Strafverteidiger: "Deals" gehen zu Lasten des Rechtsstaates

Katrin Heise im Gespräch mit Peter Zuriel · 07.11.2012
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet über die "Deals", ausgekungelte Urteile in Strafprozessen: Sind sie gerecht oder eine Aushöhlung des Rechtsstaates? Der Strafverteidiger Peter Zuriel erklärt, warum er gegen solche Deals ist - und wofür sie aber doch gut sein können.
Annette Wilmes über ausgehandelte Urteile, die eben heute auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beschäftigen. Und ich begrüße dazu Peter Zuriel, selber Strafverteidiger und auch Vorsitzender der Berliner Strafverteidiger, der uns jetzt aus der Praxis erzählen kann. Schönen guten Tag, Herr Zuriel!

Peter Zuriel: Guten Tag!

Heise: Wie erleben Sie diese Verhandlungen vor den Verhandlungen? Wer regt die an, wer geht da auf wen zu?

Zuriel: Nun, also bis vor wenigen Jahren hätte man noch sagen können, dass diese Gespräche in der Regel von Verteidigern angeregt werden.

Heise: Weil die was rausholen wollen?

Zuriel: Ja, weil das eigentlich etwas war, was ja vom Gesetzgeber noch nicht geregelt war, was auch so ein bisschen das Ungute, das Unschöne hatte dieses Handelns, dieses Schacherns.

Das hat sich aber jetzt geändert, durch das Gesetz stelle ich zumindest fest, dass immer häufiger Richter - zwar verkleidet in irgendwelche Verfahrensabsprachen formeller Art - das Gespräch suchen. Und die Verteidigung dann in eine Situation bringen, vielleicht einen Deal abzulehnen, den sie später erst mal anstrengen wollen.

Das führt mich auch dazu, ein bisschen so diesem Eindruck entgegenzutreten, dass der Deal immer so ein Handel zugunsten des Angeklagten ist, nicht? Also der Angeklagte sieht sich auch häufig mangels einer effektiven Rechtsmittelinstanz bei Verfahrensfragen fast schon gezwungen, diesen Deal einzugehen zur Vermeidung einer höheren Strafe.

Heise: Also ich würde gerne so ein bisschen Stück für Stück da vorgehen. Das ist, denke ich, ein wichtiger Punkt, auf den wir noch kommen sollten.

Was treibt denn nun eigentlich aber den Richter? Ist das einzig die Zeitökonomie, also quasi der Blick auf seinen überlasteten Schreibtisch, dass er da alles ein bisschen schneller machen möchte?

Zuriel: Verlangen Sie von mir, dass ich da in einen Richter hineingucke und das auch noch zutreffend wiedergeben kann? Also mein Eindruck ist schon, dass ein Gericht schon daran interessiert ist, primär daran interessiert ist, ein Verfahren möglichst schnell über die Bühne zu kriegen.

Natürlich im Vertrauen darauf, zumindest in der Hoffnung darauf, dass die Verteidigung da den Angeklagten nicht zu einem falschen Geständnis rät und dass man dann also dieses formelle Geplänkel, wie es häufig genannt wird, vermeiden kann und dann zu einem schnellen, rechtskräftigen Urteil kommt.

Heise: Formelles Geplänkel… wie kann man sich als Prozessbeteiligter eigentlich verhalten? Kann man sich diesem Vorverfahren sperren oder gilt man dann als Querulant? Wenn man sagt, nein, kein Interesse dran…

Zuriel: Das ist genau die Entscheidung, die ein Strafverteidiger treffen muss, nicht? Er muss sehen, ob es für seinen Mandanten besser ist, dieses Deal-Angebot, also generell dieses Gespräch einzugehen, oder ob er nicht vielleicht einfach effektive Verteidigungsmöglichkeiten vergibt. Das ist eine Einzelfallfrage, die kann man nicht so pauschal beantworten.

Heise: Gerechtigkeit als Verhandlungsmasse – um Deals in Strafprozessen geht es hier im "Radiofeuilleton" mit dem Strafverteidiger Peter Zuriel. Herr Zuriel, haben Sie denn den Eindruck, dass auf diese Art und Weise die Wahrheit noch ermittelt werden kann?

Zuriel: Also ich glaube, der Anspruch an einen Gerichtsprozess, die Wahrheit zu ermitteln, ist eigentlich gar nicht gegeben. Also man findet ein möglichst gerechtes Urteil im Rahmen der Prozessordnung, was ja genau das Problem mit dem Deal ist.

Sicherlich wird man teilweise die Wahrheit schon ermitteln können, klar. Ich meine, man muss mal davon ausgehen, dass der Angeklagte etwas einräumt, was er einräumen kann, und dann entsprechend verurteilt wird. Das ist die Theorie.

Die Praxis ist leider etwas anders. Die Praxis haben wir ja in diesem Verfassungsgerichtsfall, der eine, der ganz prägnant ist, wo ja ein Beschwerdeführer rügt, aus Angst vor einer angedrohten Freiheitsstrafe über drei Jahren ein Geständnis abgelegt zu haben, das dann absprachegemäß zu einer Bewährungsstrafe führte. Das ist genau das Problem, also die Wahrheit wird…

Heise: …also da sind wir bei dem Druck, der Druck, der ausgeübt wird.

Zuriel: Ja, genau, das ist das Problem, dass es bei dem Deal zu Lasten des Angeklagten geht und dann natürlich auch zu Lasten der Wahrheit beziehungsweise des rechtsstaatlichen Verfahrens.

Heise: Kann eigentlich – also die Schwere eines Unrechts bleibt ja, oder schweres Unrecht bleibt ja schweres Unrecht. Kann das eigentlich unterschiedlich beurteilt werden, je nach dem, ob jetzt "gedealt" wurde oder nicht? Ich meine, weil sich da ja was verändert in den Vorabsprachen.

Zuriel: Natürlich kann das keinen Unterschied machen, so ist die Theorie, nicht? Die Rechtsprechung sagt, es darf diese Sanktionsschere nicht geöffnet werden. Es darf also im Deal keine Strafe angeboten werden, die sich sehr weit von der Strafe entfernt oder entfernen würde, die verhängt werden könnte für den Fall, dass der Angeklagte ohne Geständnis und ohne Deal vorher verurteilt wird.

Also insofern ist auch das in der Theorie nicht möglich, was Sie gerade dann skizziert haben. Tatsächlich wird man das, glaube ich, aber nie entscheiden können, weil einfach die Interessenlagen sehr stark sind, nicht?

Das sind einfach schon aufeinanderprallende Interessen, das Gericht will ein schnelles Verfahren, der Angeklagte will ein mildes Urteil – also das wird man nie entscheiden können. Und das ist ja auch das Problem, ein weiteres Problem, dieses schuldferne Strafen, ein Verstoß gegen das Schuldprinzip, ein Prinzip mit Verfassungsrang, nicht? Das ist ja genau das Problem, was auch viele Juristen mit diesem Deal haben.

Heise: Was meinen sie damit, "schuldferne Strafen"?

Zuriel: Nach der Verfassung darf ein Angeklagter nur entsprechend seiner festgestellten Schuld bestraft werden, darf also…

Heise: …aber wenn die gar nicht festgestellt wird, weil das vorher alles besprochen wird…?

Zuriel: Ja, das ist genau das Problem, wie wird die festgestellt, nicht? Normalerweise wird die festgestellt durch ein förmliches Strafverfahren mit den ganzen Anträgen und den ganzen Formalien, die ja existieren, und nicht durch einen Handel.

Der Gesetzgeber hat versucht, das einigermaßen zu kanalisieren, es ist ja in ihrer Anmoderation ja auch gesagt worden, dass also über die Schuld selber nicht gedealt werden darf. Es darf über gewisse Sachen wie Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus oder Ähnliches auch nicht gedealt werden. Die Praxis ist da aber leider doch etwas anders.

Heise: Das klingt immer alles schon so, ja, unwürdig, würde ich einfach mal sagen, wenn Sie sagen, es darf nicht über die Schuld gedealt werden, es darf nicht über die – also was wir da, also diese Wortwahl schon alleine, damit kann man ja schon Schwierigkeiten haben.

Jetzt geht es ja auch in der Kritik darum, gleiches Recht für alle. Einer der wichtigen Grundsätze unserer Justiz durchaus. Wird der eigentlich noch gewahrt, wenn es zu Absprachen kommt? Denn da ist ja dann Verhandlungsgeschick gefragt und da ist der eine vielleicht geschickter als der andere. Kann da gleiches Recht für alle gewahrt bleiben?

Zuriel: Ja, das Problem haben Sie auch, wenn Sie jetzt nicht dealen oder nicht diese verfahrensbeendende Absprache, wie es ja normalerweise heißt im Gesetz, machen.

Da haben Sie eben den geschickteren Anwalt, den geschickteren Angeklagten, Richter und Angeklagter passen besser in dem einen Fall zusammen als in dem anderen Fall... Da gibt es viele Faktoren, die da eine Rolle spielen, die eben genau diese Ungleichheit auch unabhängig von dieser jetzt diskutierten Frage produzieren. Das kann man so nicht sagen.

Heise: Sie haben all das, was Sie da aufgezählt haben, was Sie ins Feld geführt haben, da haben Sie immer eingeleitet: Theoretisch so, praktisch aber anders. Und ich meine, gerade praktisch sollte ja der Paragraf 257 c eingreifen, der Prozessordnung – hat er also offenbar nicht getan Ihrer Meinung nach. Ihnen bleibt ein ungutes Gefühl?

Zuriel: Also ich bin ein Gegner vom Dealen. Ich bin eigentlich, das muss man auch mal sehen, der Deal ist ja eigentlich auch geschaffen worden oder hat sich entwickelt historisch aus Sicht der Verteidigung aus dem Bedürfnis heraus, einen etwas offeneren Strafprozess zu führen, also vom Gericht zu erfahren, wo man steht. Das wird normalerweise auf Umwegen gemacht, durch Beweisanträge, durch Beschlüsse, die man dann erwirken kann…

Das ist dann der Normalfall, dass das also verfahrensmäßig von dem Bundesgerichtshof, vom Landgericht aus gesehen dann überprüft wird. Die Praxis hat gezeigt, dass diese Überprüfung an sich der Verteidigung nicht effektiv ist, das heißt, wir sind eigentlich beim Landgericht da, wo wir auch bleiben werden: In der ersten Instanz und sind gezwungen, eine Kommunikation mit dem Gericht zu finden. Und diese Kommunikationen kann man aber nicht erzwingen und wollen, dass wenigstens der Deal sich so entwickelt.

Heise: Haben Sie Hoffnung, dass sich da durch Karlsruhe jetzt was zum Positiven verändert?

Zuriel: Meine Hoffnung ist, dass sich da was ändert, dass der Deal zumindest modifiziert wird und dass das Verfahren moderner wird und kommunikativer, ohne dass da auf ein Verfahrensende geschielt wird.

Heise: Das heißt, dass man also nicht immer guckt, was kann man raushandeln, sondern trotzdem aber offener miteinander über das "Wo stehe ich eigentlich?" spricht?

Zuriel: Genau, richtig, und dann eben entsprechendes Prozessrecht dann weiter addieren kann.

Heise: Strafverteidiger und Vorsitzender der Berliner Strafverteidiger ist Peter Zuriel. Vielen Dank, Herr Zuriel, für den Besuch hier im Studio!

Zuriel: Danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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