Studiengang Soziale Gerontologie

Von der Altenpflege in die Wissenschaft

Eine Pflegerinn begleitet eine Bewohnerin eines Seniorenwohnheims
Eine Pflegerinn begleitet eine Bewohnerin eines Seniorenwohnheims: Viele Studenten des neuen Studiengangs haben bereits Berufserfahrung. © picture-alliance / dpa / Christian Charisius
Von Rocco Thiede · 11.10.2015
An der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin kann man neuerdings berufsbegleitend Soziale Gerontologie studieren – und erfahren, wie Praxis und Theorie einander befruchten. Über den richtigen Umgang mit Demenzkranken, Hospizarbeit und Gewalt im Alter.
"Das Besondere ist vielleicht, dass dieser Studiengang akademisch erstqualifizierend ist und trotzdem eben berufsbegleitend. Und soweit ich weiß tatsächlich der einzige Studiengang in Deutschland, der so etwas anbietet."
Sagt Claudia Schacke, Gerontologie-Professorin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin, kurz KHSB genannt. Sie hat sich viele Jahre wissenschaftlich mit Demenz und deren Bedeutung für Angehörige, mit Präventionsprojekten sowie mit Depression und Gewalt im Alter beschäftigt. Im sechs-semestrigen Bachelor-Studiengang Soziale Gerontologie, den Schacke leitet und mit entworfen hat, geht es um diese Themen – aber mit starkem Praxisbezug:
"Unser Schwerpunkt ist die Schnittstelle von Pflege und Hilfebedarf und soziale Arbeit stärker zu beleuchten. Grundwissen und substantielles Wissen in rechtlichen Fragen wird hier auch vermittelt. Was auch sehr wichtig ist, ist die Vermittlung psychosozialer Kompetenzen, also kommunikativer Kompetenzen, von Beratungskompetenz auf hohem Niveau."
Wichtige Ergänzung zur Berufserfahrung
Studierende der "Sozialen Gerontologie" fallen auf dem Campus der KHSB in Berlin-Karlshorst schon wegen ihres höheren Alters auf. Toralf Heider ist 44 Jahre und kommt aus Brandenburg. Er ist Pflegedienstleiter. Über den damaligen Zivildienst kam er in die Altenpflege, wo er sich Schritt für Schritt hochgearbeitet hat:
"Es ist schon eine Herausforderung nach einem gestandenen Berufsleben dann nochmal so etwas anzufangen. Ein Studium kannte ich so überhaupt noch nicht."
Sein Arbeitgeber, der Seniorenverein Brandenburg, unterstützt Heider finanziell und stellt ihn für die Studienzeit frei. Das hier vermittelte theoretische Wissen ist für Heider eine wichtige Ergänzung zu seiner Berufserfahrung:
"Zum Beispiel Demenz, demografische Entwicklung, Altersbilder, zum Beispiel Stressmodelle, die man praktisch in der Arbeit anwenden kann."
Markus Beyer ist 28 Jahre und ursprünglich Eventmanager. Heute arbeitet er bei der Caritas in Stralsund.
"Als Seniorenberater bin ich zuständig für ein Seniorenwohnhaus. Ich habe 78 Wohnungen und derzeit 83 Mieter im Haus, die natürlich auch immer ihre Problemchen haben: Das geht los mit der Kommunikation mit Ämtern und Behörden, wenn es um die Pflegestufe geht bis hin zu Aktivitäten und Angeboten, wie Gedächtnistraining, Sturzprävention etcetera."
Krankheit, Gebrechen und Tod sowie ethische Fragen werden im Studium nicht ausgeblendet. Doch damit hatte Markus Bayer schon vorher zu tun:
"Gerade mit dem Thema Tod ist man so schon in Berührung gekommen, dadurch, dass ich ehemaliger Ministrant war bei Beerdigungen, so dass es nicht ganz fremd war für mich. Da schöpfe ich viel Kraft aus meinem katholischen Glauben heraus".
"Es sind Themen dabei, die einen sehr berühren"
Noch liegen fünf Semester vor dem Seniorenberater und seinen Mitkommilitonen. Für Karin Böhm bedeutet das noch einige Pendelei. Denn die 52-Jährige kommt eigens aus Bayreuth zum Studium nach Berlin.
"Ich bin vom Ausbildungsberuf her Physiotherapeutin, habe viele Jahre mit Schwerstbehinderten gearbeitet, also Menschen, die ich in ihrem Alterungsprozess begleitet habe. Bin dann bei uns in der Stadtverwaltung gelandet im Seniorenamt. Da habe ich in der gerontopsychiatrischen Beratungsstelle mitgearbeitet und habe in einer Fachzeitschrift einen Artikel gelesen über dieses Studium. Das hat mich schier angesprungen."
Eigentlich hatte Karin Böhm, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, nie vorgehabt zu studieren – aber dieser Studiengang schien exakt zu ihrer Tätigkeit zu passen. Bisher wurden ihre Erwartungen nicht enttäuscht:
"Mir gefällt's wahnsinnig gut. Ich kann viele Parallelen zu meinem beruflichen Alltag herstellen und es geht sehr in die Tiefe. Es sind Themen dabei, die einen einfach sehr berühren wie Depression, Suizidalität. Was mich sehr interessiert, ist die Begleitung am Lebensende, also Palliativ-, Hospizarbeit, auch der Bereich Ethik."
Zeynep-Uysal Petrifke, Muslima und 43 Jahre alt, ist Altenpflegerin in der Hauptstadt.
"Und arbeite auch in Berlin in einer türkischen Hauskrankenpflege – die erste große türkische Hauskrankenpflege, die seit 15 Jahren in Berlin ist. Und viele verschiedene Bereiche hat: Tagespflege, Demenz WG, Beatmungs-WG und auch ein Hospiz."
Als Muslima an einer katholischen Hochschule?
War es für sie ein Problem, als kopftuchtragende Muslima an einer katholischen Hochschule zu studieren?
"Ich hab meine Ausbildung in einer evangelischen Schule gemacht damals – war auch kein Problem und ich hab auch nicht damit erwartet, dass es ein Problem ist."
Auch für andere Studierende ist die weltanschauliche Ausrichtung der Fachhochschule und das "Katholische" nicht sehr wichtig. Karin Böhm:
"Ich bin selber evangelisch, arbeite bei uns engagiert in der Kirchengemeinde mit. Wobei man sagen muss, dass die Hochschule, auch wenn sie katholisch ist, wirklich sehr offen ist."
Offen auch für die Berufs- und Lebenserfahrung der Studierenden ist Gerontologie-Professorin Claudia Schacke. Sie merkt, dass in diesem Studiengang nicht nur Wissen vermittelt wird.
"Umgekehrt ist es auch so, dass sie unheimlich viel einbringen aus ihrer Praxis in die Lehre und dass das natürlich in beide Richtungen geht. Dass wir auch in unserer Lehre befruchtet werden durch das, was die haben an Erfahrungen, was sie auch an Fragen mitbringen. Es ist ja häufig so, dass Theorie und Praxis immer noch recht weit auseinanderklaffen. Und der Studiengang ist angetreten, um diese Kluft auch ein Stück zu überbrücken."
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