"Subtile Form der Erpressung"

David Berger im Gespräch mit Britta Bürger · 24.11.2010
Der Theologe David Berger wirft der katholischen Kirche eine subtile Form der Erpressung gegenüber homosexuellen Priestern vor. Es werde eine sanfte Drohkulisse aufgebaut, sagte der Autor des Buches "Der heilige Schein".
Britta Bürger: Der katholische Theologe David Berger hat mithilfe konservativer katholischer Netzwerke rasant Karriere gemacht, als Herausgeber und Chefredakteur der Monatszeitschrift "Theologisches" und als Professor an der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin im Herzen des Vatikans. Beide Tätigkeiten gehören mittlerweile der Vergangenheit an, denn David Berger hat sich im Frühjahr als Homosexueller geoutet, was Konsequenzen hatte. Seine persönliche Abrechnung mit der katholischen Kirche, die hat er soeben als Buch veröffentlicht unter dem Titel "Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche". Schönen guten Morgen, Herr Berger!

David Berger: Guten Morgen!

Bürger: Sie waren ja seit Jahren in einer festen Partnerschaft mit einem Mann liiert, während Sie beruflich Karriere gemacht haben in einem geradezu fundamentalistischen Umfeld erzkonservativer Katholiken. Wie haben Sie all die Jahre mit diesem Widerspruch gelebt?

Berger: Ja, in so einen Widerspruch wächst man sehr langsam hinein, das heißt, das ist ja nicht so, dass man von einem Tag auf den anderen beschließt, zusammenzuleben – das ist die eine Seite –, und auf der anderen Seite auch nicht von Anfang an beschließt, Karriere zu machen, sondern eins ergibt sich aus dem anderen, und beides läuft dann auf einmal parallel, und man richtet sich dann ganz gut ein, das heißt, auch im konservativen Katholizismus gibt es sehr viele Methoden, mit so etwas umzugehen. Ich war ja da nicht allein, ich war nicht der Einzige, der mit einem Mann oder einer Frau zusammenlebt und trotzdem Karriere gemacht hat. Man weicht dann eben auf Ersatzstrategien aus, dass man zum Beispiel seinem Partner als Cousin ausgibt und sagt, das ist mein Cousin, und da geben sich dann auch alle mit zufrieden. Wichtig ist nur, dass nicht in der Öffentlichkeit das böse Wort "schwul" fällt.

Bürger: Sie hätten sich als Homosexueller ja auch den eher reformorientierten Kreisen innerhalb der katholischen Kirche anschließen können. Warum haben Sie das nicht getan, und sich stattdessen immer tiefer ins Netzwerk der Hardliner begeben?

Berger: Ja, auch dieses In-das-Netzwerk-Begeben ist ein langsamer Prozess, das ist auch nicht so, dass man sofort mittendrin hängt im Netzwerk. Diese Option für den Traditionalismus hat bei mir eigentlich eingesetzt mit der Begeisterung für die klassische tridentinische Liturgie, die alte Form der Liturgie in lateinischer Sprache, mit gregorianischem Gesang und prächtigen Gewändern, Weihrauch und so weiter, und hat dann eben vieles andere nach sich gezogen. Das war sozusagen die Einstiegsdroge, die mich dann weitergeführt hat zu anderen konservativen Optionen zu kommen innerhalb der Theologie.

Bürger: Sie beschreiben in Ihrem Buch auch die Ästhetik der Gewänder, die angeblich von schwulen Händlern im Internet zu Höchstpreisen gehandelt werden. Haben Sie denn die damit verbundene Rückwärtsgewandtheit der Kirche völlig ausgeblendet?

Berger: Am Anfang ja, das heißt, das hat mich am Anfang nicht interessiert. Ich war interessiert an diesem Ästhetischen, an diesem schönen Schein, daher auch der Titel meines Buches, "Der heilige Schein", weil das sehr viel mit Kulisse zu tun hat, das heißt, die Freude am oberflächlich Schönen, Scheinhaften, das mich das zunächst hat ausblenden lassen. Aber irgendwann hat das dann sozusagen, ist das nachgezogen, dass ich mich auch mit der Theorie auseinandergesetzt habe. Man wird dann gelobt für seine ersten wissenschaftlichen Aufsätze, die man schreibt, wenn die entsprechend konservativ sind, und da war sicher in der Jugendzeit auch ein bisschen persönliche Eitelkeit dabei. Wenn man noch Student ist, eine Seminararbeit schreibt, und die schon im Druck erscheint, dann beflügelt das einfach, bestärkt einen in seiner Einstellung, eben weil man ein bisschen bebauchpinselt wird in einer Zeit, wo man das von Professoren und so weiter noch nicht bekommt.

Bürger: Sie unterstellen ja führenden Katholiken, dass sie für wichtige Posten ganz bewusst um homosexuelle Männer werben, um sie dann auf Linie zu trimmen und gegebenenfalls mit dem Vorwurf der Homosexualität unter Druck zu setzen. Das sind scharfe Vorwürfe. Was haben Sie selbst in dieser Hinsicht erlebt und beobachtet?

Berger: Ja, das ist nicht so, dass man explizit in dem Sinne unter Druck gesetzt wird, dass einem gesagt wird, Sie oder du sind oder bist homosexuell, von daher mach das, was wir denken, sondern das ist eine subtile Form der Erpressung, zumindest habe ich das so erlebt, dass wenn man irgend etwas publiziert oder unterschreibt, eine Petition, die nicht in das konservative Konzept passt, dass mir gesagt wurde in den Gesprächen, zu denen ich eingeladen wurde: Wussten Sie denn nicht, dass bei der Petition auch Homosexuelle unterschrieben haben? Wollen Sie, dass Ihr Name da auch neben Homosexuellen auftaucht? Dann dürfen Sie sich aber auch nicht wundern, dass man über Sie falsche Vermutungen anstellt, oder sind die dann gar nicht so falsch? Also so wird dann mit einem umgegangen, dass man nichts direkt sagt, aber trotzdem, wenn man sehr schnell spürt und weiß, aha, da wird jetzt eine sanfte Drohkulisse aufgebaut, die einen wieder in die richtige Richtung lenken soll.

Bürger: Zugleich unterstellen Sie aber solchen Männern, dass die wahrscheinlich auch homosexuell sind. Inwieweit ist das pure Spekulation, oder Wissen?

Berger: Das war einfach die Erfahrung, die ich gemacht habe, dass man Männer trifft, die man aus Vorträgen oder Vorlesungen kennt, und die morgens noch über Homosexualität, über die Gleichberechtigung von homosexuellen Paaren mit Ehepaaren geschimpft haben, oder in Aufsätzen sich darüber negativ geäußert haben, und die gleichen Männer trifft man dann abends zum Beispiel in Homosexuellen-Lokalen wieder. Und da ist man dann doch sehr erstaunt, weil man denkt, das passt irgendwie nicht zusammen. Wenn das einmal passiert, denkt man sich, gut, das ist vielleicht eine schizophrene Persönlichkeit, aber das ist mir häufiger passiert, und mit der Zeit und je tiefer ich in beide Bereiche eingetaucht bin, ist mir aufgefallen, dass das durchaus eine innere Logik hat, eine Logik der Projektion, die hier stattfindet, die die Psychologie an und für sich ganz gut erklären kann.

Bürger: "Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche", so hat David Berger sein soeben erschienenes Buch überschrieben, über das wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch sind. Haben Sie selbst, Herr Berger, denn im Laufe der Jahre in irgendeiner Weise versucht, auch eine Lanze für die Homosexuellen zu brechen, die Kirche von innen heraus zu verändern? Als Publizist und auch als Lehrer an einem Kölner Gymnasium, der Sie ja immer noch sind, hatten Sie dazu ja eigentlich jede Menge Gelegenheit.

Berger: Ja. Als ich Herausgeber von "Theologisches" war, habe ich mich von Anfang an geweigert, Aufsätze zu publizieren, die eindeutig homophob oder auch antisemitisch waren, die mir zugestellt worden sind von Mitarbeitern, und die die unbedingt veröffentlicht haben wollten in der Zeitschrift. Ich als Herausgeber hatte da die Möglichkeit, zu sagen, das bringe ich nicht, das möchte ich nicht bringen, diese Möglichkeit habe ich auch wahrgenommen. Das hat man mir natürlich nicht verziehen, und hat dann sehr schnell gegen mich agiert. Immerhin konnte ich mich dann doch fast sieben Jahre als Herausgeber halten, trotz dieser eindeutigen Stellungnahmen, die ich da bezogen habe. Jetzt direkt pro habe ich in diesem Zusammenhang nichts gemacht, aber eine Sache war wichtig für mich in meiner Laufbahn: An dem Gymnasium, wo ich gelehrt habe, haben mich meine Schüler irgendwann danach gefragt, ob ich mit einer Frau verheiratet bin oder mit einem Mann zusammenlebe, und da habe ich ihnen ganz ehrlich geantwortet, dass ich mit meinem Freund zusammenlebe seit … damals waren das noch nicht 21 Jahre, aber waren das 18 Jahre, und ich habe gemerkt, wie toll die Schüler reagiert haben, dass sie es gut fanden, dass ein Lehrer ehrlich darüber spricht. In all den Jahren, wo ich ehrlich mit den Schülern darüber gesprochen habe, habe ich nie irgendein diskriminierendes, böses Wort gehört, und das hat mir letztlich auch mit den Mut gegeben zu dem Schritt, den ich dann im April gemacht habe, dass ich mich öffentlich geoutet habe, und auch da waren die Reaktionen der Schüler, der Eltern und Kollegen absolut vorbildlich, bis auf eine einzige Ausnahme habe ich nur positiven Zuspruch bekommen. Toll, wie Sie das gemacht haben, wir sind stolz, einen solchen Lehrer zu haben.

Bürger: Glauben Sie, dass Ihr Buch die katholische Kirche tatsächlich in Bedrängnis bringen kann?

Berger: Ich bin jetzt nicht so zuversichtlich, wie das die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in ihrer Rezension vom Montag war, die geschrieben haben, der Vatikan wird jetzt, also ich umschreibe das jetzt, ich habe jetzt das direkte Zitat nicht vor mir liegen, aber der Vatikan wird jetzt in Bezug auf die Homosexualität nicht mehr so weitermachen können, wie er bisher gewirkt hat, sondern da wird er sich über eine Trendwende Gedanken machen müssen. Ich denke aber, dass vielleicht – auch wenn jetzt nicht der Papst oder Kardinäle das Buch lesen –, dennoch vielleicht das Buch einen Stimmungswandel anstoßen könnte, ein Gedankenanstoß, selbst bei denen, die sich darüber ärgern. Ich weiß das selber noch aus meiner Zeit der konservativen Theologie, man hat progressistische Bücher gelesen von progressistischen Theologen, hat sich darüber geärgert, aber man hat immerhin darüber nachgedacht. Und ich glaube, dann ist schon viel erreicht, wenn da ein neues Nachdenken stattfindet, dass man auch seine Worte wägt, dass es nicht mehr vorkommt, dass Kardinäle aufstehen und sagen, an den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche sind nur die schwulen Jugendlichen schuld, die unsere unschuldigen Priester verführt haben, sondern da etwas vorsichtiger ist mit seinen Äußerungen, und etwas mehr nachdenkt, bevor man etwas sagt.

Bürger: Sie haben eben gesagt, Sie gehen davon aus, dass der Papst Ihr Buch nicht lesen wird. Werden Sie denn das heute erscheinende Buch des Papstes lesen?

Berger: Das werde ich mit Sicherheit lesen, das interessiert mich natürlich brennend. Ich habe jetzt auch die Diskussion natürlich verfolgt, dadurch, dass wir praktisch mehr oder weniger fast am gleichen Tag unser Buch der Öffentlichkeit präsentieren. Aber ich hätte es natürlich auch sonst gelesen. Ich habe über all die Jahre die Theologie und auch die kirchenpolitischen Schriften und Äußerungen des Papstes immer mit äußerst großem Interesse verfolgt.

Bürger: Und erwarten Sie davon einen Kurswechsel?

Berger: Nein, den erwarte ich nicht. Ich hätte mich darüber gefreut natürlich, das muss ich hier nicht sagen, aber nach dem, was ich an Vorveröffentlichungen gesehen habe, war ich doch wieder erschrocken, dass die alte Problematik wieder auftaucht: Das ganze Buch ist alles, alles andere als modern, da ist kein Kurswechsel abzusehen, sondern die alten Problematiken scheinen wieder durch. In der westlichen Welt, in der Moderne sieht der Papst nur den Niedergang, die banale Existenz des Wohlstandsbürgers, besonders im Protestantismus, findet im Islam den großen Verbündeten im Kampf gegen den radikalen Säkularismus und die Trennung von Staat und Kirche, Sexualität wird nur im Zusammenhang der Erzeugung von Nachkommenschaft gesehen. All diese Dinge, die die Kirche bisher entschieden gehemmt haben, werden dort anscheinend aufgewärmt, wenn man den Vorab-Veröffentlichungen glauben mag, sodass die Kondomgeschichte, die in den letzten Tagen durch die Medien gegangen ist, wie ein Zückerchen erscheint, das man uns auf die Zunge gelegt hat, damit wir den ganzen Essig nicht schmecken sollen, der nachgekippt wird in den nächsten Tagen.

Bürger: "Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche", so heißt das Buch von David Berger und ist im Ullstein Verlag erschienen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Berger!

Berger: Ja, ich danke Ihnen auch!
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