Streit um CETA

Defizite beim Demokratie-Verständnis

Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette vor Journalisten während der Ceta-Verhandlungen in Brüssel.
Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette vor Journalisten während der Ceta-Verhandlungen in Brüssel. © dpa / picture alliance / Stephanie Lecocq
Von Annette Riedel  · 29.10.2016
Europa muss sich neu ausrichten, wenn es um die künftige Gestaltung seiner Handelsbeziehungen geht. Es bedarf eines klaren Drehbuchs, mit klaren demokratischen Spielregeln. Das ist eine Lehre aus dem Gezeter um das CETA-Abkommen, meint Annette Riedel, unsere Europakorrespondentin.
Ist das Gezeter um CETA noch Theater oder schon Leben? - Die Wallonie ist jedenfalls nicht das kleine rebellische gallische Dorf von Asterix und Obelix. Die Wallonen hatten nicht tapfer-standhaft der Belagerung eines diktatorisch geführten wüsten Haufens tumber Römer die Stirn zu bieten. Sie haben ihr Veto-Recht genutzt, um maximal Aufmerksamkeit und politisches Kapital daraus zu schlagen. Vielleicht auch als Überzeugungstäter. Aber vor allem zugunsten der politischen Aufwertung einzelner handelnder Personen, im belgischen politischen Stellungs-Krieg zwischen der Mitte-Rechts-Föderal-Regierung und der sozialistisch geführten in der Wallonie.
Dass das der Wallonen gutes Recht ist, zwängt die Frage auf, ob ein Recht gut sein kann, das der politischen Führung von 3 ½ Millionen Menschen in der EU Werkzeug in die Hand gibt, den Ruf einer Union von 500 Millionen weltweit aufs Spiel zu setzen. Im Namen der Demokratie, wohl gemerkt.

Defizite beim Demokratie-Verständnis

Das Gezeter um CETA macht deutlich, dass es weitverbreitete Defizite beim Demokratie-Verständnis gibt. In demokratischen Rechtsstaaten haben Minderheiten die Entscheidungen von Mehrheiten zu respektieren. Das mag einen stören, wenn es gelegentlich gegen die eigenen Überzeugungen geht. Aber anders lässt sich kein Staat machen. Auch kein Staatenbund, wie die EU einer ist. In keinem demokratischen Staat der Welt müssen Entscheidungen einstimmig gefasst werden. Im Staatenbund Europäische Union bei diversen Themen sehr wohl. Und da liegt ein strukturelles Problem, das das Tauziehen um die Zustimmung Belgiens einmal mehr deutlich gezeigt hat.

CETA - ziemlich gut, wenn auch überfrachtet

Die Bedenken in der Sache gegen CETA sind zu respektieren. Die Meinung der Bürger war gefragt. Und sie ist nicht nur gefragt gewesen, sondern auch gehört worden. Und ist im Laufe der siebenjährigen Genese des Abkommens in den Vertragstext eingeflossen. Wer nicht grundsätzlich gegen Freihandel ist, muss zugeben: Nicht zuletzt durch den Einfluss engagierter Bürger ist ein ziemlich gutes, wenn auch etwas überfrachtetes Abkommen dabei heraus gekommen. Mit einem Staat, Kanada, der uns Europäern noch dazu mit seinen Werten, seinen Sozialsystemen, mit seiner Wirtschaftsordnung so nah ist, wie kaum ein zweiter. Die Kanadier sind sozusagen die "guten" Amerikaner. Und deshalb kann man auch für CETA und gleichzeitig gegen TTIP sein. Der späte Gegenwind in der Öffentlichkeit gegen CETA ist die Folge des Sturms der Bedenken, der gegen das noch ungleich umstrittenere EU-USA-Abkommen TTIP entstanden ist.
Dass in einer funktionierenden Demokratie Minderheiten nicht das Ruder in die Hand bekommen dürfen, ist das eine Demokratie-Defizit. Es gibt ein weiteres: Die Parlamente müssen künftig früher einbezogen werden, wenn es um Handelsverträge geht. Die Diskussionen, die wir jetzt, kurz vor knapp hatten, über denen peinlicher Wese ein Gipfel geplatzt ist – sie sind am Anfang von Verhandlungen zu führen. Und nicht nach deren Ende. Nichts hindert die nationalen Regierungen, vor ihrer Zustimmung zu einem Verhandlungsmandat die Meinung der jeweiligen Volksvertreter einzuholen. Das würde allerdings auch voraussetzen, dass die alberne Heimlichtuerei bei solchen Mandaten ein Ende hätte.

Europa braucht klare Kompetenzzuschreibungen

Und auch das lehrt uns das Fiasko um CETA: Kein Weg geht vorbei, an einer klaren Zuordnung der Kompetenzen. Das Europäische macht Europa, inklusive EU-Parlament. Das Nationale machen die EU-Länder, inklusive Mitbestimmung der Regionen, so sie in der jeweiligen Verfassung angelegt ist. Vermischt ist vermaledeit. Das Leben ist oft wie ein Theater. Es bedarf eines klaren Drehbuchs, an das sich alle halten. Wenn die Akteure ihre Rollen nicht glaubhaft und überzeugend spielen, dann wird das Publikum dem Schauspiel nicht applaudieren. Es wird im Gegenteil frustriert und genervt aus dem Theatersaal streben. Oder eben aus der Europäische Union.
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