Taiwan-Kenner Stephan Thome

„Jedes Schriftzeichen ist ein kleines Fenster in die chinesische Kultur“

34:09 Minuten
Stephan Thome
Philosophieren übers Essen und Orientierung am Allgemeinwohl: Der Autor Stephan Thome hat große Sympathie für die Kultur Taiwans, wo er seit zwölf Jahren zu Hause ist. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Moderation: Ulrike Timm · 17.11.2021
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Warum lieben Taiwaner Stinktofu? Was hat es mit ihrer Liebe zum Baseball auf sich? Und wie bewahren sie ihre Freiheit vor der Großmacht China? Der Autor Stephan Thome lebt in Taipeh. Seine Bücher nehmen uns mit auf eine faszinierende Insel.
Seit zwölf Jahren lebt Stephan Thome in seiner Wahlheimat Taiwan. Der Philosoph und Sinologe schreibt Romane und hat in diesem Jahr auch eine „Gebrauchsanweisung für Taiwan“ veröffentlicht. Dort erfährt man: In Taiwan geht es fast immer ums Essen.
„Hast du heute schon gegessen?“, so lautet eine traditionelle Grußformel in Taiwan. Sie verweist auf Hungerzeiten in der Geschichte Taiwans, aber auch auf den Stellenwert des Essens für die 23 Millionen Einwohner. Taiwanesen trinken gerne Bubble-Tea und genießen stinkenden Tofu: „Da wird immer gegessen, da wird auch viel übers Essen geredet. Also, wenn man ausnahmsweise mal nicht isst, dann beschäftigt man sich geistig gerne mit dem Essen. Das hat eine Bedeutung, die wir so einfach nicht kennen.“

Jemand, der an seinen Zielen festhält

Der aus einem oberhessischen Dorf stammende Thome interessiert sich als junger Mann für außereuropäische Philosophie. Er bewirbt sich für ein Stipendium und landet mit 23 Jahren erstmals in China. Sein erster Chinesisch-Lehrer gibt ihm Mitte der 90er-Jahre einen Namen, der frei übersetzt bedeutet: Jemand, der beharrlich an seinen Zielen festhält.
Thome lernt die chinesische und taiwanische Sprache. Beide verwenden zwar die gleichen Schriftzeichen, klingen aber sehr unterschiedlich. Seit einiger Zeit ist der Schriftsteller auch mit einer taiwanischen Frau verheiratet.

Taiwan will unabhängig von China bleiben

In seinem aktuellen Roman „Pflaumenregen“ thematisiert Thome die koloniale Vergangenheit Taiwans, das ungefähr so groß wie Baden-Württemberg ist. Seit 1895 war die Insel eine Kolonie Japans, die 1945 an China zurückgegeben wurde. In den letzten Jahrzehnten habe sich Taiwan von einer Diktatur zu einer freien Zivilgesellschaft entwickelt, betont Thome. „Wir haben unsere eigene Identität.“
1996 gab es die ersten freien demokratischen Wahlen in Taiwan. Inzwischen sei es der „große Albtraum“ in Taiwan, ebenso wie in Hongkong unter den Machteinfluss der Chinesen zu geraten.

Konfuzianismus ist Teil der DNA

Die Menschen in Taiwan „wollten lange das bessere China sein,“ erzählt Thome. Der Konfuzianismus sei Teil der kulturellen DNA: „Ein Wertesystem, wo die Orientierung am Gemeinwohl eine große Rolle spielt.“
Das habe man beispielsweise in der Pandemie gesehen, in der es „keinen Widerstand dagegen gab, sich ein bisschen einzuschränken, eine Maske zu tragen", sagt Thome. "Man hat nicht gefragt: 'Was sind jetzt meine Rechte hier, und werden die irgendwo beschnitten oder von jemandem eingeschränkt?', sondern: 'Was sind in so einer Krisensituation meine Pflichten gegenüber den anderen?'", erzählt der Autor und fügt hinzu: "Wir können ja nur gemeinsam da durch.“
(cg)
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