Stille ist nicht still

08.02.2013
Ein Hörbuch voller Stille wollte Michael Köckritz liefern und hat Prominente von Wladimir Kaminer bis Sky du Mont bei allerlei entspannenden Aktivitäten aufgenommen. Herausgekommen ist eine CD voller Widersprüche.
Wenn das Leben Hektik, aber keine Zeit bietet, dann - warum nicht? -, CD in den Autoplayer, halbe Stunde mit dem Auto, kann mal schon mal was wegarbeiten für die Hörbuchbesprechung, indem man eben dieses Hörbuch während der Fahrt zu einem Termin hört. Track 1 von "Chillen im Stillen": Bild-Mann Kai Diekmann liest Zeitung. Man hört ihn blättern. Fahren mit dem Auto über die Landstraße, sorry, das hört sich hier recht öde an, wirkt nervig, dieses Geräusch beim Umblättern der Zeitung.

Nein, denke ich, funktionieren tut dieses Hörbuch nicht, fahrend auf der Landstraße. Und dann, plötzlich, eine Baustellen-Ampel - im real life. Die Ampel auf Rot; ein Schild weist darauf hin, dass man den Motor abschalten möge, weil: zwei Minuten Rotphase. Zwangspause. Zwei Minuten. Auto aus. Währenddessen läuft Diekmann im CD-Player weiter. Und wenn dann nach dem Blättern eine Pause entsteht, dann ist er da, dieser Moment der Stille.

Der erste Track von "Chillen im Stillen" führt praktisch die Struktur der Stille vor. Sie wird nur hörbar, wenn sie erfahren wird; sie kann nur erfahren werden als Kontrapunkt zum Geräusch. Was aber eben auch das durchaus spannende Problem der Ästhetik dieses Hörbuchs ist. Denn nicht alle, die hier ihre Version oder auch Auseinandersetzung mit der Stille vorführen, produzieren Stille.

Sandra Schwittau: "Oh Mann, oh Mann, leise sein, nicht reden. Das kann ich nicht, das will ich nicht. Caramba! Aber vielleicht, wenn ich nichts sagen darf, dann könnte ich ja ... (Rülpst. Lachen.)"

Sandra Schwittau, Synchronsprecherin, die Bart Simpson in der TV-Serie spricht. Reiner Wort-Krach ist das hier. Nicht mehr. Unangenehm wirkt das hier. Nun könnte man meinen, dass Michael Köckritz, der "Chillen im Stillen" konzipiert und aufgenommen hat, bei Wladimir Kaminer richtig gelegen hat, um Stille hörbar zu machen.

Kaminer hackt Holz vor seiner Datscha in Berlin, fernab der urbanen Metropole. Kommentiert dies im Booklet des Hörbuchs mit den Worten, Holzhacken sei eine "tolle Synthese zwischen Stille und Aggression". Allein, Kaminers Holzhacken bietet gar keine Stille, sondern nur Aggression. Laute Aggression. Die Mischung aus dem Geräusch, wenn die Axt ins Holz fährt, Kaminers Atem und die Hintergrundgeräuschen aus dem Haus lassen einen Geräuschteppich entstehe, der bei uns als Zuhörer keine Stille erzeugt.

Wenn man sich an eigene Holzhack-Erfahrungen erinnert, ist das ganz anders. Ist man in einer konzentrierten oder entspannten Stimmung, kann dabei wirklich Stille entstehen. Was das Aufnahmemikrofon nämlich nicht kann, das vermag nämlich unsere Wahrnehmung: Sie selektiert Geräusche. So entsteht ein stiller Raum. Die Hand greift zum Holzstück, Stille, legt das Holzstück auf den Holzklotz, Stille, dann fährt die Axt in das Holz, ein lautes Geräusch, dann dieser innere Moment der absoluten Stille. Doch diese Holzhack-Sequenz auf der CD "Chillen im Stillen" hat in ihrem Naturalismus die Aufdringlichkeit einer Action-Szene. Keine Stille.

Auch Tim Raue oder Johann Lafer mögen beim Kochen innere Stille erfahren, doch wenn wir sie mit all den typischen Hintergrundgeräuschen kochen hören, nein, wieder keine Stille. Stille ist mehr als ein statischer Zustand im Äußeren, den man eins zu eins mit einem Mirko aufzeichnen könnte.

Und ein vorgeblich recht stilles Innengeräusch einer Luxusklasse-Limousine in "Chillen im Stillen" kann als moderates, aber letztendlich penetrantes Dauerbrummen extrem auf die Nerven gehen.

Ganz anders, wenn Kai Diekmann - wie schon gehört - Zeitung blättert und liest, oder wenn wir Sky du Mont auf dem Sofa sitzt ein Buch lesen "hören".

So wird "Chillen im Stillen" anregend auch in den Momenten, wenn Hörbuch-Macher Michale Köckritz es nicht schafft, Stille darzustellen. Dann wird nämlich deutlich, das Stille vor allem ein subjektiver, innerer Prozess ist. Am Ende erfahren wir mit diesem in seiner Konzeption zwar widersprüchlichen, aber eben sehr zur Auseinandersetzung mit der Stille anregendem Hörbuch, dass sie mehr ist als die Abwesenheit von Geräuschen. Eher eine rhythmische Synthese von Pausen, die um etwas herum entstanden sind. Und zwar gefiltert und vermittelt durch die subjektive Wahrnehmung.

Und was sind nun die stillsten Momente in Michael Köckritz´ Hommage an die Ruhe und Stille? Für mich die Wassergeräusche, die entstehen, wenn Dieter Burmester, Musiker und High-End-Audio-System-Entwickler, auf dem See an seinem Landhaus rudert. Die pralle Sinnlichkeit dieses Geräusches, wenn das Ruder ins Wasser taucht, die Tropfen zu hören sind, die vom Holz in den See plätschern, dann Ruhe, Stille, dann wieder Wasser. Rhythmus entsteht. Diese Sequenz wirkt wie Musik. Stille Wassermusik.

Besprochen von Hartwig Tegeler

Michael Köckritz: "Chillen im Stillen"
Mit Kai Diekmann, Sandra Schwittau, Wladimir Kaminer u.a.
Lübbe Audio, Köln, 2012
1 CD, 9,99 Euro