Streitbare EU-Justizkommissarin

Von Jörg Münchenberg, Studio Brüssel · 14.11.2012
Natürlich ist der Widerstand gegen die Vorlage von Viviane Reding immens. Bis 2020 sollen in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen 40 Prozent Frauen sitzen. Viele Mitgliedsländer lehnen gesetzliche Frauenquoten ab. Trotzdem ist das Projekt damit politisch noch lange nicht gestorben, kommentiert Jörg Münchenberg.
Viviane Reding genießt in Brüssel den Ruf einer Kämpferin. Als die EU-Kommissarin noch für den Bereich Telekommunikation zuständig war, hat sie ihre Hartnäckigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Gegen alle Widerstände in der Industrie und den Mitgliedsländern boxte sie vor ein paar Jahren günstigere Gebühren bei Auslandstelefonaten durch.

Jetzt kann Reding, inzwischen zuständig für das Ressort Justiz, wieder einen wichtigen Etappenerfolg vorweisen. Ihre ursprünglichen Pläne für eine Frauenquote in Aufsichtsräten musste sie zwar zurückziehen, weil sie in der Kommission nicht mehrheitsfähig waren. Davon hat die sich die streitbare Luxemburgerin aber nicht beeindrucken lassen und nachgebessert. Das hat sich ausgezahlt. Der Gesetzesentwurf liegt auf dem Tisch.

Und entgegen einigen Befürchtungen ist er nicht zum zahnlosen Tiger mutiert. Reding ist auf ihre Kritiker zugegangen, aber sie hat sich ihnen nicht unterworfen. Die Kernvorgaben bleiben: 40 Prozent Frauen in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen bis 2020. Lediglich beim Auswahlverfahren gab es juristische Anpassungen. Und halten sich die Unternehmen nicht daran, dann drohen Sanktionen, auch wenn die Entscheidung darüber letztlich in den Mitgliedsstaaten fällt.

Das schmälert natürlich das Bedrohungspotenzial, keine Frage. Manche Mitgliedsstaaten könnten mit möglichen Strafen, sofern das Gesetz verabschiedet wird, eher großzügig umgehen. Aber dann greift immer noch die Quote, die bis 2020 erreicht werden muss.

Manche Kritiker werden auch einwenden, das Reding letztlich doch klein bei gegeben hat. Denn die eigentlichen Machtzentren liegen vor allem in den Vorständen, nicht in den Aufsichtsräten der Unternehmen. Hier aber will die Justizkommissarin keine Vorgaben mehr machen.

Dennoch geht es zunächst einmal um das politische Signal, dass sich überhaupt etwas tut. Fakt ist: Obwohl heute viele Frauen eine bessere Ausbildung vorweisen können als Männer, sind sie in Führungspositionen weiter nur unzureichend vertreten. Selbst auf der mittleren Karriereleiter, das haben Untersuchungen gezeigt, dominieren Männer. Und daran hat sich in den letzten Jahren nur wenig geändert.

Wenn aber freiwillige Selbstverpflichtungen versagen, muss der Staat regulierend eingreifen. Notfalls mit einer Quote. Denn auch Europa kann es sich letztlich nicht leisten, viel Geld in die Ausbildung zu investieren, ohne dieses Potenzial dann später auch zu nutzen.

Natürlich ist der Widerstand gegen die Vorlage von Reding immens. Viele Mitgliedsländer lehnen gesetzliche Frauenquoten ab. Trotzdem ist das Projekt damit politisch noch lange nicht gestorben. In der EU gibt es inzwischen eine intensive Debatte über Gleichberechtigung, man denke nur an den Streit um die Nachbesetzung des Direktoriumspostens bei der Europäischen Zentralbank. Die Dynamik dieser Diskussion sollte man nicht unterschätzen. Das gilt umso mehr für die streitbare Justizkommissarin, die ihren Kampf für eine Frauenquote hartnäckig fortsetzen wird.
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