Stücke für ein mechanisches Klavier

Von Martina Seeber · 03.05.2012
Als Conlon Nancarrow Ende der 1970er-Jahre von der Musikwelt entdeckt wurde, war das Staunen über den eigenwilligen Künstler mindestens ebenso groß wie die Begeisterung. "Nach den wenigen 'Studies for Player Piano' von Nancarrow, die ich gehört habe, versichere ich mit aller Ernsthaftigkeit, dass Conlon Nancarrow der bedeutendste lebende Komponist ist", äußerte 1980 György Ligeti. Er war eine der ersten einflussreichen Persönlichkeiten, die sich so vehement für die Musik von Conlon Nancarrow einsetzten, sodass dieser bald als Sensation von Festival zu Festival gereicht wurde.
Glaubt man György Ligeti, ist der 1912 in Texarkana an der Grenze zwischen Texas und Arkansas geborene Komponist "die größte Entdeckung seit Webern und Ives". Das ist umso erstaunlicher, da Nancarrow den größten Teil seines Lebens von den Entwicklungen der zeitgenössischen Musik keine Notiz genommen hatte. Seit er 1940 nach Mexiko emigriert war, lagen die Schauplätze der Avantgarde schlichtweg außerhalb seiner Reichweite. Er war ausgereist, weil er in den USA nach seiner Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg zur Persona non grata geworden war. Nancarrow hatte gegen Franco gekämpft und war Mitglied der kommunistischen Partei.

Im mexikanischen Exil fand Nancarrow allerdings weder geeignete Interpreten noch Aufführungsmöglichkeiten für seine komplexen Werke. Daher entschied er sich, künstlerisch autark zu werden. Er habe seine Musik hören wollen, berichtet er später. Und da er ein zu schlechter Pianist sei, um sie sich selbst auf dem Klavier vorzuspielen, sei er auf das selbstspielende Klavier gekommen, das er aus seinem Elternhaus kannte.

Nancarrow erwarb sowohl ein mechanisches Klavier als auch eine Stanzmaschine. Um 1949 war die erste "Study" für Player Piano in Papier gestanzt, und vom selbstspielenden Klavier als Notbehelf bald nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Nancarrow entwarf immer komplexere Zeitstrukturen und Tempoverhältnisse. Er begann, die Freiheit zu genießen, ohne Rücksicht auf die physischen und geistigen Möglichkeiten menschlicher Interpreten zu komponieren.

Die rund 50 "Studies for Player Piano", die er bei seinem Tod 1997 hinterließ, sind genuin mechanische Musik. "Meine Seele ist in der Maschine", gab er seinen späten Bewunderern zu verstehen, die ihn immer wieder fragten, ob sein Werk nicht endlich auch von Menschen gespielt werden könne. Sei es nicht möglich, Temporelationen – wie in "Study No 6" – mit derselben Präzision wie ein Player Piano wiederzugeben? In dieser Study entsteht das eigentümliche rhythmische Pattern des Begleit-Ostinatos durch metrische Verschiebungen im Verhältnis 4:5. Die Oberstimme folgt wiederum ihrem eigenen Puls, sodass sich insgesamt eine Temporelation von 3:4:5 ergibt. Aber auch stilistisch lassen sich Melodiestimme und Begleitung kaum auf einen einfachen, gemeinsamen Nenner bringen. In dieser frühen Study begegnen sich Fragmente aus Blues, Tango und Flamenco. Die im Vergleich zu späteren Studies noch relativ überschaubare "Study No 6" hat der Posaunist Patrick Crossland für Bläser, Schlagzeug und Streicher eingerichtet. Um die gegensätzlichen Charaktere plastisch herauszuarbeiten, sind die Instrumente zu homogenen Gruppen zusammengefasst.

Ferne Welten - Das Ensemble Laboratorium und der Dirigent Manuel Nawri
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