Subversiver Anti-Heimatfilm

Von Bernd Sobolla · 13.10.2013
Die Regisseurin Frauke Finsterwalder hat mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Christian Kracht, das Drehbuch für "Finsterworld" geschrieben. Herausgekommen ist ein zuweilen surrealistisch anmutender Episodenfilm - mit Schauspielern wie Corinna Harfouch, Sandra Hüller und Christoph Bach.
"Haben Sie mal ausgerechnet, wie viele Stunden sie so vor dem Fernseher verbringen?" / "Nö." / "Also wenn sagt: Vielleicht neun Stunden am Tag, drei morgens, drei nachmittags, drei abends. Das sind 63 Stunden in der Woche geteilt durch 24, das sind zweieinhalb Tage, das sind zehn Tage im Monat, das sind 120 Tage im Jahr, das ist ein Drittel vom ganzen Jahr. Und wenn man das auf ihr Leben hochrechnet ... wie alt sind sie noch mal?" / "Ähm."

Die Dokumentarfilmemacherin Franziska verzweifelt. Ihr Portrait über einen Plattenbaubewohner kommt nicht voran. Erschlagen vom drögen Alltag ist der Mann medial unnütz. Doch sie ist nicht die einzige, die unzufrieden ist.

In verschiedenen Episoden, die die Filmemacherin Frauke Finsterwalder miteinander verknüpft, erleben wir Protagonisten, die zumindest partiell in einer Parallelwelt leben: Da ist Franzsikas Freund Tom, ein Polizist, der im Bärenkostüm gern Kuschelpartys besucht. Dann gibt es Claude, ein Fußpfleger, der sich als Fußfetischist entpuppt, und ein wohlsituiertes Geschäftsehepaar, beide so um die 50, das ein Hassverhältnis zu Deutschland pflegt.

Parallelwelten, Neurosen, Einsamkeit
Nicht zu vergessen die schnöseligen Internatsschüler, die ein Konzentrationslager besuchen, die aber, so scheint es, bereits eine Überdosis NS-Aufklärung hinter sich haben und die Tour zu persönlichen Angriffen missbrauchen.

"Bäh! Dein Freund ist echt krass ekelig. Ist doch dein Freund, oder?" / "Nö." / "Also ihr lest beide Comichefte, tragt beide Brillo Brillengestelle, ... Kleidungsstil DDR-Avantgarde bis schwachsinnig und ansonsten spackig ..." / "Warum fährst du eigentlich hier im Bus mit uns Asos? Wäre doch mal was ganz Neues mit Papis Mini-Cooper zum KZ-Besuch." / "Oh."

Der Film schildert einerseits eine saturierte Gesellschaft, handelt andererseits auch von Einsamkeit und davon, wie Menschen ihre Neurosen pflegen. "Finsterworld" macht ein bisschen Angst vor den Parallelwelten, in denen anscheinend viele Menschen leben und ist zugleich mit spitzen Dialogen und subversivem Humor versehen. Ein zuweilen surrealistisch anmutender Anti-Heimatfilm, den vielleicht nicht alle lieben werden, der aber auf jeden Fall viel Diskussionsstoff liefert.

"Wussten Sie, dass die Deutschen von allen Völkern mit Abstand das meiste Geld fürs Reisen ausgeben?" / "Weil es hier so hässlich ist, überfüllt mit unhöflichen, ruppigen Menschen. Innenstädte ausgebombt, ehemalige Bombenkrater zugeschmiert mit Beton. Stuttgart! Oder Berlin!" / "Genau Stuttgart, ich weiß gar nicht, was die mit ihrem Bahnhof haben. Die Stadt ist doch so hässlich, wenn man die komplett abreißen würde, würde doch keinem weiter auffallen, oder? Und wenn man im Ausland ist, dann schämt man sich, dass man aus Deutschland kommt."

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