Stauwarnung mit Handy-Daten

Von Dirk Asendorpf · 18.11.2008
Mit einem Handy im Auto kann man unterwegs telefonieren oder SMS-Nachrichten verschicken und bleibt erreichbar. Ohne es zu merken, wird man künftig auch noch zur Stauwarnung beitragen. Denn aus den Bewegungsdaten der riesigen Menge mobiler Telefone lassen sich hervorragende Verkehrsinformationen gewinnen. Und zwar nicht nur für die Autobahnen, sondern auch für Landstraßen, langfristig sogar für das gesamte deutsche Straßennetz.
Stau voraus. Zum Glück ist ein Navigationsgerät an Bord. Es hat die Verkehrsnachricht empfangen und weist rechtzeitig den Weg auf eine Umleitungsstrecke. Nur dass die auch schon verstopft ist, weiß das schlaue Gerät leider nicht. Denn bisher erkennen die Systeme zwar bis zu 90 Prozent aller Autobahnstaus, für Störungen auf Bundes- und Landesstraßen sind sie dagegen blind. Das soll sich jetzt ändern. Gleich zwei Anbieter versprechen die Ausweitung der Echtzeitnavigation auf das gesamte außerstädtische Straßennetz. Beide beruhen auf einer systematischen Auswertung der Verbindungsdaten im Mobilfunknetz. Oliver Fastenrath ist Leiter der Produktentwicklung bei der Telekom-Tochter T-Systems Traffic.

"Wenn man sich einfach anschaut, dass eine zweistellige Millionenanzahl von mobilen Endgeräten ohnehin schon unterwegs ist auf unseren Straßen, verfällt man sehr schnell dann auf die Idee, diese Daten zu nutzen, um auch Verkehrsinformationen zu erzeugen. Nachteil ist natürlich: die sind dafür nicht gedacht."

Wenn Handys auf Reisen sind, dann verbinden sie sich alle paar Kilometer mit einem neuen Sendemast entlang der Strecke. Jede dieser Übergaben wird im Mobilfunknetz registriert, damit das Telefon für Anrufe erreichbar bleibt. Zusammen mit Kollegen der t-mobile und der Uni Stuttgart hat Oliver Fastenrath in den vergangenen vier Jahren untersucht, wie sich aus diesen Mobilfunkdaten Verkehrsinformationen gewinnen lassen. Sobald die reisenden Handys nicht mehr zur vorausberechneten Zeit in der nächsten Funkzelle auftauchen, wird Staualarm ausgelöst.

Technisch ist das nicht ganz so einfach wie es klingt. Zunächst müssen aus der gewaltigen Menge an Daten diejenigen herausgefiltert werden, die tatsächlich von Handys stammen, die sich entlang einer bestimmten Strecke von Funkzelle zu Funkzelle bewegen. Da sich die 100.000 Funkzellen in Deutschland oft überlappen und mehrere Straßen manchmal dicht nebeneinander verlaufen, erfordert das die Kombination recht komplizierter mathematischer Modelle mit sehr genauen Karten. Dann müssen Störungen gelöscht werden, zum Beispiel von Handynutzern, die im Zug auf einem parallel zur Straße verlaufenden Gleis an einem Stau vorbeirauschen.

"Eine Eisenbahnstrecke, die nur in großen zeitlichen Abständen von Zügen befahren wird, wird dazu führen, dass praktisch zum gleichen Zeitpunkt sehr viele Signale ausgelöst werden und dann lange Zeit keine mehr. Diesen Footprint, diesen Fingerabdruck des Schienenverkehrs kann man in den Daten erkennen und vom Straßenverkehr unterscheiden."

Bisher stammen die Verkehrsinformationen vor allem von 5.500 Induktionsschleifen, die das Bundesverkehrsministerium unter dem Teer deutscher Autobahnen versteckt hat. Dazu kommen ADAC- und Polizeibeobachtungen und die Anrufe privater Staumelder. Ein kostenpflichtiger Zusatzdienst bezieht auch die Daten von Infrarot-Sensoren an Autobahnbrücken mit ein. Außerdem sind 50.000 BMW-Fahrer unter Vertrag, deren Navigationssysteme permanent Standort und Fahrgeschwindigkeit durchgeben. Ein winziger Vorgeschmack auf die Auswertung von Millionen Handy-Daten.

In den Niederlanden ist das weltweit erste Navigationssystem auf dieser Grundlage bereits seit einem Jahr im Einsatz.

HD Traffic heißt der Dienst, den das holländische Navigationsunternehmen TomTom in Kooperation mit Vodafone jetzt auch in Deutschland anbietet.

"Wir melden selbst Staus auf kleinen Straßen in der Nähe des Stadtzentrums, sagt der Tomtom-Sprecher. Die Abdeckung ist zehnmal besser als bisher. So können Sie die schnellstmögliche Strecke nehmen."

Ganz billig ist das nicht. In Holland sind zehn Euro monatliche Nutzungsgebühr fällig, in Deutschland gibt es einen Aufschlag von rund 200 Euro auf den Preis der Empfangsgeräte. Das Geld landet vor allem bei den Mobilfunkfirmen.

Intensiv haben sich bereits die Juristen mit dem neuen System befasst. Wer ein Handy mit ins Auto nimmt, tut das schließlich zum Telefonieren und nicht, um damit ein Verkehrsinformationssystem zu unterstützen. Oliver Fastenrath von T-Systems Traffic:

"Das ist durch die AGBs explizit nicht abgedeckt, muss es aber auch nicht sein, weil all diejenigen Daten, die ohnehin im Mobilfunknetz umherflitzen, für den Netzbetrieb gebraucht werden und daher juristisch gesehen dem Netzbetreiber auch gehören. D.h. sobald die Auflagen des Datenschutzes erfüllt sind, darf der Netzbetreiber diese Daten in der anonymisierten Form auch verkaufen und dann für andere Anwendungen zur Verfügung stellen."

Vor der Weitergabe ersetzt die Mobilfunkfirma die echten Rufnummern durch Zufallszahlen. So kann die Reisezeit jedes einzelnen Handys verfolgt werden ohne dass der Besitzer nachträglich ermittelt werden könnte. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat das System geprüft und keine grundsätzlichen Bedenken. Denn die Auswertung der Handy-Daten macht nicht die Bewegung einzelner Telefonnutzer, wohl aber den gesamten Verkehrsfluss transparent.

Aber führt das tatsächlich zu kürzeren Fahrzeiten? Die ersten Testergebnisse in den Niederlanden sind ernüchternd. In den meisten Fällen lohnt es sich nämlich gar nicht, einen Autobahnstau zu umfahren. Weil das neue System weiß, dass auch die Umleitung schon verstopft ist, lotst es einen oft mitten in den Autobahnstau hinein. Wenn man dann in der Schlange steht, tut man das zumindest mit dem sicheren Gefühl, dass es keinen schnelleren Weg gab. Und auf dem Navi-Display kann man die voraussichtliche Wartezeit recht exakt ablesen.