Stephen Greenblatt: "Die Geschichte von Adam und Eva"

Mythos Sündenfall

Buchcover Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva
Stephen Greenblatts Buch erinnert in Teilen an eine Kriminalgeschichte. © Siedler Verlag / picture-alliance / David Ebener
Von Michael Opitz  · 29.03.2018
Sie können der Verlockung nicht widerstehen und werden aus dem Paradies vertrieben: Stephen Greenblatt zeigt in seinem spannend und glänzend geschriebenem Buch, wie "Die Geschichte von Adam und Eva" unsere Vorstellungen von Verantwortung, Verbrechen und Strafe formt.
Während Generationen von Gläubigen die Geschichte von Adam und Eva für wahr hielten und als glaubhafte Erzählung über den Ursprung der Menschheit ansahen, gab es stets auch Zweifler, die sie als reine Fiktion abtaten und belächelten. Trotz dieser ganz unterschiedlichen Ansichten steht für den 1943 in Boston geborenen Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt fest, dass die Erzählung über das aus dem Paradies vertriebene Menschenpaar unsere Vorstellungen vom Schicksal der Menschheit nachhaltig geprägt hat.
"Über Jahrhunderte hinweg hat diese Erzählung geformt, was wir über Verbrechen und Strafe denken, über moralische Verantwortung und Neugier, über Tod, Schmerzen und Leid, über Arbeit und Muße, über Gemeinschaft, Heirat, Geschlecht und Sexualität, über das uns gemeinsame Menschsein."

Von Augustinus bis Charles Darwin

Zunächst analysiert Greenblatt akribisch die Ereignisse, von denen das erste Buch Genesis berichtet, und macht darauf aufmerksam, dass dem Erzähler sehr verschiedene Quellen zur Verfügung standen, aus denen er schließlich den einen Text formte, der in der Bibel nachzulesen ist. In den folgenden Kapiteln widmet er sich der Rezeptionsgeschichte. Gemeinsam ist hier allen Interpretationen, dass darin Adam und Evas Gebotsüberschreitung von zentraler Bedeutung ist. So leitet etwa Augustinus aus Adams Verfehlung, von einer verbotenen Frucht gekostet zu haben, die Erbsünde ab. Denn wenn es diesen Akt menschlichen Ungehorsams nicht gegeben hätte, dann wäre die von Gott geschaffene Welt – so Augustinus – gut geblieben.
Ganz anders interpretierten Ende des 14. Jahrhunderts aufständische Rebellen in England die Geschichte von Adam und Eva. Als sich die Bauern gegen die Obrigkeit erhoben, beriefen sie sich auf die natürliche Gleichheit des Menschen vor Gott: "Als Adam pflügte, Eva spann, wo war denn da der Edelmann?", lautete ihre Parole. Greenblatt verfolgt die Rezeptionsgeschichte weiter durch die Jahrhunderte und bis zu Charles Darwin. In dessen Evolutionsgeschichte spielen Adam und Eva zwar keine Rolle, aber mit dem Erzähler der Bibel teilt der Naturforscher das Interesse an der Herkunft des Menschen.

Geschrieben wie eine Kriminalgeschichte

Greenblatts Buch, das sich in 14 Kapitel gliedert, ist reich bebildert, denn der in Harvard lehrende Autor interessiert sich auch für die Spuren, die Adam und Eva in der bildenden Kunst hinterlassen haben. Zu einer Vorstellung von Adam und Evas Aussehen gelangte man nicht zuletzt durch Albrecht Dürers 1504 entstandenen Kupferstich "Der Sündenfall", der damals massenhaft verbreitet wurde.
Greenblatts Buch ist glänzend geschrieben. Er erzählt über die ersten, von Gott geschaffenen Menschen so spannend, als würde es sich bei dem überschaubaren Figurenensemble und dem leicht nachvollziehbaren Handlungsgeschehen um eine Kriminalgeschichte handeln. Und in der Tat – um Verfehlungen und Gesetzesübertretungen geht es ja tatsächlich, wenn man Augustinus glauben will. Er hielt die im Paradies begangenen Vergehen für so folgenreich, dass wir bis heute für sie büßen müssen.

Stephen Greenblatt: Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit
Aus dem Englischen von Klaus Binder
Siedler Verlag, München, 2018
448 Seiten, 28 Euro