Streit unter Protestanten an der Wiege der Reformation

Von Michael Hollenbach · 26.04.2008
Bundesweit zählen zur Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) nur rund 36.000 Mitglieder. Aber mit finanzieller Unterstützung durch konservative US-Lutheraner will die SELK nun im Zentrum Wittenbergs ein großes Lutherzentrum errichten - sehr zum Ärger der Kirchenprovinz Sachsen und auch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
"Wittenberg ist eine Marke, und zwar eine Weltmarke für den Protestantismus","

sagt Friedrich Schorlemmer, wortgewaltiger evangelischer Theologe aus der Lutherstadt Wittenberg.

""Man wundert sich, wenn man im Ausland ist. Die Leute kennen Magdeburg nicht, obwohl Magdeburg bedeutender ist, aber Wittenberg kennen die Menschen. Aber was wir machen müssen, den Menschen, die hier herkommen, zeigen, wir haben nicht nur alte Handschriften zu bieten, sondern wir wollen etwas von dem Geist, der von Luther ausging, repräsentieren und ihn in die Gegenwart transportieren."

Genau das wollen nun die deutschen Altlutheraner der SELK umsetzen. Sie haben eines der attraktivsten Häuser Wittenbergs gekauft: die alte Lateinschule direkt neben der Stadtkirche. Das ehemalige Gymnasium soll bis zum kommenden Jahr zu einem Informations- und Missionszentrum umgebaut werden. Kosten: fast drei Millionen Euro. Wilhelm Torgerson, Pastor der SELK, ist zurzeit auf Spendentour in den USA. Dass er die notwendigen Millionen bald zusammen hat, darüber macht er sich keine Sorgen:

"Drüben brauche ich das Wort Wittenberg nur zu erwähnen, dann kriegen die Leute schon leuchtende Augen. Das ist anders als in Deutschland. In Deutschland hat mal jemand gesagt: Wittenberg, ach so ein Kaff in der DDR. Für konservative Lutheraner in den USA ist es eher eine Reise nach Jerusalem."

Der Altlutheraner Wilhelm Torgerson nennt als Grund, warum sich seine kleine Kirche ausgerechnet in Wittenberg so engagiert:

"Wenn jetzt mit besonderem Blick auf das Jubiläum 2017 immer mehr Leute, gerade auch konfessionell gebundene Lutheraner aus aller Welt, nach Wittenberg kommen, möchten die eine Anlaufstelle haben, wo sie sich zumindest im Wiedererkennen zu Hause fühlen. Und das fehlt in Wittenberg ganz zweifellos."

Unter anderem deshalb, weil die Landeskirche eine unierte sei. Unierte Kirche, das bedeutet, hier haben sich fast alle evangelischen Christen - also Lutheraner, Reformierte und Calvinisten - Anfang des 19. Jahrhunderts auch auf Druck des preußischen Staates zu einer Kirche zusammengeschlossen. Doch dass eine unierte keine richtige lutherische Kirche sei, dieser Argumentation kann der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten, der Berliner Bischof Wolfgang Huber, nicht folgen. Er hat kein Verständnis dafür, dass die SELK und die US-Lutheraner der konservativen Missouri-Synode so tun, als gäbe es keine Lutheraner in Wittenberg:

"Ich habe auch die Vertreter der Missouri-Synode in Amerika mit dem notwendigen Nachdruck darauf hingewiesen, dass es lutherische Gemeinden in Wittenberg gibt. Die brauchen nicht erst gegründet zu werden. Ich war ziemlich entsetzt von dem Informationsstand, mit dem da solche Planungen gemacht worden sind. Weil die evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen eine unierte Kirche ist, meinte man annehmen zu dürfen, dass es da ja keine lutherischen Gemeinden gäbe. Das geht an der Realität meilenweit vorbei, und das kann nicht angehen, dass auf einer solchen Basis so weitreichende Pläne gefasst werden. Es geht nicht darum, das Luthertum nach Wittenberg zu bringen."

"Es ist ganz unbestritten, dass wir 'lutherische Kirche' ein wenig anders sehen als eine Landeskirche, die den Namen lutherisch nicht einmal im Namen führt","

entgegnet der SELK-Pastor Wilhelm Torgerson. Die Unterschiede zwischen seiner Kirche und den evangelischen Landeskirchen gehen so weit, dass die Protestanten nicht einmal gemeinsam Abendmahl feiern.
""Wir Alt-Lutheraner oder Bekenntnislutheraner bei uns ist es zuerst, die Teilnahme am heiligen Abendmahl, ein Bekenntnisakt der Kirche, es ist nicht an erster Stelle ein Gemeinschaftsmahl der Christen, sondern die Austeilung des heiligen Leibes und des heiligen Blutes zur Sündenvergebung."

Dass sich die EKD und die Landeskirche der Kirchenprovinz Sachsen so aufregen, könne er nicht verstehen, sagt Torgerson. Und erzählt, was er seinen Gesprächspartnern entgegnet:

"Wir haben immer gedacht, ihr seid stolz darauf, dass ihr eine Unionskirche seid, und jetzt kommen die Lutheraner und sagen, wir sind die lutherische Kirche, und jetzt heißt es, wir sind auch die lutherische Kirche. Das haben wir nie behauptet, dass es keine Lutheraner gibt, die Frage ist allerdings: Wie stellt sich eine Kirche in ihrem Bekenntnis dar. Ich finde das schon interessant, dass Bischof Huber gerade auch die Fahne der Lutheraner hochzuheben beginnt, ich kannte ihn immer nur als einen dezidiert unierten Christen."

Der Wittenberger Probst Siegfried Kasparik bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung:

"Wir sind gerade in Gesprächen mit der SELK, um Spielregeln zu vereinbaren, dass nicht Menschen nach Wittenberg kommen und merken, hier haben sich die Evangelischen in den Haaren. Das Schlimmste, was passieren kann, wenn die Menschen hier vor Ort verwirrt werden. Wir haben 85 Prozent Nicht-Christen, und wenn die sehen, dass sich die Christen nun auch noch in der Wolle haben gegenseitig, ist das absolut kontraproduktiv."

Mittlerweile haben die SELK und die Landeskirche der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen einen Acht-Punkte-Vertrag ausgearbeitet, wie die beiden evangelischen Kirchen schiedlich-friedlich miteinander umgehen sollten. Allerdings hat die SELK bereits angekündigt, demnächst auch in der Schlosskirche, wo Luther einst seine Thesen angeschlagen hat, Gottesdienste zu feiern - mit einem Abendmahl exklusiv für bekennende Altlutheraner.