Stuttgart 21 - CDU inmitten des Bürgerprotestes

Von Ernst Rommeney · 09.10.2010
Stefan Mappus fürchtet zu scheitern. Der noch junge christdemokratische Ministerpräsident könnte die nächste Landtagswahl Baden-Württembergs im März verlieren. Tanja Gönner, seine Umwelt- und Verkehrsministerin, sieht dennoch keine Alternative. Auch wenn es Wählerstimmen koste, müsse die CDU zum Bahnprojekt Stuttgart 21 stehen.
Nicht jugendliche Baumschützer, sondern fidele Stuttgarter Omas mit Trillerpfeifen in den Mündern lehren die beiden Nachwuchspolitiker das Fürchten. Man mag sich streiten, wessen Anhänger da hinter den rotweißen Absperrgittern wütend protestieren. Sind es nun sozialliberale Stadtbewohner, welche den Bahnhofsneubau schon immer abgelehnt haben, oder sind es eher konservative Bürger, welche die Geduld mit ihren Politikern verloren haben?

In der Not der neuerlichen Haushaltskrise müssen wieder einmal viele öffentliche Leistungen gestrichen werden. Da ist ein teurer Bahnhofsneubau nur schwer zu vermitteln. Zumal sich der Zorn in die Herzen der Bürger frisst, sie allein hätten nach der Bankenkrise für die Fehler der Manager und der Politiker zu zahlen. Außerdem hat die Rezession gerade der erfolgsverwöhnten Stuttgarter Region schwer zugesetzt.

Als sei es nicht genug, verfällt auch noch die CDU bundesweit - wie zuvor die SPD – in der Wählergunst, weil die schwarzgelbe Koalition in Berlin nicht zu überzeugen vermag. Schlimmer noch, die Christdemokraten plagt eine Sinnkrise. Und auch daran könnte Stefan Mappus scheitern. Als aufstrebender Politiker wollte er seine Partei wieder auf alte konservative Werte verpflichten. Und nun holt er sich den alten Heiner Geißler als Helfer in der Not.

Dieser verstand es wie kein anderer, konservative Politik als progressiv darzustellen. Er hätte dafür gerade heute gute Beispiele: Ursula von der Leyens Familienpolitik, Norbert Röttgens Klimaprogramm oder Armin Laschets Integrationskonzept. Doch wackere Konservative wissen das nicht zu schätzen. Sie führen lieber sinnentleerte Wertedebatten.

Meist nehmen sie sich Angela Merkel vor, nun ist der Bundespräsident an der Reihe. Christian Wulff sagte bereits vor Wochen, dass man nicht fragen solle, woher jemand komme, sondern wohin er wolle. Nun hat er hinzugefügt, auch der Islam gehöre mittlerweile zu Deutschland. Die Kanzlerin ergänzte, man könne Muslimen nicht vorwerfen, dass sie mit leuchtenden Augen von ihrer Religion redeten, und auch nicht, dass man es selbst nicht tue.

Beide haben schlicht Recht. Wir, die deutschen Ureinwohner, überhöhen gern unsere Ansprüche, ohne sie zu einlösen. Unsere religiöse und historische Bildung lässt zu wünschen übrig, aber natürlich haben wir eine Leitkultur. Gern überlassen wir es Ausländern, einen Beitrag dazu zu leisten.

Selbst beschäftigen wir uns lieber mit Grillen, Fußball und Fernsehen, derweil Goethe und Schiller als Meterware im Regal stehen. Die deutsche Gesellschaft hat sich kulturell nivelliert und sozial den Kontakt zur Unterschicht verloren. Aber natürlich sind es nur die Migranten, denen die Sprachkompetenz im gemeinsamen Europa fehlt.

Und dann gehen die braven Bürger auf die Barrikaden. Sie werfen Politikern wie Stefan Mappus vor, in ihrer Macht arrogant zu sein. Ihm aber fehlen die Argumente, auch die konservativen Werte, denn der Vorwurf trifft zu. Andernfalls könnte er den bürgerlichen Demonstranten erwidern, sie sollten um "Stuttgart 21" nicht soviel Lärm machen, da sie ja wohl das Projekt über 20 Jahre verschlafen hätten und erst aufgewacht seien, als die Bagger kamen.

Und nun soll eine Volksabstimmung es richten? Das Bauvorhaben durchlief doch erfolgreich alle Instanzen – parlamentarische wie gerichtliche. Nicht ohne Grund haben wir eine repräsentative Demokratie. Sie überlässt es gewählten Abgeordneten, sachkundig schwierige Aufgaben stellvertretend für uns zu lösen. Wer dagegen Einwände erhebt, sollte sich rechtzeitig einschalten.

Die nächste Gelegenheit gibt die Landtagswahl im März, auch wenn sie "Stuttgart 21" letztlich nicht aufhalten wird. Bis dahin darf sich der wertkonservative Stefan Mappus bewähren – und auch die Oma mit der Trillerpfeife.
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