ein längeres Gespräch stattgefunden hat. Und es ist auch sehr wohl möglich, dass er an dem Tag, an dem Wochenende selbst den klaren Rückhalt vermisst hat in der Auseinandersetzung mit seinen Interview-Äußerungen. Aber daraus müssen alle ein Stück lernen, nicht nur jetzt die Frage, ob wir einen härter gesottenen Bundespräsidenten brauchen, weil ich Ihnen sagen muss, auch nach allem, was passiert ist, wo auch ich meine Fragen habe, warum ist er gegangen, möchte ich Ihnen sagen, es bleibt bei hoher Wertschätzung dieses Präsidenten und seiner Frau, denn vielleicht wird uns noch mal irgendwann bewusst, was er für uns geleistet hat.

Wuttke: Lassen Sie uns auf die politischen Rückzüge nicht nur von Horst Köhler, sondern auch dem von Roland Koch zu sprechen kommen. Eine Forsa-Umfrage von gestern sieht die Union nur noch bei 30 Prozent Zustimmung. Das heißt, der Verlust in das Vertrauen in die Politik ist stark zurückgegangen, und das kann auch an Angela Merkel nicht spurlos vorbei gehen.

Süssmuth: Auf keinen Fall! Sie erlebt in diesen Wochen - der Rücktritt des Bundespräsidenten war jetzt wirklich der kulminierende Punkt -, wie hoch die Anforderungen an sie sind, welche Enttäuschungen vorliegen nach dem Start der neuen Regierung, und deswegen sage ich jetzt zu diesen Punkten: Das ganz Entscheidende ist, dass in der Kerntruppe der CDU wieder Zusammenhalt da ist.

Wuttke: Aber Frau Süssmuth, was ist jetzt eigentlich noch die Kerntruppe? Sie wollten die CDU von Helmut Kohl umkrempeln. Die jetzige Ausdünnung des konservativen CDU-Lagers, stärkt das wirklich den Kurs von Angela Merkel?

Süssmuth: Es geht wirklich nicht um die Frage von konservativ und modern. Wir brauchen beides. Und gewiss ist auch richtig, dass wir weit mehr Erklärungen brauchen. Es ist weder die Globalisierung erklärt worden, es ist auch die Verteidigung in Afghanistan nicht hinreichend erklärt worden. Das ist eine Frage: Wie nehme ich das Volk mit. – Die andere Frage ist aber – und die bringe ich jetzt mal auf den einen Satz -, erfährt jeder, wo sein Platz ist und wo er gebraucht wird. Bei Roland Koch gibt es sicherlich die Frage, wofür entscheidet er sich nach bestimmten 20-jährigen Erfahrungen, aber die andere Frage ist, weiß jeder von uns, dass er gebraucht wird.

Wuttke: Mit dieser Frage gebe ich sozusagen den Ring frei für das, was Sie gerade angeregt haben, Frau Süssmuth, und bedanke mich für dieses Gespräch in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Die Christdemokratin und langjährige Bundestagspräsidentin in der "Ortszeit". Frau Süssmuth, einen schönen Tag!

Süssmuth: Ihnen auch, Frau Wuttke.
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