Stuckrad-Barres "Panikherz" auf der Bühne

Im monologisierenden Dauerrausch

3 Schauspielr stehen am Bühnenrand und gestikulieren, es sind Schauspieler des Berliner Ensembles, sie spielen Benjamin von Stuckrad-Barres "Panikherz" ,
"Panikherz" Berliner Ensemble © Berliner Ensemble/© Julian Röder
Von Gerd Brendel · 19.02.2018
In seinem Buch "Panikherz" beschreibt Benjamin von Stuckrad-Barre sein Leben auf der Überholspur inklusive Drogenabsturz und Entziehungskur. Oliver Reese hat das Werk am Berliner Ensemble inszeniert - mit gleich vier Stuckrad-Barres und jeder Menge Udo-Lindenberg-Songs.
"Das Publikum, das hier mit zu Hause ausgedruckten, online gekauften Tickets pünktlich ins Theater drängt, ist: alt."
Beschreibt Stuckrad-Barre ein Popkonzert in LA.
"Meine Güte, sind wir alle alt."
Aber an diesem Abend ist das "Wir" das Premieren-Publikum im Berliner Ensemble. Der Intendant Oliver Reese hat Stuckrad-Barres 700-Seiten-Autobiografie "Panikherz" auf zweieinhalb Stunden eingedampft. Irgendwo sitzen der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner und Michel Friedmann. Die beiden blondierten Frauen vor mir tragen viel Farbe im Gesicht und Goldschmuck. Wenigstens der und ihre Pelzmäntel scheinen echt zu sein. Als der Bühnen Stuckrad-Barre das Zitat mit dem Alter Richtung Zuschauer deklamiert, lachen sie ein bisschen unsicher.
"Also rede ich grade? Haben Sie grad was gesagt?... also hat jemand was gesagt? Das wirklich deprimierende an der Drogensucht ist, dass sie zu einem völlig spießigen Leben führt. Der Junkie führt ein vollendetes Spießerleben."

Viermal Stuckrad-Barre

Zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler spielen Stuckrad-Barre in einer Art schummriger Hotelrezeption. Links und rechts sitzt die Band und begleitet die vier Stuckrads zu Oasis- und Udo-Lindenberg-Songs. Stuckrad-Barres Freundschaft mit dem Alt-Rocker bildet einen Schwerpunkt der Monologe.
"… war plötzlich zuhause, wenn die Tage gleich lang aber unterschiedlich breit sind. Wie Udo das sagt, war richtig hier, weil ich war bei Udo …"
Warum ausgerechnet der Panik-Rocker für Stuckrad-Barre zum Ersatzvater wird, kann der Leser vielleicht noch nachvollziehen. Auf der Bühne bleibt die Faszination des jungen Shootingstars der Medienrepublik für den älteren nur eine Behauptung. Behauptung wie vieles. Das reale elterliche alternativ-bewegte Pfarrer-Elternhaus, über das die vier Stucki-Protagonisten hier herziehen - wie gerne hätte man selbst solche Eltern gehabt? Die Drogenexzesse – im Buch ausführlich leidlich interessant geschildert - geraten auf der Bühne zur Parodie. Auch wenn der charismatische Nico Holonics wunderschön im gespielten Ecstasy-Rausch hin und her zappelt, es sieht so genauso aus, wie sich die Leute einen Rausch vorstellen, von denen Stuckrad-Barre sagt:
"Leute, die an einer Bar eine Wasabinuss-Etagere von sich schieben, oh, nee, Suchtgefahr."

Monologe ohne Kontext

Was auf der Bühne glücklicherweise fehlt, sind die im Buch seitenlangen Spott und Brandreden auf prominente Kollegen, was im Buch und im Stück leider fehlt, ist Kontext. "Er bekommt es nicht hin, sein Selbstbild mit der Wirklichkeit kongruent zu machen", heißt es treffend im Programmzettel. Diesen Versuch unternimmt auch der Regisseur leider nicht. Dabei wäre es spannend gewesen, Stuckrad-Barres Abstürze zum Zeitgeist der Jahrtausendwende in Beziehung zu setzen oder sein Leben in eine Reihe anderer berühmter schriftstellernder Drogenkonsumenten von Gottfried Benn bis Françoise Sagan zu stellen. Aber nichts von alledem, stattdessen reden die vier Ichs auf der Bühne, reden und reden unterbrochen von Gesangseinlagen.
Nach zweieinhalb Stunden ist auch "Panikherz" an einem vorüber gezogen. Nicht nur die beiden Pelzfrauen vor mir klatschen begeistert. Aber der Applaus klingt nach Schadenfreude: Schaut her, wie tief begabte Menschen fallen können. Ha, und wir sitzen hier und sind davon gekommen. Und ich bin dafür bin extra aufgestanden, statt meinen Kater von der Nacht davor zu pflegen.
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