Studie über Engagement jüdischer Kriegsflüchtlinge

Ein "besseres Deutschland" aufbauen

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Blick auf das Museum für Jüdische Kultur und Geschichte in Frankfurt am Main, das derzeit (Stand: Januar 2018) erweitert wird © picture-alliance/ dpa
Von Ludger Fittkau · 12.01.2018
Wie haben sich jüdische Flüchtlinge in der unmittelbaren Nachkriegszeit gesellschaftlich engagiert? Zu dieser Frage wurde eine Studie erstellt. 2019 sollen die Ergebnisse in einer Ausstellung im dann erweiterten Jüdischen Museum am Mainufer einfließen.
"Polnisches Jerusalem". Der schlesische Ort Reichenbach bei Breslau bekommt diesen Beinahmen unmittelbar nach Kriegsende 1945. Der Grund: Binnen weniger Monate kommen mehrere tausend polnische Juden dort an, die den Krieg auf dem Gebiet der Sowjetunion überlebten. Die Neuankömmlinge bringen kurzerhand die Ernte auf den Feldern ein, die von den deutschen Vertriebenen nicht mehr bewirtschaftet werden konnten.
Wenig später eröffnet in Reichenbach das erste jüdische Theater Polens nach dem Krieg seine Türen, Sportvereine und Parteien werden gegründet. Die konkrete Utopie eines großen jüdischen Gemeinwesens in Niederschlesien verwirklicht sich. Doch das rege Leben währt nur wenige Jahre - von 1945 bis 1948 nämlich. Atina Grossmann, amerikanische Historikerin mit deutschen Wurzeln:
"Was interessant an dieser Gegend ist, ist die Überlappung von Erfahrungen. Breslau war eine Hochburg des deutschen Judentums. Und aus dieser Gesellschaft waren vielleicht 1600 deutschen Juden noch da. Dann kam eben so ein Strömen von viel, viel mehr polnischen Juden aus der Sowjetunion und dann gab es auch eine neue polnische Siedlung in diesen Gebieten und es gab auch noch die paar Deutschen, die noch hängengeblieben waren. Und das stieß alles aufeinander und dann kann man auch sehr, sehr viel Lernen. Aber es war so eine Zwischenzeit."

Aus dem mexikanischen Exil zurückgekommen

Insbesondere die jüdische Emigration nach Palästina ab 1948 sowie der Stalinismus in Osteuropa setzen diesem sozialen Experiment ein Ende.
Zuckermann war aus seinem Exil in Mexiko in die Sowjetische Besatzungszone gekommen, um dort ein besseres Deutschland aufzubauen.
Philipp Graf vom Simon Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Uni Leipzig forscht über Leo Zuckermann. Der Historiker bezeichnet den aus einer Wuppertaler Kaufmannsfamilie stammenden Juristen Zuckermann als eine herausragende Figur innerhalb der kommunistischen Bewegung. Insbesondere deswegen, weil er sehr früh einen SED-Beschluss zu Restitutionsforderungen von Verfolgten des Naziregimes durchsetzt:
"Weil er als einer der wenigen sich überhaupt mit diesem Thema befasst. Eine andere wichtige Person ist Paul Merker, mit dem er auch im mexikanischen Exil in den 40er Jahren zusammengearbeitet hat. Sie teilen das gleiche Interesse, aufgrund der Einschätzung, zu der sie in Mexiko gekommen sind, dass das jüdische Schicksal ein besonderes ist, das besondere Maßnahmen benötigt zur Wiedergutmachung."

Antisemitisch ausgerichteter Stalinismus als Hemmschuh

Ab Oktober 1949 wird Leo Zuckermann Leiter der Präsidialkanzlei von Wilhelm Pieck, des ersten Staatschefs der Deutschen Demokratischen Republik. Zuckermann gehört auch zu den Autoren der DDR-Verfassung. Doch drei Jahre später wird der Jurist Opfer des zu diesem Zeitpunkt stark antisemitisch ausgerichteten Stalinismus, berichtet der Leipziger Historiker Philipp Graf:
"Zuckermann wird praktisch nochmal eine ganz tragische Figur, weil er im Dezember 1952 fluchtartig die DDR verlässt. Und zwar genau aufgrund des Engagements am Ende, das er in den 40er-Jahren an den Tag gelegt hat. Er musste nämlich fürchten, dass es ähnlich wie in der Tschechoslowakei, wo im November 1952 praktisch die halbe KP-Führung eliminiert wird, dass es einen ähnlichen Prozess auch in der DDR geben wird. Und aufgrund seines pro-jüdischen Engagements in den 40er-Jahren wäre er ein idealer Angeklagter gewesen."
Ein weiteres, bisher weitgehend unbekanntes Beispiel jüdischer Eigenständigkeit in Europa unmittelbar nach 1945 sind die sogenannten jüdischen "Ehrengerichte". Historikerin Elisabeth Gallas von Simon-Dubnow-Institut erklärt, worum es da geht:
"Also, die Vorstellung war, sofort nach der Befreiung, dass man nicht nur versuchen wollen würde, die Täter zu identifizieren und denen den Prozess zu machen oder dabei zu helfen, wie ihnen der Prozess gemacht wird, sondern auch in den eigenen Reihen darüber nachzudenken, wer hat sich wie beteiligt an diesen Verbrechen. Es ist eine sehr, sehr komplexe Diskussion, weil natürlich alles unter der Zwangsherrschaft geschehen ist und sehr oft kein Handlungsspielraum da war und kein Entscheidungsspielraum da war."

"Judenräte"werden kritisch beleuchtet

Die jüdischen "Ehrengerichte" werden überall in Europa gebildet - vor allem in den Camps der "displaced persons". Dort wird die Rolle jüdischer Funktionshäftlinge und Kapos in den KZs genau sowie das Handeln der sogenannten "Judenräte" in den Gettos kritisch unter die Lupe genommen.
Auch diese Geschichte frühen politischen Engagements jüdischer Flüchtlinge im Nachkriegseuropa soll in eine große Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main einfließen, die 2019 eröffnet werden wird. Mirjam Wenzel, Leiterin des Museums:
"Last but not least werden wir auch thematisieren die Mitwirkung von Juden an den state-building-Prozessen, die sich sowohl im Osten als auch im Westen abspielen. Es gibt viele Jüdinnen und Juden, die nach Europa als Teil der alliierten Streitkräfte kommen und innerhalb der Militärverwaltungen anfangen, an den state-building-Prozessen mitzuwirken. Und auch das wird Teil unserer Ausstellung sein."
Die Ausstellung zum vielfältigen Engagement der europäischen Juden in der Nachkriegszeit wird eine der ersten Wechselausstellungen sein, die nach der Eröffnung des 50 Millionen Euro- Erweiterungsbaus des Jüdischen Museums in Frankfurt stattfinden wird. Der spektakuläre Bau wird gerade am Mainufer errichtet.
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