Streitkultur in der Krise

Ist die (akademische) Debatte noch zu retten?

Ein streitendes Paar steht auf einer Wippe.
Kritik wird in Deutschland laut und deutlich geäußert - auch an den Universitäten © imago / Ikon Images
Matthias Kleiner im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 18.10.2017
Immer öfter, so scheint es, wird der Austausch von Argumenten von der Frage abgelöst, wer am lautesten bei Debatten schreit. Auch an Universitäten gibt es haarsträubende Fälle. Der Hochschullehrer Matthias Kleiner über unsere "Empörungskultur" - und was man dagegen tun kann.
Liane von Billerbeck: Immer wieder gibt es an den Universitäten Fälle von neuem Streit, aber eben nicht Streitkultur, dass Lehrkräfte, Professoren diffamiert, angegriffen werden in einer Weise, die nur Zoff, aber eben nicht Streitkultur ist. Erinnern wir an die Auseinandersetzungen, die der Historiker Jörg Barberowski erlebt hat, der sich dann auch gerichtlich gegen Diffamierungen und Störungen wehren musste.
Es wird behauptet statt diskutiert, diffamiert statt gestritten. "Hat die akademische Welt also den Glauben an die Kraft des Wortes verloren und verliert die Gesellschaft darüber das Vertrauen in die Wissenschaft?" - so steht's in der Ankündigung einer Veranstaltung, die den Titel trägt "Fortiter in re suaviter in modo. Streitkultur in der Krise: Wie retten wir die akademische Debatte?".
Und diese Veranstaltung findet heute Abend in Magdeburg statt, an der Uni. Professor Matthias Kleiner, der Präsident der Leibniz-Gemeinschaften, nimmt daran teil und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Matthias Kleiner: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Die akademische Debattenkultur erlebt derzeit einen Niedergang, das ist ja eine ziemlich starke These. Teilen Sie diese Ansicht?
Kleiner: Dass es eine starke These ist, ja. Ich würde auch nicht so weit gehen, da wirklich von Niedergang zu sprechen. Ich glaube, es gibt Tendenzen, die das Streiten, das offene, faire Streiten etwas schwierig machen, und da müssen wir gegenhalten.
Hart aber fair am 05.09.2016 im Studio Berlin Adlershof in Berlin Herfried Münkler stellt sein Buch "Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft?" vor.
Politologe Herfried Münkler: Studenten meinten, ihn genau beobachten zu müssen© picture alliance/ dpa/ Revierfoto
Wenn wir mal an Münkler-Watch denkt, diese Geschichte, die vor zwei Jahren in Berlin an der Humboldt-Uni war, wo Studenten den Politologen Herfried Münkler beobachtet haben und das gleich mit solchen Diffamierungen einherging, da muss man sich wirklich fragen, was ist mit unserer Streitkultur, aber ich glaube nicht, dass wir da in einer grundlegenden Krise sind. Ich hoffe es jedenfalls nicht.
von Billerbeck: Trotzdem scheint ja die Situation so zu sein, dass auch Sie es für nötig halten, da in einer großen Diskussionsrunde mitzustreiten. Was befürchten Sie denn, wenn die Streitkultur eher in Richtung Diffamierung abrutscht?

Gefahr für den Diskurs in der Wissenschaft

Kleiner: Na ja, das ist natürlich eine Gefährdung für die Auseinandersetzung, für den Disput, für den Diskurs in der Wissenschaft.
Die Wissenschaft lebt davon, dass es unterschiedliche Perspektiven gibt, dass es unterschiedliche Analysen gibt, auch Ergebnisse von Analysen, die durchaus diametral sein können, in manchen Feldern ohnehin, und ab bestimmten Interpretationspunkten dessen, was man erforscht hat.
Und daher muss man sich auseinandersetzen, muss man auch miteinander streiten, und wenn das nicht mehr möglich ist, weil statt fairer Auseinandersetzung Empörung da ist und Diffamierung, dann muss man wirklich sagen, muss man gegenhalten.
Ich glaube, dass solche Veranstaltungen dazu dienen können, klarzumachen, dass wir einen fairen Streit, eine gute Diskussionskultur brauchen.
von Billerbeck: Die Veranstaltung ist das eine, aber die Frage ist ja, woher kommt das, wie erklären Sie sich denn diese Unfähigkeit, fair zu streiten, sehen Sie darin einen gesamtgesellschaftliches Phänomen?

Wir leben in einer Empörungsgesellschaft

Kleiner: Manchmal denke ich, dass wir in einer zu starken Empörungskultur, in einer Empörungsgesellschaft leben, die sich leicht echauffiert, die zu schnell zu extremen Positionen neigt, die gleichsam schwingt und nicht robust genug ist und gelassen genug ist, und dass dies sich dann auch widerspiegelt in Ereignissen, die in die Wissenschaften in die Universitäten hineinreichen.
Da glaube ich schon, dass es wichtig ist, zu mehr Gelassenheit zu kommen und diesen Streit, die Debatte, die Auseinandersetzung zur Normalsituation zu machen, zu sagen, ja, es gehört immer dazu, unterschiedliche Positionen zu betrachten, diese Vielfalt als Reichtum zu begreifen und nicht etwa als Last.
von Billerbeck: Das klingt jetzt sehr buddhistisch, man muss zur Gelassenheit kommen, Herr Kleiner, aber wie geht man denn mit Leuten um, die eben weder gelassen sind noch überhaupt an einem Meinungsaustausch interessiert sind?
Kleiner: Wahrscheinlich gibt es dort eine Grenze dann sozusagen der Geduld der Auseinandersetzung, sprich, ich würde ja immer dazu raten, miteinander zu reden, zu versuchen, Dinge in Bahnen zu bringen, auch Gelegenheiten zu inszenieren, dass man sich auseinandersetzen kann, und Regeln zu definieren, wie das passieren sollte.
von Billerbeck: Wie macht man das, wenn da Störer auftauchen, beispielsweise in einer Vorlesung?
Zur Einführungsvorlesung am traditionellen Campustag haben sich im Auditorium Maximum der Universität Rostock mehr als 500 Studenten eingefunden.
Vorlesung an der Uni: Was tun, wenn Störer auftauchen?© dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck
Kleiner: Na ja, ich glaube, bis zu einem gewissen Punkt kann man versuchen, zu diskutieren, und aufeinander einzugehen, also auch dann Argumente ernst zu nehmen, die kommen, und sich damit auseinanderzusetzen, aber es gibt sicherlich auch einen Punkt, wo man sagen muss, in einer solchen Situation, in einer solchen Atmosphäre, unter diesem Druck auch kann das nicht funktionieren, dann muss man auch Dinge schon mal abbrechen.

Debatten, die zeigen, wie es gehen kann

Ich finde aber, es fängt viel früher an, dass man tatsächlich Veranstaltungen macht, Debatten macht, die zeigen, wie es gehen kann. Ich bin der Leibniz-Gemeinschaft vor einiger Zeit damit konfrontiert worden – wir haben sechs wunderbare wirtschaftswissenschaftliche Institute –, dass dort auch in den Medien ein großer Streit ausgetragen wurde, ein inhaltlicher Streit, und mir dann gesagt worden ist: Ist das nicht schrecklich, dass Sie in der Leibniz-Gemeinschaft so unterschiedliche Positionen haben?
Da hab ich gesagt, nein, das ist wunderbar. Und wir haben ein Veranstaltungsformat daraus entwickelt, die Leibniz-Debatte, zu sagen, wir wollen das direkt kultivieren, wir wollen diese unterschiedlichen Meinungen, Konsequenzen, Analysen, die wollen wir miteinander diskutieren, um zu zeigen, ja, die Debatte gehört zur Wissenschaft.
von Billerbeck: Und das muss man vielleicht auch jungen Leuten wieder nahebringen, dass dieser Streit etwas Produktives ist?
Kleiner: Ja, da bin ich auch der Meinung, und ich finde es auch wichtig – ich bin ja auch Hochschullehrer –, dass man in Veranstaltungen, in Vorlesungen, in Seminaren genau das zeigt, und selbst in meinem Feld, in den Ingenieurwissenschaften, zu sagen, ja, da gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, auch unterschiedliche Konsequenzen, Verfahren, und das auch zu erörtern, zu sagen, ja, was sind denn da jeweils die Argumente für und dagegen.
Ich meine, ich bin Jahrgang '55, wir haben in unserer Kinder- und Jugendzeit das genau in der Schule, in anderen außerschulischen Zusammenhängen ja auch gelernt, und wir waren ja noch etwas dichter dran an totalitären Zeiten, wo es vielleicht auch stärker notwendig war. Ich glaube schon, wir müssen dies in Bildung, in schulischer, außerschulischer, in hochschulischer Bildung ausprägen und mit den jungen Leuten reden, möchte fast sagen: üben.
von Billerbeck: Matthias Kleiner war das, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft und heute Abend Mitdiskutant in Magdeburg. "Streitkultur in der Krise: Wie retten wir die akademische Debatte?" heißt das Thema. Herr Kleiner, ich danke Ihnen!
Kleiner: Danke Ihnen, guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Den wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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