Stockspiel Gorodki

Eine Leidenschaft der Russland-Deutschen

Der Russe Wasili Duchanin in Karlsruhe bei der Gorodki Weltmeisterschaft (2006).
Der Russe Wasili Duchanin in Karlsruhe bei der Gorodki Weltmeisterschaft (2006). © dpa / Uli Deck
Von Fritz Schütte · 15.10.2017
Das Stockspiel Gorodki ist in Russland schon fast vergessen. In Deutschland erlebt der Sport einen Aufschwung - weil er hier von Einwanderern wiederentdeckt wurde. Fritz Schütte hat sich ein Turnier in Hamburg angesehen.
Auf dem Grill wird Schaschlik gewendet. Man spricht Russisch untereinander. Die Sportanlage besteht aus mehreren zwei mal zwei Meter großen Metallplatten, auf denen Figuren aus Holzstäben aufgebaut sind.
Ein Pfiff ertönt. Aus dreizehn Metern Entfernung fliegt ein Knüppel heran und räumt im besten Fall alle fünf Holzstäbe von der Platte.
Der Knüppel ist ein Kunststoffrohr...
"... gefüllt mit Sand, Metall und zum Ausgleich Stoff. Die meisten bauen ihn selbst, und es gibt jemanden aus Weißrussland, bei dem man das kaufen kann. Aber du kannst nicht irgendwie zu Intersport gehen und dir so einen Stab kaufen."
In Neuallermöhe, einem der jüngsten Stadtteile Hamburgs, sind viele Bewohner Aussiedler und kommen aus Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Ihr Sportverein feiert gerade zwanzigjähriges Jubiläum. Der Vorsitzende Vitali Rommel war sechs Jahre alt, als er aus Kasachstan nach Deutschland kam.
"Wir sind alle Fußballer, und Atlantik, unser Verein, ist nicht so groß. 250 Mitglieder. Und dann haben wir Gorodki kennengelernt und jetzt auch bei uns mit aufgenommen. Also, wir haben Volleyball, Fußball und Gorodki."

Gabel, Pfeil und Sichel

Vitali notiert die Punkte und pfeift, sobald die nächste Figur aufgebaut ist. Es gibt fünfzehn verschiedene. "Gabel", "Pfeil" und "Sichel" räumen die Cracks mit einem Wurf von der Platte.
Ein Teilnehmer der Gorodki Weltmeisterschaft 2006 in Karlsruhe. 
Ein Teilnehmer der Gorodki Weltmeisterschaft 2006 in Karlsruhe. © dpa / Uli Deck
Doch wenn die Holzstäbe, die Gorodki, aufeinander getürmt sind, kommt es vor, dass ein Gorodok liegen bleibt.
Das ist ärgerlich, denn wer die wenigsten Versuche braucht, gewinnt.
"Gorodki heißt Städtchen. Das ist wahrscheinlich von früher irgendwie: Städte zerstören. Das Spiel ist ja schon, keine Ahnung, dreihundert Jahre alt."

Immer mehr in Vergessenheit geraten

Noch in den 1970er-Jahren soll Gorodki in der Sowjetunion nach Fußball der beliebteste Sport gewesen sein. Später ist das Spiel immer mehr in Vergessenheit geraten.
"Es gibt einen russischen Zeichentrickfilm, da wird in einer Folge dieses Spiel gespielt. Und davon kennen das einige. Vorher kannte ich das auch nicht."
Im Finale stehen sich Konstantin Krivosheev und Eugen Lebedev gegenüber. TSB Schwäbisch Gmünd steht auf dessen Trikot.
"Die sind heute schon um drei morgens losgefahren. In Süddeutschland ist das noch ein bisschen verbreiteter. Karlsruhe war so die Geburtsstätte, 2001."
In Karlsruhe wurde der fast schon vergessene Sport von einem Sozialarbeiter wiederentdeckt, als er nach etwas suchte, mit dem er jugendliche Aussiedler begeistern konnte. Heute gibt es sechzehn Sportanlagen in sieben Bundesländern.

Gorodki-Spieler erkennt man am durchgescheuerten Turnschuh

Konstantin Krivosheev ist Ende dreißig und führt die Rangliste an.
"Ich habe in Russland die pädagogische und die Sportakademie absolviert, und mein Hauptsport ist Boxen. Ich bin Boxtrainer, und ich bin schon hier seit 2002. Und vor fünf Jahren, glaube ich, habe ich richtig mit Gorodki angefangen.
Als ich in Russland war, habe ich nur davon gehört. Naja, ich habe es vielleicht auch paar Mal gesehen, aber nie gespielt."
In Konstantins neuer Heimat Tostedt am Nordrand der Lüneburger Heide stammt jeder Zehnte aus einem Nachfolgestaat der ehemaligen Sowjetunion. Der Sportverein im Ortsteil Todtglüsingen gehört zu den zehn größten in Niedersachsen. Konstantin leitet vier Mal in der Woche das Gorodki-Training.
"Es spielt eine große Rolle, wie du stehst, wo du stehst, ob die Hand gerade ist oder nicht. Also es ist schwer, eine technisch richtig schwere Sportart."
Gorodki-Spieler erkennt man am durchgescheuerten Turnschuh, denn bei einem korrekt ausgeführten Wurf wird der Fuß nachgezogen.
Diana Krivosheev hat sich vor drei Jahren von ihrem sportbegeisterten Mann anstecken lassen.
"Das ist nicht so: einfach nehmen und werfen. Überhaupt nicht. Da musst du richtig trainieren. Als ich das erste Mal gesehen habe, dachte ich auch: was ist los? Einfach schmeißen und das war's. Aber ne, geht nicht."
Bei der Weltmeisterschaft im Sommer belegte das deutsche Frauenteam überraschend den zweiten Platz - hinter der Ukraine, aber vor Russland.
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