Suche nach den Wurzeln

Von Christian Berndt · 15.02.2012
Die Situation von indigenen Völkern ist bis heute oft extrem schwierig. Als Filmthema ist das zwar nicht neu, aber auf der diesjährigen Berlinale-Sektion "Generation" fällt ein spezieller Zugang auf.
Auf den Straßen von Boliviens Hauptstadt La Paz herrscht revolutionärer Aufruhr. Mitten durch die Menge streunt ein zerlumpter, barfüßiger Junge - Tito, der kleine Schuhputzer. Er irrt durch das Chaos, bis ihm plötzlich eine geheimnisvolle Frau begegnet. Und wie durch Zauberhand findet er sich im nächsten Moment auf einer alten Inka-Straße, mitten in weiter Andenlandschaft wieder. Immer wieder erlebt Tito diese Tagträume, in denen ihn diese fremde Zauberin an Orte meditativer Naturerfahrung führt:

Filmausschnitt "Pacha": "Alles, was ich Dir gezeigt habe, wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Was Du jetzt noch nicht verstanden hast, wirst Du eines Tages verstehen."

Der mexikanisch-bolivianische Film "Pacha" beschreibt die spirituelle Entdeckung der eigenen, verschütteten Inka-Kultur als eine Art Selbsterkenntnisprozess. Der Junge bewegt sich aus Chaos und Elend in eine Art archaischen Harmoniezustand. Auch der argentinische Film "Beauty" beschreibt die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln als Identitätsfindung. Yolanda arbeitet im Haus einer weißen Familie. Ihr ganzer Stolz sind die langen Haare, die sie nach Tradition ihres Volkes nie geschnitten hat. Eines Tages schickt die Hausherrin das Mädchen zum Friseur, und ihr werden die Haare einfach abgeschnitten. Für Yolanda bricht eine Welt zusammen, die Hausherrin dagegen reagiert verständnislos:

Filmausschnitt "Beauty": "All dieses Getue um das Haar der Eingeborenen. Das wird doch sofort nachwachsen! Komm Yolanda, steh auf. Es gibt eben Dinge im Leben, die wir nicht mögen, aber wir können nicht den ganzen Tag im Bett liegen."

Am Schluss wird sich herausstellen, warum das Haar geschnitten wurde - eine böse Pointe. Yolanda wird daraufhin in ihr Dorf zurückzukehren:

"Ich verstand plötzlich alles, als ich zuhause ankam und meine Leute wiedersah. Ich war so glücklich und musste an die Zeit denken, in der ich weit weg war, als ich mich nicht selbst fühlen konnte."

Der Film "Beauty" zeigt Yolandas Rückkehr zu ihrem Volk als Weg zu sich selbst. In der Welt der Weißen gab es dafür keine Chance, wie die argentinische Regisseurin des Films, Daniela Seggiaro, meint:

"Die Geschichte dreht sich um die Nicht-Kommunikation zwischen den beiden Kulturen. Die Weißen halten ihre Kultur für die bedeutendere, sie versuchen nicht, die andere zu verstehen. Es ist ein politischer Film, weil er den Kampf der indigenen Gemeinschaften unterstützen will, ihre Kultur zu bewahren."

Und auch im neuseeländischen Dokumentarfilm "Maori Boy Genius" geht es um die Bewahrung einer gefährdeten Kultur. Regisseurin Pietra Brettkelly porträtiert einen 16-jährigen Maori, der schon früh besondere Begabungen zeigte und deshalb zum künftigen politischen Führer seines Volkes auserkoren wurde:

"Wer treibt diesen Missbrauch? Wer ist dieses böse Wesen? Ich sage euch: Es ist der Mensch! Eine schmähliche Kreatur, die das Fleisch unserer Erde isst, so dass unsere Mutter Erde nackt da liegt."

Ngaa Rauuira Pumanawawhiti spricht zu den Maori. Der Film begleitet den Jungen am Beginn seiner politischen Laufbahn, zeigt ihn im Kreis von Kumpels und Familie und als 16-jährigen Studenten an der amerikanischen Yale-Universität. Der Film kommt ihm sehr nahe, zeigt die Schwierigkeiten eines Teenagers, der gerne mit seinen Freunden rumhängt, aber sich bewusst der fast übermächtigen Verpflichtung stellt: Verantwortung für sein gefährdetes Volk zu übernehmen, wie er in Berlin erzählt:

"Wir sind überrepräsentiert in fast allen negativen Statistiken, die man sich vorstellen kann. Wohnungssituation, Verbrechen, Armut usw. Ich sorge mich oft um die Zukunft unseres Volkes. Wir sind eine sterbende Kultur, unsere Sprache stirbt. Unsere Kultur ist speziell in meiner Generation eine Kultur, die ums Überleben kämpft."

Begegnet man Pumanawawhiti im Gespräch, dann hat er in dieser Mischung von konzentrierter Ernsthaftigkeit und jungenhaftem Charme, der sich manchmal in befreitem Kichern äußert, etwas von einem Kronprinzen. Für Regisseurin Brettkelly ist der junge Maori denn auch mehr als ein Filmstoff:

"Im Moment haben wir eine Regierung, mit der ich nicht einverstanden bin, und ich wundere mich darüber, wie unser Land sich wegbewegt von der Art von Moral und der Kultur, mit der ich aufgewachsen bin. Und mit ihm habe ich jemanden gefunden, der mir Hoffnung gibt für das, was die Zukunft sein könnte in Neuseeland, wenn jemand wie er in die Politik geht."

Wie "Pacha" und "Beauty" ist auch dieser Film von weißen Regisseuren gedreht worden. Vielleicht zeigt sich gerade darin das gewachsene Bewusstsein für indigene Kultur in ihren Ländern. Symbolisch dafür steht eine junge Generation, deren Suche nach den eigenen Wurzeln immer auch als persönliche Identitätsfindung begriffen wird. Und die kann – so zeigen es die Filme teils drastisch – ohne Anerkennung der eigenen Kultur sehr brüchig bleiben.

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