Studio 9 - Der Tag mit Adam Soboczynski

"Politisieren ist doch kein Selbstzweck"

Wahlplakate der CDU mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD mit Spitzenkandidat Martin Schulz sind am 09.08.2017 vor dem Kaufhaus des Westens oder KaDeWe zu sehen.
Überall hängen die Wahlplakate der verschiedenen Parteien, aber es gibt kaum politische Kontroversen. © dpa / picture alliance / Christina Peters
Moderation: Anke Schäfer  · 16.08.2017
Der Wahlkampf sei von einer konservativen Grundstimmung geprägt, sagt Adam Soboczynski. Während in vielen anderen Ländern Chaos herrsche oder autoritäre Regime den Kurs bestimmten, gebe es in Deutschland einen breiten Konsens. Den Zeit-Journalisten stört das nicht.
Rund sieben Wochen vor der Bundestagswahl scheinen in der öffentlichen Debatte die kontroversen Themen zu fehlen. "Das Land schläft vor sich hin – und die Parteien wollen nicht stören", kritisierte der Publizist Claudius Seidel vor einigen Tagen. Der Feuilletonchef der Wochenzeitung "Die Zeit", Adam Soboczynski, sieht darin kein Problem, sondern ein Zeichen dafür, dass in der Gesellschaft ein breiter Konsens vorherrsche.
Adam Soboczynski
Der Feuilleton-Chef der Wochenzeitung "Die Zeit", Adam Soboczynski© Deutschlandradio / Manfred Hilling

Kein gespaltenes Land

Der Streit bleibe in Deutschland aus, weil anderswo so viel Chaos herrsche, sagte Soboczynski im Deutschlandfunk Kultur. Schon jenseits der Grenze in Polen gebe es ein autoritäres System. In Frankreich habe man befürchten müssen, dass Marine Le Pen gewählt wird. Dann gebe es noch die "zweifelhafte Riesengestalt Trump", Kriege und Flüchtlingskrisen. Außerdem sei die Bundesrepublik kein gespaltenes Land, wie andere Staaten in der Nachbarschaft, wo die liberale Demokratie bereits in Gefahr geraten sei. Stattdessen gehe es eher darum, ob mit der Wahl der SPD der Spitzensteuersatz um 1, 3 Prozent angehoben werden solle. Es herrsche in Deutschland eine "konservative Grundstimmung" vor, sagte Soboczynski.

Ausgedehnte Volkspartei CDU

Bundeskanzlerin Angela Merkel habe in ihrer Amtszeit viele Themen einkassiert, die lange in der CDU tabu gewesen seien. Dadurch habe sie gesellschaftspolitisch viel absorbiert und die Volkspartei "sehr großherzig ausgedehnt". Mit Blick auf die Opposition sagte Soboczynski: "Die Programmatik müssen natürlich die Herausforderer liefern und nicht die Regierungspartei." Das Problem sei, dass die SPD als größte Oppositionspartei gleichzeitig als Teil der Regierung agiere.
Es sei aber nicht so, dass es gar keine Diskussionen gebe, sagte der Journalist. "Sie können jede beliebige Talkshow einschalten oder Interviews mit Politikern führen, es gibt Differenzen", sagte der Zeit-Redakteur. "Nur es gibt einen großen Konsens über grundlegende Aspekte des Zusammenlebens und der politischen Ausrichtung dieser Politik, nämlich im wesentlichen eine liberale." Das wirke im Vergleich zu anderen Staaten doch beruhigend und hänge auch mit der guten Wirtschaftslage in Deutschland zusammen.

Die Konflikte kommen wieder

Er glaube daran, dass es zum rechten Zeitpunkt auch wieder zu Konflikten kommen werde, die man dann austragen müsse, sagte Soboczynski. "Ich bin nur ein bisschen müde manchmal, das immer wieder zu lesen, ständig, dass wir nicht politisiert genug sind, dass nicht genug gestritten wird." Politisieren sei doch kein Selbstzweck. Es habe in der Vergangenheit immer wieder Zeiten gegeben, in denen viel politisiert wurde. "Das waren aber nicht die Zeiten, in denen man unbedingt gerne gelebt hätte." Er vermisse das nicht, es sei denn, es gebe eine starke Notwendigkeit, dies zu tun. "Dieses Gefühl habe ich aber derzeit nicht, aber das ist wahrscheinlich eine dekadente Perspektive."

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