Sterbehilfe

Krebsärzte plädieren für Gewissensentscheidung

Eine Kunsttherapeutin zeichnet mit einer Frau in einem Hospiz ein Bild.
Eine Kunsttherapeutin zeichnet mit einer Frau in einem Hospiz ein Bild. Unter Krebskranken sei der Wunsch nach Selbsttötung nicht häufiger als in der sonstigen Bevölkerung, sagt Freund. © picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert
11.06.2015
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie lehnt es ab, ärztliche Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. Die Notsituation jedes einzelnen Patienten lasse sich nicht in Regeln pressen, betonte der Geschäftsführende Vorsitzende Mathias Freund.
Dass Patienten einen Arzt um Sterbehilfe bäten, sei ein seltener Fall, führte Freund im Deutschlandradio Kultur weiter aus. Nach einer Umfrage seiner Gesellschaft hätten nur drei Prozent der in ihr organisierten Krebsärzte bisher an einer Selbsttötung mitgewirkt. Es handele sich also um eine sehr individuelle Notsituation, und man müsse sich fragen, ob sich diese schematisieren und in Regeln einpassen lasse "oder ob man eben besser doch dort eine Gewissensentscheidung zulässt", sagte Freund. Weil Selbstmord in Deutschland nicht strafbewehrt sei, sei auch die Hilfe dazu nicht unter Strafe gestellt. In der Praxis werde es sehr schwer werden, die Grenze zur "Geschäftsmäßigkeit" zu bestimmen.

Das Gespräch im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: "Wie wir sterben" hieß mal ein Papier des Deutschen Ethikrates, der für das Wort "sterben lassen" damals plädierte. Aber wie wir sterben, vor allem wenn wir hoffnungslos auf den Tod krank sind, und wer und ob uns dabei hilft, das wollen die Abgeordneten per Gesetz regeln.
In dieser Woche wurden und werden mehrere Gesetzentwürfe zum Thema Sterbehilfe im Bundestag vorgestellt. Sie unterscheiden sich, haben aber eines gemeinsam, nämlich dass alle diese Papiere meist überparteilicher Abgeordnetengruppen von der Ansicht durchtränkt sind, das Thema Sterbehilfe brauche ein Gesetz.
Um die geschäftsmäßige Sterbehilfe auszutrocknen, so lautet das Argument. Das will die Berufsgruppe auch, die im Alltag mit Krankheit, Tod und Sterben zu tun haben, nämlich die Ärzte. Sie können ja derzeit straffrei passive und indirekte Sterbehilfe leisten, auf Wunsch des Patienten Geräte abstellen oder mit hoch dosierten Medikamenten eine Lebensverkürzung in Kauf nehmen.
Dennoch sind sie – oder deshalb auch – die Ärzte, die sich in der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie vereint haben gegen ein neues Sterbehilfegesetz. Professor Mathias Freund ist deren geschäftsführender Vorsitzender und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Mathias Freund: Guten Morgen!
von Billerbeck: In den Gesetzentwürfen, die in dieser Woche vorgestellt werden im Bundestag, da steht ja drin, dass man die geschäftsmäßige Sterbehilfe verbieten wolle. Das wollen Sie ja sicher auch, warum lehnen Sie dann ein Gesetz ab?
Menschen, die Suizid begehen, dürfen nicht stigmatisiert werden
Freund: Ja, man muss vielleicht vorausschicken, es geht hier um die ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung eines Patienten. Das ist ja das, worum es jetzt in den Gesetzentwürfen geht. Und die Selbsttötung, also der Selbstmord ist ja in Deutschland nicht strafbewehrt. Das klingt zunächst etwas paradox, aber das ist eben auch etwas ganz Wichtiges, weil die Menschen, die aus Verzweiflung Selbsttötung begehen, die will man ja nicht stigmatisieren.
Insofern ist eben auch die Hilfe bei der Selbsttötung nicht strafbewehrt. Und wir glauben, dass es extrem schwierig ist abzugrenzen, was denn eine solche geschäftsmäßige Hilfe bei der Selbsttötung ist. Und das sieht man auch an dem Gesetzentwurf, der Entwurf selber ist ja ein paar Zeilen lang und dann folgen 20 Seiten Begründung und Ausführungen und man muss da für diese Frage der Geschäftsmäßigkeit sogar auch noch auf das Postgesetz rekurrieren, um das dann zu definieren. Also, ich glaube, das wird in der Praxis große Schwierigkeiten machen. Gleichwohl finden wir natürlich als Ärzte, die sich mit dem Krebs beschäftigen, es unerträglich, wenn da Leute durch die Gegend laufen und geschäftsmäßig bei der Selbsttötung helfen.
von Billerbeck: Ich hätte nun gedacht, dass geschäftsmäßig ganz klar ist, da bezahlt man etwas dafür! Aber das ist offenbar viel komplizierter?
Freund: So ist es.
von Billerbeck: Nun sind ja Gesetze für den Konfliktfall gemacht. Und da kann man sich natürlich auch die Frage stellen, ob es nicht gut ist, wenn gerade für so eine existenzielle Situation wie der Hilfe beim Sterben eben Regeln aufgestellt werden, Regeln dafür, was richtig und was falsch ist.
Nur drei Prozent der Onkologen haben schon bei einem Suizid geholfen
Freund: Da muss man sich aber fragen, ob das eben etwas ist, was sich schematisieren lässt, was häufig ist und was in Regeln sich einpassen lässt, oder ob man eben besser doch dort eine Gewissensentscheidung zulässt. Und wir haben ja unter unseren Mitgliedern eine Umfrage gemacht, an der eine sehr große Beteiligung war, mehr als ein Drittel der Mitglieder haben sich daran beteiligt. Und da ist herausgekommen, dass nur etwa die Hälfte unserer Mitglieder – also alles Krebs-Ärzte – überhaupt einmal gefragt worden sind, ob sie Hilfe bei einer Selbsttötung eines Patienten leisten wollen. Und von dieser Hälfte, die gefragt worden sind, ist es auch so, dass nur bei 13 Prozent das konkreter war, sodass sie nach einem Rezept gefragt worden sind. Und nur drei Prozent haben überhaupt einmal an einer solchen Selbsttötung mitgewirkt.
von Billerbeck: Das ist also ein sehr seltener Fall.
Freund: Das ist ein seltener Fall. Und diejenigen, die so ganz generell gesagt haben, sie sind gefragt worden, da war es nur weniger als zehnmal im gesamten Berufsleben. Und das spricht eben dafür, dass es sehr individuelle Notsituationen sind, die auch sehr unterschiedlich von Patient zu Patient sind.
Da ist ein enges Vertrauensverhältnis notwendig und da befürchten wir einfach, dass durch eine gesetzliche Regelung, wenn der Staatsanwalt da hereinhorcht und wenn die Gefahr einer Strafbewehrung da ist, dass dieses Vertrauensverhältnis gar nicht aufgebaut werden kann und dass da Not entsteht.
von Billerbeck: Trotzdem muss man ja den Eindruck bekommen, wenn man die öffentlichen Debatten sich anguckt und dann von Ihnen hört, wie der Klinikalltag läuft, dass es da eine große Diskrepanz gibt!
Freund: Ja, und ich glaube, das hat auch einen Grund. Schauen Sie, Krebs ist eine tödliche Erkrankung, viele von uns werden an Krebs sterben, das muss man realistisch sehen. Und jeder hat natürlich Angst vor einem Tag, wo möglicherweise so eine schreckliche Diagnose auf ihn zukommt, und hat dann Angst, was vor ihm steht. Und da kann natürlich bei demjenigen, der heute noch gesund ist, der Wunsch entstehen, dass der sagt, na ja, also, wenn ich schon Krebs bekomme, dann soll es aber auch ganz schnell vorbei sein. Das habe ich schon von vielen Menschen gehört. Die Patienten selber ...
von Billerbeck: ... die dann wirklich krank sind ...
Freund: ... ja, die wirklich krank sind, die sehen das völlig anders! Da gibt es dann jemanden, der seinen Handwerksbetrieb noch an seine Kinder übergeben will, da gibt es die Patienten, die einfach noch sehen wollen, wie die Tochter ihr erstes Kind bekommt oder wie der Sohn heiratet, oder vielleicht einfach nur die Bäume im Frühjahr, die frisches Laub bekommen, einfach noch ein paar Tage haben. Und das sehen die Patienten völlig anders. Und deswegen ist es auch so, dass der Wunsch nach Selbsttötung bei den Patienten nicht häufiger ist als in der Normalbevölkerung. Das ist ganz gleich.
von Billerbeck: Aber wenn das so ist, wie Sie das beschreiben, was meinen Sie, warum ist man in der Politik so exzessiv damit beschäftigt, dieses Feld unbedingt gesetzlich zu regeln?
Hinter der Beschäftigung mit dem Thema steckt auch der Wunsch nach Sensation
Freund: Ja, es hat natürlich irgendwo auch eine hohe Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeit ist natürlich gut, weil, ethische Fragen in der Gesellschaft zu diskutieren ist etwas Gutes, das bildet Ethik und bildet Meinung heraus. Aber da ist natürlich auch so ein bisschen, ja, Wunsch nach Sensation, nach existenziellen Fragen dabei, und so was ist einfach attraktiv, sich auf diesem Gebiet zu beschäftigen, vielleicht attraktiver als sich damit zu beschäftigen, dass man was im Bildungssystem machen muss, dass die Straßen verfallen oder dass wir mit unendlich viel Leid bei Flüchtlingen konfrontiert sind, wo wir was tun müssten und wo wir im Grunde genommen eigentlich doch ziemlich, ja, hilflos und in meinen Augen auch zu inaktiv da stehen.
von Billerbeck: Oder auch mehr zu tun für die Palliativmedizin, könnte man ja sagen, um beim Thema zu bleiben. Sterbehilfe lieber nicht gesetzlich regeln, sondern Raum für Gewissensentscheidungen lassen, sagt Mathias Freund, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie. Ich danke Ihnen!
Freund: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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