Streit an Weihnachten

"Familie ist keine Wellness-Oase"

Weihnachtliche Schneekugeln
An Weihnachten werden nicht alle großen Hoffnungen erfüllt, weiß auch der Psychologe Oskar Holzberg und empfiehlt das Runterschrauben der hohen Erwartungen © picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Oskar Holzberg im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 24.12.2015
Weihnachten, das Fest der Liebe, ist für viele Menschen ein Fest der Krise. Erst kommt der Vorbereitungs-Stress, dann fehlt die erhoffte Harmonie. Der Psychologe Oskar Holzberg warnt vor zu hohen Erwartungen. Chaos und Spannungen seien ganz normal.
Man habe oft zu viele falsche Erwartungen an das Weihnachtsfest, sagte der Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg im Deutschlandradio Kultur. Das Grundproblem sei, dass man sich eine harmonische Weihnacht und nur "gute Zeiten" von den Feiertagen erhoffe:
"Man muss aber davon ausgehen, dass Familie keine Wellness-Oase ist. Sondern dass es ja immer Chaos, Spannung, Irritation und auch unangenehme Gefühle gibt. Man sollte von vornherein davon ausgehen, dass das auch mit auftritt. Und dann kann man sich auch entsprechend darauf einstellen."
Nahe Beziehungen bergen die größten Konflikte
Wo verbergen sich die gefährlichsten Krisenherde beim Weihnachtsfest? Die größten Konflikte drohten aus den nahen Beziehungen, meinte Holzberg:
"Weil wir da ja auch immer diese Vorstellung haben, dass wir uns wirklich gut kennen, dass wir uns gehen lassen können. Und wenn wir ins Weihnachtsfest gehen, sind wir auch immer ein bisschen Kind. Das macht uns empfindlich, das macht uns empfänglich. Da brechen die alten Enttäuschungen auf, also das, was man vielleicht in der Kindheit schmerzlich vermisst hat. Oder es wird die fehlende Nähe zum Partner plötzlich so richtig spürbar."
"Man muss weg vom Harmoniebedürfnis"
Holzberg empfiehlt eine bestimmte Strategie für das Weihnachtsfest, um große Enttäuschungen und Streit zu vermeiden:
"Man sollte sehen, dass das eben nicht so eine vertraute Situation ist, wie man das immer annimmt. Jetzt wird alles gut, man hat sich vorbereitet. Erstens ist man schon immer ein bisschen gestresst. Und dann sollte man das Ganze nicht mit Harmoniebedürfnissen überfrachten."
Wichtig sei außerdem ein respektvoller Umgang, so der Rat des Psychologen:
"Also lieber so ein bisschen tun als ob auch noch Fremde da wären. Man sollte sich langsam annähern und erst einmal schauen., was überhaupt möglich ist. Wenn es dann gut ist, kann man sich richtig reinfallen lassen."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Nichts ist schlimmer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Wenn es eine Zeit im Jahr gibt, in der dieser Satz gilt, dann in dieser. Fast alle haben frei, es gibt Geschenke, man hat endlich mal Zeit für seine Lieben, und die haben Zeit für einen. Und zack ist die Krise da! Konflikte unterm Weihnachtsbaum, Streit, Enttäuschung. Muss das so sein oder kann man was dagegen tun? Wie übersteht man das Weihnachtsfest und die freie Zeit ohne Stress und Krisen? Fragen, für deren Beantwortung wir uns professionelle Hilfe holen! Am Telefon ist Oskar Holzberg, Paartherapeut, Psychologe und Autor. Guten Morgen, Herr Holzberg!
Oskar Holzberg: Guten Morgen!
Frenzel: Fangen wir mal mit der Frage nach dem Grundproblem an: Haben wir einfach alle zu viel Zeit, begegnen wir uns zu viel in diesen Tagen?
Holzberg: Na ja, es ist ja eine ungewohnte Situation, aber ich glaube, dass man einfach mit falschen Erwartungen da herangeht. Also, man geht gerne mit dieser Erwartung der harmonischen Weihnachten daran und hat das Gefühl, dass jetzt nur gute Zeiten auf einen warten. Und das ist, glaube ich, das Grundproblem, dass man einfach davon ausgehen muss, dass Familie keine Wellness-Oase ist, sondern dass es da immer Chaos, Spannung, Irritation und unangenehme Gefühle auch gibt und dass man von vornherein davon ausgehen solle, dass das auch mit auftritt. Dann kann man sich auch entsprechend darauf einstellen.
Frenzel: Wo lauern denn die größten Krisenherde aus Ihrer Erfahrung? Zwischen Ehepaaren oder auch mit den Kindern, also die Kernfamilie, oder eher mit den Zugereisten, also die lieben Schwiegereltern zum Beispiel oder andere Verwandte, die man nicht so häufig sieht?
Kindliche Erwartungshaltung
Holzberg: Da gibt es auch Konflikte mit den Zugereisten, wenn man nicht weiß, wie man sich denen gegenüber verhalten soll oder weil es da eine Fremdheit gibt. Aber ich glaube, die größten Konflikte entstehen tatsächlich in den nahen Beziehungen, weil wir da ja auch immer diese Vorstellung haben, dass wir uns wirklich gut kennen, dass wir uns gehen lassen können und dass wir dadurch in Konflikte kommen.
Das heißt, das Weihnachtsfest ist einfach so eine Zeit, es ist ein Familienfest, es ist eigentlich auch ein Kinderfest. Das heißt, wenn wir da reingehen, sind wir immer auch ein bisschen Kind, das macht uns empfindlich, das macht uns empfänglich, da brechen die alten Enttäuschungen auf, also das, was man vielleicht in der Kindheit schmerzlich vermisst hat. Oder die fehlende Nähe zum Partner wird plötzlich so richtig spürbar oder das schwierige Verhalten von nahen Verwandten, vielleicht die Mutter, die sich gar nicht richtig erkundigt, wie es einem geht, oder der Vater, der dann doch nur wieder mit dem Lieblingssohn spricht. Das bringt natürlich ganz schlimme und verletzende Gefühle in einem auf.
Frenzel: Wenn ich all das höre, was Sie da so als Problemquellen nennen, als Beispiele: Ist der Umkehrschluss richtig? Also, was sind Strategien, um eben diese Weihnachtsenttäuschung, diesen Weihnachtsstreit zu vermeiden?
Umgang mit erwachsenen Kindern
Holzberg: Na ja, ich glaube, wie gesagt, dass man einfach ein bisschen auch sehen sollte, dass das auch eben nicht so eine vertraute Situation ist, wie man das immer annimmt. Also, jetzt wird alles gut, man hat sich vorbereitet, erstens ist man immer schon ein bisschen gestresst, man ist ja nicht gerade superentspannt, das sollte man in Betracht ziehen, und dann denke ich gerade auch so zum Beispiel, dass man das nicht überfrachtet eben mit Harmoniebedürfnissen.
Ich denke da auch gerade an Eltern, das ist auch ein bisschen meine Erfahrung, dass, wenn man dann mit seinen erwachsenen Kindern zusammen ist, die reisen dann an, man freut sich und dann hat man so das Gefühl, Mensch, erstens man kennt die doch und zweitens die sind jetzt erwachsen, und dann kann man einfach so los leben. Aber das stimmt nicht. Also, weder kennt man sie, sondern man muss sehr vorsichtig sein, um sie wirklich auch wieder kennenzulernen, und die Signale aufnehmen und genau hinhören, was die eigentlich umtreibt und was sie eigentlich innerlich bewegt.
Und zum anderen bleiben wir natürlich auch gegenüber unseren Eltern immer ein Stück Kind. Also, die Haut ist sozusagen gegenüber den eigenen Eltern immer ein bisschen dünner. Und insofern würde ich immer denken, dass man sehr respektvoll miteinander umgehen sollte. Also, lieber so ein bisschen tun, als wenn auch noch Fremde da wären, dass man langsam sich annähert und schaut, was möglich ist. Wenn es dann gut ist, kann man sich richtig ...
Frenzel: Gehen lassen!
Holzberg: ... reinfallen lassen, ja!
Frenzel: Dann kann man auch die Jogginghose anziehen, vorher lieber gut angezogen.
Holzberg: Ja, ja, genau so könnte man das sagen!
Worüber man reden sollte - und worüber besser nicht
Frenzel: Es gibt ja, Herr Holzberg, auch diese Familienregel, ich glaube, die ist aber eher älter, ich kenne sie aus Großelternumfeld, über bestimmte Dinge nicht zu reden. Also beispielsweise über Politik. Halten Sie das denn für klug, dass man sich vorher auch so Dinge setzt oder dass man den Sohn darauf anspricht, dass er vielleicht beruflich nicht so vorangekommen ist oder endlich mal ein Kind kriegen sollte oder solche Dinge, dass man die besser ausklammert?
Holzberg: Ja, ich glaube, das ist nicht der richtige Ort, das anzusprechen. Wenn es jetzt was gibt, von dem man schon weiß, dass das irgendwie in der Luft schwebt, dann kann man ja auch noch hingehen und sagen, du, pass mal auf, ich weiß, wir müssen mal über diese Erbschaftsangelegenheit sprechen. Aber lass uns das jetzt nicht in dieser Zeit tun, lass uns das lieber zu einem anderen Zeitpunkt machen.
Ich würde da immer vorschlagen, dass man das so nach dem Motto "wenn nicht jetzt, wann dann" macht und richtig sagt, du, ich bleibe noch am Sonntag oder lass uns nächste Woche mittwochabends darüber skypen, ich bin mir bewusst, dass es das gibt, aber lass uns jetzt für diese Zeit ausklammern. Weil, wenn dann so viele da sind und wenn es dann so viele verschiedene Beziehungen und Erwartungen gibt, dann ist das absolut kein guter Zeitpunkt.
Der Vorteil kleiner Kinder
Frenzel: Sie haben gesagt, dass Sie Kinder haben. Wenn ich richtig informiert bin, sind die schon erwachsen, sind die aus dem Haus raus. Hat das für Sie Ihr Weihnachtsfest verändert, ist das weniger weihnachtlich geworden, seitdem Sie nicht mehr mit kleinen Kindern zu Hause sind?
Holzberg: Ja, das ist natürlich ein besonders schönes Fest, wenn man kleine Kinder hat. Kleine Kinder glauben ja auch noch an den Weihnachtsmann und man hat diese ganze Magie und das Glitzern in den Augen der Kinder, da berührt einen ja dann selbst auch. Mit größeren Kindern ist das anders, aber ich freue mich natürlich tierisch, dass sie alle da sind und alle kommen. Und na ja, also, so haben wir immer noch Familienweihnachten. Es gibt sicherlich dann irgendwann eine Phase, wo das aufhört mit dem Familienweihnachten, und dann muss man gucken, ob man dann vielleicht lieber verreist oder was Nettes mit Freunden macht.
Frenzel: So hatten wir den Vorteil, dass wir Sie heute Morgen telefonisch erreicht haben! Der Psychologe Oskar Holzberg, Weihnachten überstehen, so kann's gehen! Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Holzberg: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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