Streitbarer Umgang mit dem Islam

11.12.2008
Ein leidenschaftliches Essay über grundsätzliche Verständigungsprobleme zwischen dem Westen und dem Islam ist Stefan Weidners "Manual für den Kampf der Kulturen". Er reflektiert und erzählt, mal zupackend, mal lässig, und plädiert am Ende für Selbstkritik auf beiden Seiten.
Kampf der Kulturen? Aber ja!, meint Stefan Weidner:

"Ohne Kampf gibt es keine Verschmelzung."

Allerdings beschreibt Weidner nicht den militanten "Clash of Civilisations" Samuel Huntingtons, sondern er setzt auf den Kampf der Meinungen zwischen dem Westen und dem Islam.

Das "Manual für den Kampf der Kulturen" soll die diskursiven Schlachtordnungen analysieren. Das schmale, überaus suggestive Buch des 1967 geborenen Autors, Übersetzers aus dem Arabischen und Chefredakteurs einer auf den arabischen Raum zielenden Kulturzeitschrift ist ein so synkretistischer wie gehaltvoller Langessay darüber, wie der Westen und der Islam übereinander denken, fühlen und sprechen - und wie sie es vielleicht anders tun könnten.

"Der Islam ist eine Provokation", schreibt Weidner. Er widerspreche der "Diskursherrschaft des Westens" und plädiere offen für das in dessen Augen Böse: für Antisemitismus, Rassismus und Sexismus. Der Islam oder unser Zerrbild von ihm?

Letzteres, meint Weidner und sucht, die gängigen Vorwürfe zu widerlegen: Rückständig sei der Islam nur im Vergleich mit einem Westen, der sich auf bisher nur teilweise durchgesetzte Werte von 1968 berufe. Unfähig zur Demokratie sei nicht der Islam - das Argument verwechsle die Religion mit trauriger staatlicher Praxis. Menschenrechte kenne der Islam nicht anders als die UN-Charta.

Unüberbrückbare Differenzen gebe es allerdings in zwei Punkten: bei der Religions- und Meinungsfreiheit, wie die Morde an Abtrünnigen sowie die Fatwa gegen Salman Rushdie zeigten. Unfähig zur Entwicklung könne der Islam dagegen nicht sein. Gäbe es sonst die vielen neuen reformerischen und fundamentalistischen Strömungen? Und was die Irrationalität angehe - nun, so seien Religionen eben.

Die Argumente der westlichen "Islambildproduzenten" hält Weidner für zirkulär oder nicht durchdacht, denn eine Aufklärung im westlichen, also religionskritischen Sinne könne es im Islam nicht geben. Eine Ethik der Selbstkritik existiere aber sehr wohl. Günter Wallraff oder Ralph Giordano wechselten in das Anti-Islam-Lager, nur weil zur Linken die Religionskritik gehöre. Und die Unterscheidung zwischen Universalisten und Relativisten diene vor allem der Abgrenzung innerhalb einer Kultur, weniger zur Auseinandersetzung mit der anderen.

Mit stupender Detailkenntnis des Islam arbeitet sich Weidner so durch die Konflikte der letzten 40 Jahre, durch Multikulturalismus, Asyl, Immigration und Orientalismus. Vor einigen Jahren haben Ian Buruma und Avishai Margalit islamischen Fundamentalisten "Okzidentalismus" vorgeworfen. Ihre Ideen würden samt und sonders der westlichen Zivilisationskritik entstammen.

Weidner ist über solche Einflüsse nicht nur besser informiert, sie geraten ihm auch nicht zur Einbahnstraße. Für ihn sind sich westliche "Islambildproduzenten" und islamische Fundamentalisten einig im Versuch, ein eindimensionales Islambild zu produzieren.

Weidner möchte den Islam vor den Hardlinern hüben wie drüben retten. Wie stark die von ihm erwähnten Reformer sind, wie groß die behauptete Vielfalt des Glaubens ist, ist nur von Spezialisten zu beurteilen. Der interessierte Laie, vom suggestiven Charme dieses Bandes mitgerissen, fragt sich daher manchmal, ob Weidner nicht auch ein bestimmtes Islambild, nämlich ein zu freundliches produziert.

Das "Manual" ist ein leidenschaftlicher Essay mit Versatzstücken aus Ideologiekritik, Diskurstheorie und Ethik. Er reflektiert und erzählt, mal zupackend, mal lässig, und zielt am Ende auf grundsätzliche Verständigungsprobleme: Wenn für den Islam die Welt, für den Westen jedoch der Mensch unvollkommen ist, wie verständigt man sich dann? Wenn der Westen das Individuum für heilig hält, der Islam aber den Propheten und den Koran, dann wird mit dem Schleier oder der Meinungsfreiheit das Heilige auf der einen Seite gerade dann verletzt, wenn es auf der anderen unverstellt hervortritt.

Weidner lässt darüber den Kopf nicht hängen. Dem islamischen Terrorismus könne der Boden entzogen werden, indem der Westen das Versprechen seiner Kultur auf ein besseres Leben ermögliche. Und wir selbst sollten die Trennung von privat und öffentlich überdenken. Unsere intimsten Überzeugungen, seit dem 30-jährigen Krieg auf friedensstiftende Weise zum Privaten erklärt, seien durchaus politisch relevant und das politische System kein "interesseloses Uhrwerk", sondern "eine Überzeugung, ein Weltbild, ja eine Glaubenssache":

Weidner weist auf die hier zu Lande uneingestandene Religiosität im öffentlichen Leben hin. Eindrucksvoll und spannend führt sein Buch die geforderte interkulturelle Gratwanderung mit Verve und Wagemut selbst vor.

Rezensiert von Jörg Plath

Stefan Weidner, Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist. Ein Versuch
Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag
Frankfurt am Main und Leipzig 2008
222 Seiten, 19,80 Euro
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