Stefan Gemmel: "Befreiungsschlag"

Gewalt ist in Wahrheit Schwäche

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© Arena Verlag / dpa / picture alliance / Oliver Berg (Montage: Deutschlandradio Kultur)
Von Thomas Fuchs · 03.02.2017
80 Sozialstunden und die Teilnahme an einem Antigewalt-Training: Das ist Maiks letzte Chance, um dem Knast zu entgehen. Stefan Gemmels Jugendroman "Befreiungsschlag" zeigt den 17-jährigen Schlägertypen auf seinem schmerzhaften Weg. Ein wichtiges Buch, denn gewaltbereite Jugendliche ohne jede Empathie stellen die Gesellschaft vor große Problem.
Geprügelt hat sich Maik schon oft. Sehr oft. Warum, spielt keine Rolle. Wenn Maik rot sieht, schlägt er zu. Erbarmungslos. Das blieb lange folgenlos. Jeder Sanktion ist der 17-Jährige erfolgreich ausgewichen: Zu den vom Gericht angeordneten Sozialstunden hat er sich krank gemeldet, die Berufsfördermaßnahme abgesessen und die mahnenden Worte ignoriert. Doch nun ist das Maß voll. Maik hat sein letztes Opfer fast zu Tode geprügelt. Er hat immer wieder und wieder auf den Jungen eingetreten, selbst als dieser schon regungslos am Boden lag.
Die Jugendrichterin verurteilt Maik deshalb jetzt zu einem Jahr und sechs Monate auf Bewährung, 80 Sozialstunden und die verpflichtende Teilnahme an einem Antigewalt-Training. Das Training ist Maiks letzte Chance. Verweigert er sich erneut und bricht die AGT-Maßnahme ab, muss er ins Gefängnis. Und weil alles besser ist als Knast, wie ihm sein Kumpel Alex erklärt, willigt Maik ein und verpflichtet sich, 25 Wochen lang jeden Donnerstag für vier Stunden zum "Sozialgeschwätz" anzutreten.
In Stefan Gemmels neuem Buch "Befreiungsschlag" begleiten die jungen Leserinnen und Leser Maik durch diese Maßnahme. Hautnah erfahren, was er denkt, fühlt und – was sich langsam bei ihm verändert. Wie er lernt, Empathie zu empfinden, sein Verhalten zu hinterfragen und sich eine Art Management bei Ärger, Frustration und Wut anzueignen. Es ist ein schmerzhafter Weg, zu erkennen, dass die vermeintliche Stärke in Wahrheit die größte Schwäche ist. Kein Wunder also, dass einige aus Maiks Gruppe aussteigen.

Verbrechen gegen sich selbst

Eine Schlüsselszene in diesem bewegenden Buch ist der Besuch in einem Gefängnis und die Begegnung mit denen, die es nicht geschafft haben: "Wir alle sitzen im Knast, weil wir nie über unsere Probleme gesprochen haben. Das ist das Verbrechen, das wir uns selbst gegenüber begangen haben."
Es ist ein wichtiges Thema, das Stefan Gemmel hier aufgegriffen hat: Gewaltbereite Jugendliche ohne jede Empathie stellen die Gesellschaft vor immer größere Problem. Sein Buch ist ein wichtiger Schritt, das Thema auch jungen Lesern zu vermitteln. Aufgebaut wie ein klassischer Erziehungsroman – mit einem deutlichen Anliegen, die Kids sollen lernen, was passiert, wenn man sich nicht an die Regeln hält und sie sollen lernen, wie genau ein Antigewalttraining abläuft.
Dafür hat sich der umtriebige Autor, der es schon mit "der schnellsten Lesereise der Welt" ins "Guinness-Buch der Rekorde" schaffte, gut aufgestellt. Er hat sich nicht nur für sein Buchprojekt Uwe Zissner dazu geholt, einen Sozialarbeiter und Antigewalt-Trainer, sondern selbst fast ein ganzes Jahr lang eine solche AGT-Maßnahme begleitet. All das merkt man dem Buch an.
Allerdings ist es sprachlich oft überraschend hölzern. Etwa wenn es heißt "Er nimmt Drogen" oder "Um die unangenehme Angst zu überspielen, setzte er sich lieber an seinen PC, um ein paar Aliens abzuballern" klingt das wenig nach Jugendjargon. Da hätte sich Stefan Gemmel ruhig mehr an den jungen Teilnehmern der AGT-Maßnahme orientieren dürfen.
Doch dem Erfolg des Buches wird das keinen Abbruch tun. Zu wichtig ist das Thema. Und Schulen und Jugendgefängnisse brauchen genau solche Bücher, um mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch über den richtigen Umgang mit Gewalt zu kommen.

Stefan Gemmel: Befreiungsschlag
In Mitarbeit von Uwe Zissener
Arena Verlag, Würzburg 2017
240 Seiten, 9,99 Euro

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