Sternstunde des Theaters

Von Ulrich Fischer · 25.04.2009
Seine Landsleute wählten den Schriftsteller und Politiker Vaclav Havel in höchste Positionen, bis er 2003 sein Amt als Staatspräsident Tschechiens verlor. Sein neuestes Stück "Abgang" verarbeitet diese Erfahrung. Der Fünfakter ist eine Sternstunde europäischer Dramatik.
Vaclav Havel ist zurzeit wohl der bekannteste lebende Dramatiker Europas. Quell seiner Popularität ist die produktive Mischung von poetischer und politischer Tätigkeit. Seine Theaterarbeit bettete er stets ein in sein Engagement für Bürgerrechte in seiner Heimat, der Tschechoslowakei. Er erlitt Verfolgung und Haft unter der Herrschaft der Kommunisten, gegen die er opponierte, wurde als Dissident weltbekannt, seine Stücke wurden international gespielt – und so machte ihn die Samtene Revolution wie selbstverständlich zu ihrer Stimme.

Seine Landsleute wählten ihn in höchste Positionen, bis er 2003 sein Amt als Staatspräsident Tschechiens verlor. "Abgang", sein neuestes Stück, verarbeitet diese Erfahrung. Aber der regelmäßig gebaute Fünfakter ist mehr – eine Sternstunde europäischer Dramatik.
Im Mittelpunkt steht Dr. Wilhelm Rieger; eben ist er als Kanzler abgewählt worden. Sieghart Klein (nomen est omen) dürfte sein Nachfolger werden. Rieger hat sich an die bequeme Dienstvilla gewöhnt, die ihm als Kanzler zustand, er würde gern darin wohnen bleiben. Sein Nachfolger und Rivale Klein legt nahe, das könne er, wenn … ja, wenn er mit seiner Opposition aufhöre und in der Öffentlichkeit den Anschein erwecke, Klein sei sein legitimer Nachfolger, der Erbe seiner humanistischen Politik.

Ansonsten droht die Verbannung in ein abgelegenes Dorf. Rieger zögert, da entwirft Klein seinen Alternativplan. Er will die Villa kaufen und in ein Zentrum für die Öffentlichkeit umwandeln. Geschäfte sollen dorthin und für den Abend ein Erotikzentrum. Vulgo: ein Puff. Die Villa wird zum Bordell.

Das ist die zentrale Metapher des Stücks. Havel hat nichts von seinem Biss verloren. Wer sich ein wenig in tschechischer Politik auskennt, weiß, auf wen Havel mit seinem Vorwurf der Korruption, der rücksichtslosen Selbstbereicherung, der Volksverdummung und der Demokratur zielt.

Havel hatte noch nie Angst vor den Mächtigen. "Abgang" ist ein wunderbares Zeugnis seiner alten Zivilcourage. Wie seine früheren Gegner, die Kommunisten, nutzt er die Kunst als Waffe im politischen Kampf, eine Ironie der (Literatur-)Geschichte.

"Abgang" bezieht das Handlungsmuster und Zitate aus Shakespeares "König Lear" ein – als der Kanzler abgewählt wird, verliert er mit der Macht seine Anziehungskraft auf alle Opportunisten in seiner Umgebung. Tschechows "Kirschgarten" schimmert immer wieder durch. Die Kultur der alten Herren wird abgelöst von der Profitgier der neuen.
Damit nicht genug, mischt sich Havel selbst immer wieder ins Spiel. Eine "Lautsprecherstimme" verkündet, was der Dramatiker denkt. Er nimmt den Kampf mit den Diktatoren im Theater auf, mit den Regisseuren. Havel gibt seinem Spielleiter vorab eine "Empfehlung, die sich auf langjährige Erfahrung des Autors mit der Inszenierung seiner Stücke stützt: wenn das Stück wirken soll, muss es ernsthaft, nüchtern, normal gespielt und nicht mit irgendwelchen grotesken Bewegungen, witzigen Regieeinfällen (…) Fratzen … ausgeschmückt werden …"

Nicolai Sykosch hielt sich klugerweise bei der Erstaufführungsinszenierung in Aachens Theater an diese "Empfehlung" und erreichte so die optimale Entfaltung des Schauspiels. Es wirkte absurd und realistisch zugleich. Die Kommunisten hatten festgestellt, Havel sei ein Vertreter des absurden Theaters – das traf zu, war aber ein strafwürdiges Verbrechen während der kommunistischen Herrschaft, galt es doch als bürgerliche Abweichung.

Gleichzeitig war – und ist – aber Havel Realist. Die Angriffe auf die kommunistische Herrschaft bekamen Biss, weil Havel behauptete, die politische Realität erzeuge nicht etwa eine vernünftige Ordnung, sondern absurde Verhältnisse. Genau diese These spitzt Havel jetzt noch einmal für die postkommunistische Ära zu:

Das Reale ist absurd und das Absurde real.

Service:
Weitere Aufführungen am Theater Aachen am 28. April; 8., 10., 23. und 29. Mai