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Ian Curtis von "Joy Division"
Die Kultfigur des Post-Punk

Die Band "Joy Division" existierte nur zweieinhalb Jahre, veröffentlichte nur zwei Alben und spielte nur 120 Club-Konzerte. Trotzdem beeinflusste sie die Musikwelt mit ihrem visionären Sound und morbiden Texten nachhaltig. Ihr Sänger Ian Curtis nahm sich 1980, mit nur 23 Jahren, das Leben.

Von Marcel Anders | 15.07.2016
    Heute würde Ian Kevin Curtis seinen 60. Geburtstag begehen. Wem der Name nichts sagt: Der Mann war Sänger und kreativer Kopf von Joy Division. Eine der ganz großen Kultbands der Rockmusik, die nur zwei Alben veröffentlichte, nie wirklich viele Tonträger verkaufte, auch nie in Stadien spielte, dafür aber ganze Generationen an Musikern beeinflusst hat. Wie Justin Sullivan von New Model Army. Ein Zeitzeuge von Ian Curtis, der im Postpunk der späten Siebziger weit mehr als nur eine musikalische Bewegung sieht:
    "Es war eine kulturelle Revolution, die darauf aus war, das Aufgeblasene, Steife und Pompöse in der Musik der Mittsiebziger zu vernichten. Also diese Idee, dass man eine große Band brauchte - mit einem Organisten, einem Pianisten, einem Gitarristen, der endlose Soli spielt, und einem Sänger, der wirklich singen konnte. Außerdem brauchte man dies und das, und musste ein guter Musiker sein. Unsere Reaktion darauf war: Scheiß drauf! Es geht nur um den Spirit."
    Ein kleiner Mann mit unglaublicher Präsenz
    Justin Sullivan schwärmt von einer Zeit des musikalischen Aufbruchs. Mit Protagonisten wie Ian Curtis. Ein kleines, schmächtiges Männchen, das tagsüber in der Stadtverwaltung von Manchester arbeitete, nachts sorgender Familienvater war und an den Wochenenden zum Rock-Provokateur mutierte: Der Name seiner Band war eine Anspielung auf die sogenannten "Freuden-Abteilungen" in Nazi-Konzentrationslagern während des zweiten Weltkriegs, in denen weibliche Gefangene zur Prostitution gezwungen wurden. Er selbst gab mit tiefer Bariton-Stimme und seltsamen Tanzbewegungen, die an Kampfübungen erinnerten, den etwas anderen Frontmann. Wofür ihn seine Fans bis heute verehren. Wie Simon Neil von Biffy Clyro, der Curtis nur von Videos und Tonträgern kennt:
    "Es war seine Performance, bei der er ganz er selbst war. Es war alles in ihm, und er ist in keine Rolle oder in irgendeine Kunstfigur geschlüpft. Ich denke, der Grund warum Ian Curtis heute noch so relevant ist - wenn nicht sogar noch mehr -, besteht darin, dass er keinen Filter hatte. Er hat darüber gesungen, was ihm wichtig war. Und er hat alles gegeben - vielleicht sogar zu viel."
    Doch Curtis sang nicht nur von Einsamkeit, Depressionen und Selbstzweifeln - er durchlebte diese Gefühle tatsächlich. Ausgelöst durch den Widerspruch aus Familien- und Musikerleben, einer Liebschaft, die seine Ehe zerstörte und seinem labilen Gesundheitszustand mit epileptischen Anfällen. Die wurden immer schlimmer, je erfolgreicher Joy Division wurden. Und je mehr Anhänger ihr Debüt "Unknown Pleasures" im Sommer 1979 fand. Ein Grenzgang zwischen Krautrock, Electro-Pop und Punk, den es in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Und der auch SWANS-Mastermind Michel Gira in New York begeisterte:
    "Es war toll, Leute zu hören, die Grenzen ausgelotet haben und auch textlich etwas zu sagen hatten. Weshalb sie mich an die Doors erinnerten. Einfach von der Art, wie sich die Songs immer weiter ausgedehnt haben. Sie hatten starke Texte, eine starke Atmosphäre und einen innovativen Klang."
    Nachhaltig und zeitlos
    Obwohl Joy Division eine große Zukunft vorausgesagt wurde und sie kurz vor ihrer ersten Nordamerika-Tournee standen: Curtis wurde die Band und der damit verbundene Stress zu viel. In seiner Verzweiflung erhängte er sich am 18. Mai 1980 im Haus seiner Eltern. Er war 23 Jahre alt und hinterließ eine Frau und eine einjährige Tochter. Das zweite Joy Division-Album "Closer" erschien drei Tage später - und erreichte Platz 6 der britischen Charts.
    Wie nachhaltig und zeitlos relevant die Musik von Ian Curtis und Joy Division ist, zeigt sich in zwölf posthumen Best Of-Zusammenstellungen, Tribute-Alben, vier gestohlenen Grabsteinen und der 2Ian Curtis Wall" im neuseeländischen Wellington. 30 Jahre wurde der Spruch "Ian Curtis Lives" von der Stadtverwaltung übermalt - nur um immer wieder aufzutauchen, und inzwischen unter Denkmalschutz zu stehen. Zudem wurde "Love Will Tear Us Apart", der Joy Division-Klassiker schlechthin, über 50 Mal gecovert – von U2, Nick Cave, The Cure, Björk, Fall Out Boy oder Biffy Clyro. Weshalb sich Simon Neil sicher ist:
    "Ich denke, die Songs, die er mit Joy Division geschrieben hat, sind richtige Klassiker. In hundert Jahren werden sie gleichberechtigt neben klassischer Musik stehen und an Universitäten gelehrt. Auch Ians Bühnenpräsenz und die Intensität seines Vortrags sind immer noch unübertroffen."