Süßigkeitenmesse ISM

"Wir sind von Zucker umgeben"

Kleine Kügelchen aus Nanocellulose in einem Glaskolben, aufgenommen am 24.11.2010 in einem Labor des Institutes für Technische Chemie und Umweltchemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Am 01. Oktober 2010 startete das interdisziplinäre Projekt "NanocellCare"
Es gibt viele Arten von Zucker: Hier zeigen sich kleine Kügelchen aus Nanocellulose: Cellulose ist ein Polysaccarid (Vielfachzucker) , Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden – und die häufigste organische Verbindung in der Natur. © picture alliance / dpa / Jan-Peter Kaspar
René Spierling im Gespräch mit Julius Stucke · 28.01.2017
Während die Süßwarenbranche in Köln ihre neusten Trends zelebriert, rät René Spierling, sich den umstrittenen Stoff genauer anzuschauen. Der Biologe und Museumskurator berichtet von andersartiger und zukunftsweisender Zuckernutzung.
Alles aus Zucker: Neuheiten und Trends der Süßwarenbranche werden vom 29. Januar bis zum 1. Februar 2017 auf der weltweit größten Süßwarenmesse ISM in Köln präsentiert. 1650 Aussteller aus 86 Ländern werden in den Kölner Messehallen erwartet. Politik und Ernährungsexperten dagegen kritisieren zuviel Zuckerkonsum.
In Berlin zeigt das Deutsche Technikmuseum in seiner Dauerausstellung "Alles aus Zucker", dass Zucker viel mehr ist als nur ein Süßungsmittel: Nahrung, Werkstoff, Energie, Informationsträger. Der Biologe und Umweltwissenschaftler René Spierling ist einer der Kuratoren und rät im Deutschlandradio Kultur zu tieferen Einblicken in den umstrittenen Stoff. Er hat sich mit zukunftsweisenden Nutzungsarten von Zucker beschäftigt.
René Spierling, Biologe und Mitkurator der Dauerausstellung im Technikmuseum "Alles Zucker! Nahrung -Werkstoff-Energie"
René Spierling, Biologe und Mitkurator der Dauerausstellung im Technikmuseum "Alles Zucker! Nahrung -Werkstoff-Energie"© Deutschlandradio / Frank Ulbricht
Zucker sei weit mehr als das, was als Haushaltszucker aus Rohr oder Rübe erst im 19. Jahrhundert in Europa massenhaft in die Ernährung Einzug hielt, sagte Spierling im Deutsschlandradio Kultur.

"Wir sind von Zucker umgeben in der Natur"

Zur chemischen Klasse des Zuckers zählt beispielsweise auch der Traubenzucker, die Glucose, welche Cellulose als Hauptbestandteil von Holz aufbaut, erläuterte der Biologe und Umweltwissenschaftler. Auch als Chitin spielten Zuckerverbindungen etwa im Außenpanzer von Krebstieren in der Natur Zucker eine zentrale Rolle.
"Wenn man im Wald steht, kann man sagen: Man ist von Zuckern umgeben: Man sieht die Bäume das ist zu großen Teil Zucker- Cellulose, Hemicellulose, die Pilze, das ist Chitin und auch die Insekten sind Chitin."
Zuckerverbindungen dienen heute als Ausgangsmaterial für die Herstellung moderner Biokunststoffe. In der energetischen Nutzung sei Zucker in Form vergärten Alkohols als Energieträger interessant.

"Saccharose braucht man nicht"

Trotz der Bedeutung von Zucker in der Natur hält Spierling aber auch ein kritisches Nachdenken über das verbreitete Süßungsmittel für angebracht: In der Ernährung sei der aus Saccharose bestehende Haushaltszucker für den menschlichen Körper nicht notwendig:
"Saccharose braucht man nicht. (…) Unser Körper braucht Glukose, Traubenzucker. Das kann er aber auch aus anderen Kohlenhydraten gewinnen, zum Beispiel aus Stärke, was eine Hauptquelle ist für die Glukose, die man so im Blut braucht für das Gehirn oder rote Blutkörperchen. (…) Aber selbst das können wir aus anderen Nährstoffgruppen herstellen. (…) Also wir können ohne Zucker leben."


Das Interview im Wortlaut:

Julius Stucke: Zucker, das war in meiner Kindheit ein riesengroßes Thema. Natürlich ist es das für viele Kinder, aber ich habe da jetzt nicht daran gedacht, dass es so viele herrliche Dinge voller Zucker gab, sondern ich meine wirklich als Thema, denn es ging in meiner Kindheit immer wieder darum, wie viel Zucker wir konsumieren, ohne es zu wissen oder zu sehen. Ich erinnere mich da an einige Schulausstellungen, in denen neben der Ketchupflasche dann riesige Mengen Zuckerwürfel lagen und ja wenigstens manchmal die verblüffte Erkenntnis kam, da sind nicht nur Tomaten drin. Zucker aber versteckt sich eben nicht nur in vielen Lebensmitteln, er ist einfach Teil des Lebens und hat daher vielleicht auch zu Unrecht einen so sehr eindimensionalen süßigkeitenschlechten Ruf. Darüber spreche ich mit René Spierling, Mitkurator einer Dauerausstellung im Technikmuseum in Berlin – "Alles Zucker" heißt die. Hallo, Herr Spierling!
René Spierling: Hallo!
Stucke: Unsere Welt, das kann man bei Ihnen in der Ausstellung erleben, besteht jenseits von Gummibärchen und Schokoriegeln aus Zucker.
Spierling: Genau. Das ist bei uns sehr überraschend, wenn man in diese Ausstellung kommt. Man geht, ohne was zu erwarten, die Treppe hoch und steht in der Ausstellung und ist dann auf einmal von einer Baumscheibe und einer Riesenkrabbe umgeben und hört vielleicht noch Grillen im Hintergrund zirpen. Das ist so der erste Eindruck, den man hat, wenn man die Treppe hochkommt, und man denkt, ja, bin ich jetzt falsch gelandet. Ist aber nicht der Fall, weil wir den Zuckerbegriff eben weiterfassen. Das, was die meisten Leute unter Zucker verstehen, ist Haushaltszucker, üblicherweise aus Rohr oder Rübe, und wir meinen aber Zucker als chemische Klasse, und da gehören noch ganz viele andere dazu, unter anderem auch die Glucose, der Traubenzucker, der dem Laien vielleicht auch noch bekannt ist, und diese Glucose baut zum Beispiel die Cellulose auf, die eben ein Hauptbestandteil des Holzes ist, und eben auch das Chitin, was den Panzer von Krebstieren und anderen Krabbeltierchen bildet. Das ist dann eine leicht abgewandelte Form der Glucose, aber wenn man im Wald steht, kann man sagen, man ist von Zuckern umgeben, man sieht die Bäume, das ist zum großen Teil Zucker, Cellulose, Hemicellulose. Die Pilze haben Chitin, die Insekten haben Chitin, und wenn sie zirpen, die Grillen zum Beispiel, dann benutzen die dazu ihr Außenskelett, und das besteht auch aus Chitin. Also sie machen mit Zucker sozusagen Geräusche – ein bisschen um die Ecke gedacht, aber das ist so der Einstieg in die Zuckerausstellung.
Stucke: Wann ist denn aber der Zucker dann von diesem überall um uns herum, wo es natürlich auch immer noch ist, in unseren Alltag gekommen als Haushaltszucker?
Spierling: Ja, das ist eben, wie gesagt, der Zucker, den man üblicherweise meint, den man in seinen Kaffee reinrührt, und der ist, was man gar nicht unbedingt erwartet, ein relativ junges Produkt. So ernährungsweise in der Form, wie wir ihn heute kennen, trat er erstmals so gegen 600 nach Christus auf. Da haben die Perser angefangen, den Zucker aus dem Rohr zu extrahieren und indem sie den Saft eingekocht haben bis zur Kristallbildung, und das wurde dann in Zuckerhutform gefüllt, wo dann ein spezielles Reinigungsverfahren angewendet wurde, und der war auch noch nicht so rein wie man es heute kennt, aber das war so der erste Ansatz, und für uns Europäer ist dann der Zucker zum ersten Mal auf den Plan getreten im Zuge der Kreuzzüge, so im Wesentlichen. Da taucht er dann erstmals auf. Dann war er eben eine ganze Zeit lang ein großes Luxusgut für die Reichen und mehr so Gewürz oder Medizingut, und dann gegen Ende des 17. Jahrhunderts hat er seinen Siegeszug begonnen sozusagen. Erst der Adel, dann das Bürgertum, und ganz zum Schluss ist es dann eben auch bei der sozusagen Arbeiterschaft gelandet, und so etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts fing es dann an, dass der Zucker billiger wurde, konnte günstiger produziert werden wegen technischer Fortschritte, und man hatte jetzt nicht nur das Rohr, sondern eben auch die Rübe. Da fand der Zucker dann größeren Durchbruch.
Stucke: Massenbegeisterung.
Spierling: Genau.
Stucke: Das ist sozusagen ja quasi eine Art, wie wir Zucker nutzen. Jetzt haben Sie vorhin schon gesagt, Zucker ist nicht gleich Zucker, das ist ein relativ weiter Begriff für viele Arten. Als was wird Zucker noch genutzt?
Spierling: Genau, es ist praktisch … man könnte sagen, einer der ersten Werkstoffe und auch Energieträger, den der Mensch für technologische Ansätze benutzt hat, ist im Prinzip Zucker in Form von Holz, und interessanterweise haben auch die Kunststoffe sozusagen ihre Wiege im Zucker: zur Hälfte künstlich, das war die Cellulose als Grundlage, und dann entsprechend weitermodifiziert, und eben heutzutage benutzt man eben Zucker auch in der Biotechnologie, um daraus verschiedene Biokunststoffe zum Beispiel herzustellen und eben energetische Nutzung, die man am ehesten kennt: in Form der alkoholischen Gärung wird aus Zucker Alkohol, den man dann in diesem Fall nicht trinkt, sondern eben für Energieträgerzwecke verwendet.
Stucke: Also Energiewerkstoff, im Haushalt kennen wir es sowieso. Zucker hat also ein ganz vielfältiges Gesicht. Trotzdem hat er eben diesen relativ einseitigen Ruf, zumindest in der Ernährung und auch schlechten Ruf. Kann man trotzdem sagen, Zucker ist auch da etwas sehr viel Besseres als sein Ruf? Ist Zucker für die Ernährung etwas Notwendiges, etwas Wichtiges?
Spierling: Wenn man den Zucker meint, über den wir vorhin gesprochen haben, den Haushaltszucker, Rohr-, Rübenzucker – wie auch immer man ihn nennen will, die Saccharose, wie der Chemiker sagt –, dann kann man sagen, Saccharose braucht man nicht, sie kann aber durchaus nützlich sein, weil eben sie wird im großen Maßstab produziert und ist praktisch unbegrenzt haltbar. Medizinische Aspekte spielen da eben auch noch rein. Die Saccharose hat eben bestimmte Eigenschaften, die andere Zucker nicht haben. Generell kann man sagen, unser Körper braucht Glucose, Traubenzucker. Das kann er aber auch aus anderen Kohlenhydraten gewinnen wie zum Beispiel aus Stärke, was so eine Hauptquelle ist für die Glucose, die man so im Blut braucht, für Gehirn, rote Blutkörperchen und andere Zellen, die brauchen wirklich Glucose, aber selbst das können wir aus anderen Nährstoffgruppen herstellen. Ob das dann gesund ist, ist eine andere Frage. Da gibt es dann verschiedene Diäten, die die Kohlenhydrate versuchen möglichst zu eliminieren, damit man dann einen Waschbrettbauch kriegt und was nicht alles. Also wir können ohne Zucker leben, weil unser Körper den Zucker, den wir wirklich brauchen, sogar selber herstellen können, die er für die Lebensfunktionen braucht, aber ob das dann gesund ist, ist eine andere Frage, aber eben auch zu viel von einem bestimmten Zucker kann dann auch schädlich sein. Dann gibt es auch Zucker, die wir gar nicht verwerten können, die dann jetzt so Ansätze sind für kalorienfreie Süßungsmittel, die dann so in der Entwicklung sind oder auch teilweise schon auf dem Markt.
Stucke: Das heißt, es gibt quasi guten und schlechten Zucker. Auf jeden Fall ist es ein sehr viel vielfältigeres Produkt als man vielleicht denkt. Das war René Spierling, Mitkurator der Dauerausstellung "Alles Zucker" im Berliner Technikmuseum. Danke Ihnen für den Besuch hier im Studio!
Spierling: Bitte, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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