Streitgespräch zwischen Wolfram Eilenberger und Michael Pauen

Wie weltfremd ist die akademische Philosophie?

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ist die akademische Philosophie zu weltfremd geworden? Das meint der Philosoph Wolfram Eilenberger in seinem Streitgespräch mit dem Universitätsphilosophen Michael Pauen. © imago/blickwinkel
Wolfram Eilenberger und Michael Pauen im Gespräch mit Simone Miller  · 11.03.2018
Die akademische Philosophie sei auf ihrem Tiefpunkt angelangt, kritisiert der Philosoph Wolfram Eilenberger und feiert in seinem neuen Buch "Zeit der Zauberer" vier Denker der 1920er-Jahre. Ihm widerspricht der renommierte Universitätsphilosoph Michael Pauen und verweist auf wichtige Debatten.
Der Philosoph und Buchautor Wolfram Eilenberger vertritt zwei steile Thesen: Vier große Denker der 1920er-Jahre hätten die Philosophie so revolutioniert wie einst Einstein die Physik. Außerdem sei ganz im Unterschied dazu die akademische Philosophie heute auf ihrem historischen Tiefpunkt angelangt, kritisierte Eilenberger jüngst in der Wochenzeitung "Die Zeit".
Eilenbergers Vorwurf, die akademische Philosophie habe sich heute in Binnendeutungs-Artistik verheddert und sei weltfremd geworden, lässt Michael Pauen, Leiter der Berlin School of Mind and Brain, allerdings in der Kontroverse im Deutschlandfunk Kultur nicht gelten.
"Die Philosophie spielt eine wichtige Rolle in sehr vielen Debatten, die heute essentiell sind, zum Beispiel in der Debatte um die Neurowissenschaften", sagt er. "Es gibt auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Digitalisierung und in der Gen-Technik."
Michael Pauen (l.) und Wolfram Eilenberger (r.) im Studio von Deutschlandfunk Kultur.
Streit unter Philosophen-Kollegen: Michael Pauen (l.) und Wolfram Eilenberger (r.) sehen die Entwicklung der eigenen Zunft sehr unterschiedlich. © Deutschlandradio / Manuel Czauderna

Fehlende Innovation

In den letzten 40 Jahren habe kein Philosoph das Differenzierungs- und Innovationspotential der 1920er-Jahre erreicht, widerspricht Eilenberger. Er sieht aktuell die deutsche akademische Philosophie deshalb "im schlechtesten Zustand ihrer Geschichte". Den letzten großen Schub habe es Ende der 1960er-Jahre gegeben. Seitdem werde nur noch nachbearbeitet, ausdifferenziert und es herrsche Stagnation. "Die analytische Philosophie als Fortschritt und Heilmittel zu deuten, kommt mir sehr seltsam vor, denn Sie produzieren tatsächlich nichts Neues, sondern Sie differenzieren Fragen bis in sehr viele Kommastellen aus und Sie müssen sich, auch vor ihren Kollegen an der Universität, einem Irrelevanz-Verdacht stellen", lautet der Vorwurf Eilenbergers an Pauen.

Debatten an den Universitäten

"Dann kriegen Sie offensichtlich nicht mit, was an den Universitäten passiert", hält Pauen dagegen und verweist exemplarisch auf völlig neuartige Diskussionen über das Verhältnis zwischen körperlichen und geistigen Prozessen innerhalb der Philosophie des Geistes. Pauen wendet sich außerdem entschieden gegen Eilenbergers Ansinnen, in den Denkern der 20er-Jahre Vorbilder für aktuelle Philosophinnen und Philosophen zu suchen.
"Gute Auseinandersetzungen mit Rechtspopulismus erreicht man nicht mit Zauberern, sondern mit Leuten, die wissenschaftlich die Gründe für die Entstehung des Rechtspopulismus analysieren, man braucht wissenschaftliche, zum Beispiel sozialpsychologische Grundlagen für solche Auseinandersetzungen."

Fehlende Verbindung

Eilenberger hingegen hält das vorherrschende Verständnis des Philosophen als Experten für ein fundamentales Missverständnis der Disziplin.
"Es gibt keine Verbindung mehr zwischen individueller Lebensgestaltung und akademischer Philosophie – es wird einem geradezu systematisch abtrainiert – weil sich die Philosophie als Wissenschaft, orientiert an den Naturwissenschaften, versteht, was hauptsächlich institutionelle und ökonomische Gründe hat."

Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer
Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929
Klett-Cotta Verlag 2018
431 Seiten, 25 Euro

Mehr zum Thema